Rz. 71

Weiterhin greift meist dann ein Beweisverwertungsverbot, wenn der Arbeitgeber Beweismittel mitbestimmungswidrig erlangt hat.[100]

 

Rz. 72

Hinsichtlich der Frage der Annahme von Beweisverwertungsverboten ist die Einzelfallrechtsprechung der Arbeitsgerichte zu beachten.

In folgenden Fällen[101] wurden Beweisverwertungsverbote angenommen:

Vernehmung eines Dritten, den der Arbeitgeber über eine Sprechanlage ein als vertraulich ausgegebenes Gespräch mit einem Arbeitnehmer hat mithören lassen;
Verwertung rechtswidrig hergestellter Tonbandaufnahmen;
Verwertung der Zeugenaussage einer Telefonistin, die ein Telefongespräch eines Arbeitnehmers heimlich mitgehört und mitstenographiert hat;
heimliche Schrankkontrolle als Vorbereitung zur gezielten Taschenkontrolle von Arbeitnehmern;
heimliche Videoüberwachung des Arbeitsplatzes einer Krankenhausangestellten, da sich der Verdacht einer Straftat lediglich gegen die gesamte Belegschaft richtete.

Das Landesarbeitsgericht Köln[102] hat kein Beweisverwertungsverbot angenommen für den Fall von verdeckt und aus konkretem Anlass von Kassendifferenzen gefertigten Videoaufnahmen. Dasselbe Gericht ging allerdings von einem Beweisverwertungsverbot im Falle der versteckten Kameraüberwachung einer Lagerhalle mit Parfümerieartikeln aus.[103] Das heimliche Mithören eines Gesprächs zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch einen Dritten und die daraus resultierende Zeugenaussage des Dritten über die Aussagen des anwesenden Gesprächsteilnehmers, ohne dass der Dritte hören konnte, was der Gesprächspartner am anderen Ende der Telefonleitung gesagt hat, hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf[104] für verwertbar erachtet. Das Landesarbeitsgericht Hannover[105] hat wiederum die Erkenntnisse einer Telefondatenerfassung im Rahmen eines Auflösungsantrages des Arbeitgebers gewürdigt und diesem stattgegeben, obwohl das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 verletzt wurde und damit an sich ein prozessuales Verwertungsverbot bestand.[106]

 

Rz. 73

Das Bundesarbeitsgericht[107] hat ausdrücklich klargestellt, dass die Videoüberwachung dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 unterliegt. Die fehlende Beteiligung des Betriebsrates führe zwar meist zu einem Beweisverwertungsverbot, aber nicht in jedem Fall. So hat das Bundesarbeitsgericht[108] entschieden, dass dann, wenn die Videoüberwachung ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrates durchgeführt wurde, sich aus diesem Verstoß jedenfalls dann kein eigenständiges Beweisverwertungsverbot ergebe, wenn der Betriebsrat der Verwendung des Beweismittels und der darauf ­gestützten Kündigung zugestimmt habe und die Beweisverwertung nach den allgemeinen Grundsätzen gerechtfertigt sei (zur Videoüberwachung vgl. auch § 5 Rdn 16 ff.). Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass das Interesse des Arbeitgebers gegenüber dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts des ­Arbeitnehmers dann höheres Gewicht hat, wenn die Art der Informationsbeschaffung trotz der mit ihr verbundenen Persönlichkeitsbeeinträchtigung als schutzbedürftig zu qualifizieren sei, etwa wenn es um den Nachweis eines strafbaren Verhaltens oder einer ähnlich schwerwiegenden Pflichtverletzung gehe[109] Will der Arbeitgeber aufgrund der Kontrolle von Internet- und E-Mail ein Beweismittel erlangen und dieses gerichtlich verwerten, so gelten diese Grundsätze ebenfalls.

 

Rz. 74

 

Praxishinweis

Will der Arbeitgeber aufgrund eines konkreten Verdachts durch Videoüberwachung oder die Kontrolle von Internet- und E-Mail-Nutzung ein Beweismittel gegen den Arbeitnehmer erlangen, so sollte vor einer Betriebsratsbeteiligung genau abgewogen werden, ob diese sinnvoll ist, oder wegen der Gefahr der Weitergabe von Informationen über die geplante Kontrolle durch ein Betriebsratsmitglied an den Arbeitnehmer die Maßnahme ins Leere zu laufen droht. Ist der Verdacht konkret genug, so kann es sich trotz grundsätzlicher Mitbestimmungspflicht wegen der genannten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (siehe Rdn 73) empfehlen, den Betriebsrat vor der Kontrollmaßnahme nicht einzuschalten, sondern erst bei der Anhörung zu einer ggf. auszusprechenden Kündigung.

[100] Siehe zum Streitstand: ErfK/Kania, § 87 BetrVG Rn 137 mit Verweis auf das Urteil des BAG 21.6.2012 – NZA 2012, 1025, wonach es darauf ankommt, ob die Verletzung der Mitbestimmung unverhältnismäßig in das verfassungsrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht eingreift.
[101] Übersicht aus MAH-ArbR/Dendorfer-Ditges, § 35 Rn 221 mit weiteren Nachweisen.
[106] Vgl. Beckschulze/Henkel, DB 2001, 1491, 1498.

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