Rz. 63

Primäres Ziel der gewillkürten Erbfolge im Rahmen der Testamentserrichtung ist die Benennung eines oder mehrerer Erben. Die Erbenbenennung kann ausdrücklich erfolgen oder sich durch Formulierungen bzw. Auslegung des Erblasserwillens ergeben. Besonders virulent wird die Frage, wer erblasserseits zum Erben bestimmt wurde, dann, wenn ein solcher nicht explizit genannt, sondern durch die Testamentsgestaltung ermittelt werden muss.

 

Rz. 64

Bei einem Ehegattentestament fehlt nicht selten die Schlusserbeinsetzung, allerdings ist eine Pflichtteilstrafklausel aufgenommen. Die ausdrückliche Bestimmung des Erben nach dem Tod des zweiten Ehegatten fehlt, sodass sich die Frage der Schlusserbenstellung aus der aufgenommenen Pflichtteilstrafklausel ableiten kann, wenn die gemeinschaftlichen Kinder auf den Pflichtteil gesetzt wurden. Das bloße Vorhandensein einer Pflichtteilstrafklausel kann eine entsprechende Erbeinsetzung im Schlusserbfall zulassen.[75] Ist hingegen ein notarielles Testament vorhanden, spricht dies in der Regel gegen eine stillschweigende Annahme der Schlusserbeinsetzung mittels Pflichtteilsstrafklausel.[76] Ob eine Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeinsetzung bei einer Pflichtteilsstrafklausel gegeben ist, ist eine davon gesondert zu behandelnde, im Einzelfall allerdings in der Regel zu bejahende Frage.[77]

 

Rz. 65

Die größten Schwierigkeiten im gerichtlichen Verfahren stellen die sogenannten Verteilungstestamente dar: Darin werden – häufig in Laientestamenten – einzelnen Personen einzelne Nachlassgegenstände zugewiesen, allerdings kein expliziter Erbe genannt. Im Rahmen der Auslegung ist dann zu ermitteln, ob durch diese Einzelzuwendungen eine Erbeinsetzung nach Quoten, Alleinerbenstellung oder Erbanteile im Verhältnis der zugewandten Wertanteile gewollt war. Dies ist im Rahmen der allgemeinen Auslegung zu ermitteln. Dazu haben sich in der Rspr. Leitlinien entwickelt, die im Rahmen der Auslegungsregel des § 2087 BGB behandelt werden.

 

Rz. 66

Hat der Erblasser in seinen Verfügungen einzelne Nachlassgegenstände verteilt, die den gesamten Nachlass erschöpfen, ist davon auszugehen, dass die Verfügung auch eine Erbeinsetzung enthält. Es ist nach der Lebenserfahrung nicht anzunehmen, dass der Verstorbene überhaupt keinen Erben bestimmen wollte. § 2087 BGB Abs. 2 BGB sieht hingegen vor, dass der Bedachte, der einzelne Gegenstände erhalten soll, im Zweifel nicht Erbe, sondern nur Vermächtnisnehmer sein soll.[78] Die Auslegungsregel greift nicht ein, wenn ein anderer Erblasserwille feststeht.[79]

 

Rz. 67

Sofern der Erblasser dem durch Zuwendung von Einzelgegenständen Bedachten eine Erbenstellung verschaffen wollte, gilt § 2087 Abs. 2BGB nicht. Der Erblasserwille ist nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zu ermitteln. Die Auslegung kann ergeben, dass nur ein Alleinerbe eingesetzt sein soll. Dies liegt vor, wenn der Wert des zugewendeten Einzelgegenstandes den Wert des Restnachlasses "ganz erheblich" übertrifft, wozu das Wertverhältnis zwischen dem zugewendeten Einzelobjekt und dem Restnachlass zu bilden ist. In diesen Fällen ist ein Gesamtverfügungswille des Erblassers erkennbar. Erreicht der Wert des Einzelgegenstandes – insbesondere dann, wenn eine Immobilie das Hauptvermögen darstellt – 80 % des Wertes im Verhältnis zum Gesamtnachlasswert, ist von einer Alleinerbeinsetzung auszugehen.[80] Im Ergebnis kann daher von einer "80 %-Rspr." ausgegangen werden, die in diesen Fällen die Alleinerbeinsetzung annimmt. Hinzukommen muss bei diesen Auslegungskriterien, dass der Erblasser den Bedachten unmittelbar ein Recht am Nachlass verschaffen wollte und diese nicht nur auf einen schuldrechtlichen Anspruch (Vermächtnis) gegen den Nachlass verweisen wollte. Diese Kriterien sind erfüllt, wenn der Bedachte auch den Nachlass regeln und Nachlassverbindlichkeiten (z.B. Beerdigungskosten bezahlen) sollte oder er die Grabpflege zu übernehmen hat.[81]

[75] OLG Köln NJW-RR 1994, 397; OLG München BeckRS 2016, 21400 mit Anm. Roth, NJW-Spezial 2017, 72; Roth, Schlusserbeinsetzung durch Pflichtteilstrafklausel, NJW-Spezial 2015, 103.
[76] Fischer, Die Pflichtteilsstrafklausel beim gemeinschaftlichen Testament bei Fehlen einer ausdrücklichen Schlusserbeinsetzung der gemeinsamen Kinder, ZEV 2005, 189.
[77] OLG München BeckRS 2015, 04370, mit Anm. Roth, NJW-Spezial 2015, 232; OLG Köln, NJW-RR 1994, 397; Roth, Schlusserbeinsetzung durch Pflichtteilstrafklausel, NJW-Spezial 2015, 103.
[78] BayObLG BeckRS 1990, 30887932.
[79] BayObLG NJW-RR 1999, 1021.
[80] BGH, ZEV 2000, 195 (84 %); BayObLG NJW-RR 2000, 888; OLG Celle, BeckRS 2002, 30273735 (83 %).
[81] OLG Hamburg, ZEV 2016, 384; Roth, Verteilungstestament – Zuwendung von Einzelgegenständen, NJW-Spezial 2017, 615; OLG Rostock, BeckRS 2022, 2944 mit Anm. Roth, NJW-Spezial 2022, 199; OLG Saarbrücken ZErb 2022, 365.

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