I. Einführung

 

Rz. 60

Für die außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmers gelten die gleichen Maßstäbe wie für die außerordentliche Arbeitgeberkündigung.[170] Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt in der Regel auch von einem Arbeitnehmer, den pflichtwidrig handelnden Arbeitgeber vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung abzumahnen.[171] Dem Arbeitnehmer ist unter Umständen eine ordentliche Kündigung zuzumuten.[172] § 626 Abs. 2 BGB findet Anwendung (vgl. oben Rdn 13 ff.). Außerdem bedarf es der fallbezogenen Abwägung aller für und gegen die sofortige Lösung des Arbeitsverhältnisses sprechenden Umstände im Einzelfall im Rahmen einer Interessenabwägung.[173] Der Arbeitnehmer ist für den wichtigen Grund darlegungs- und beweispflichtig.[174] Der Arbeitgeber kann auf Feststellung klagen, dass die außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmers unwirksam ist.[175]

II. Art der Kündigungsgründe

 

Rz. 61

Eine betriebsbedingte außerordentliche Arbeitnehmerkündigung kommt nicht in Betracht.

 

Rz. 62

Eine personenbedingte außerordentliche Arbeitnehmerkündigung ist möglich, wenn dem Arbeitgeber oder dem von ihm eingesetzten Ausbilder die für die Anerkennung einer Ausbildung oder Zulassung zu einer Abschlussprüfung erforderliche Ausbildungsbefugnis entzogen wird.[176]

 

Rz. 63

Eine verhaltensbedingte außerordentliche Arbeitnehmerkündigung kommt insbesondere bei Verletzung von Leistungspflichten durch den Arbeitgeber in Frage. Nach der Rechtsprechung des BAG kann ein Gehaltsrückstand an sich geeignet sein, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Nichtzahlung der Vergütung eine nicht unerhebliche Höhe erreicht oder der Verzug mit der Vergütungszahlung sich über einen erheblichen Zeitraum hinweg erstreckt und der Arbeitnehmer diesen Fehler abgemahnt hat. Neben der Höhe des Lohnrückstands kann es entscheidend sein, ob es sich um eine einmalige oder dauernde Unpünktlichkeit der Vergütung handelt.[177] Rückstände mit kleinen Vergütungsbeträgen berechtigen zu einer außerordentlichen Kündigung, wenn der Arbeitgeber die Vergütung willkürlich oder ohne nachvollziehbare Begründung hartnäckig verweigert.[178]

 

Rz. 64

Ein Arbeitnehmer ist nicht zur fristlosen Kündigung berechtigt, wenn er ein anderes Dienstverhältnis mit erheblich besseren Bedingungen nur eingehen kann, wenn er das bestehende Arbeitsverhältnis, für das eine längere Kündigungsfrist gilt, vorzeitig löst.[179]

[176] KR/Fischermeier/Krumbiegel, § 626 BGB Rn 143.
[178] BAG v. 26.7.2001– 8 AZR 739/00, NZA 2002, 325; BAG v. 30.5.1978 – 2 AZR 630/76, BAGE 30, 309, 313 f.; BAG v. 25.7.1963 – 2 AZR 510/62, BAGE 14, 266.
[179] Vgl. BAG v. 17.10.1969 – 3 AZR 442/68, EzA § 60 HGB Nr. 2.

III. Beispiele

 

Rz. 65

In der Rechtsprechung und Literatur[180] finden sich Beispiele der außerordentlichen Kündigung durch den Arbeitnehmer. Eine außerordentliche Kündigung kommt beispielsweise in Betracht bei Arbeitsschutzverletzungen;[181] bei Belästigungen und groben Beleidigungen des Arbeitnehmers;[182] bei sexuellen Belästigungen;[183] bei ausländerfeindlichen Maßnahmen, wenn die Vertrauensbasis zerstört ist;[184] bei Beschäftigungspflichtverletzungen des Arbeitgebers[185] oder Vertragsverletzungen des Arbeitgebers.[186]

 

Rz. 66

Keine außerordentliche Arbeitnehmerkündigung kommt in Betracht bei geplantem Arbeitsplatzwechsel des Arbeitnehmers;[187] bei zu geringem Verdienst, Ausnahme: Verdienst deckt das Existenzminimum des Arbeitnehmers nicht[188] oder Sittenwidrigkeit;[189] Gewissenskonflikt;[190] Verdächtigungen.[191]

 

Rz. 67

Ist eine außerordentliche fristlose Kündigung des Arbeitnehmers unwirksam und hat der Arbeitnehmer eine neue Tätigkeit bei einem Wettbewerber des Arbeitgebers aufgenommen, ist der Antrag des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer im Wege der einstweiligen Verfügung bis zu einer Entscheidung erster Instanz im Hauptsacheverfahren zu verurteilen, es zu unterlassen, längstens bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist für den Wettbewerber tätig zu werden, begründet. Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus dem Rechtsgedanken des § 60 Abs. 1 HGB.[192]

[180] Vgl. Schaub/Linck, Arbeitsrechts-Handbuch, § 127 Rn 149 ff.
[181] Vgl. BAG v. 28.10.1971 – 2 AZR 15/71, AP Nr. 62 zu § 626 BGB; LAG Köln v. 4.4.2019 – 6 Sa 444/18, juris; Schaub/Linck, Arbeitsrechts-Handbuch, § 127 Rn 151.
[182] V. Hoyningen-Huene, BB 1991, 2215.
[183] Schaub/Linck, Arbeitsrechts-Handbuch, § 127 Rn 151.

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