Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristlose Kündigung eines Arbeitnehmers

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nicht nur der Arbeitnehmer, sondern auch der Arbeitgeber kann durch eine fristlose Kündigung in seinem Ansehen betroffen sein und deshalb ein alsbaldiges Feststellungsinteresse iS von § 256 ZPO haben.

2. Das gilt auch für Arbeitgeber, die im Rechtsverkehr als juristische Person auftreten.

 

Normenkette

ZPO § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 13.02.1985; Aktenzeichen 7 Sa 133/84)

ArbG Oldenburg (Oldenburg) (Entscheidung vom 10.07.1984; Aktenzeichen 1 Ca 835/84)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der vom Beklagten ausgesprochenen fristlosen Kündigung.

Der Beklagte war seit dem 1. Januar 1980 bei der Klägerin als Richtbohroperator (Tiefbohrtechniker) beschäftigt. Sein monatliches Bruttoeinkommen betrug durchschnittlich 11.000,-- DM. Anfang März 1984 kam es zwischen den Parteien zum Streit wegen der Gehaltsabrechnung für den Monat Februar. Mit Schreiben vom 14. März 1984, das der Klägerin am 16. März 1984 zuging, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Trotz Aufforderung trat er seinen Dienst bei der Klägerin nicht wieder an, sondern nahm eine Tätigkeit bei der Firma E in Celle auf.

Die Klägerin ist der Auffassung, ein Grund für eine fristlose Kündigung liege nicht vor. Sie hat vorgetragen, zwischen den Parteien sei vereinbart worden, daß bei Turbineneinsätzen nicht mehr als 18 Stunden und beim regulären Meßservice nicht mehr als 12 Stunden abgerechnet würden. Innerhalb dieser Obergrenzen seien die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden zu berechnen gewesen. Zu der Gehaltskürzung im Februar 1984 in Höhe von 955,-- DM sei es gekommen, weil der Beklagte 24 Überstunden mehr aufgeschrieben habe, als von ihm gearbeitet worden seien. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei keine pauschale Abrechnung mit den Arbeitnehmern und mit den Kunden vereinbart worden. Vielmehr werde sowohl mit den Kunden als auch mit den Arbeitnehmern aufgrund der Stundenzettel des Arbeitnehmers abgerechnet. Aufgrund der Auseinandersetzung habe sie, die Klägerin, dem Beklagten mit Schreiben vom 12. März 1984 das Angebot unterbreitet, seine Akquisitionstätigkeit in Zukunft mit 1.500,-- DM monatlich pauschal abzugelten.

Die Klägerin hat beantragt festzustellen, daß die fristlose Kündigung des Beklagten vom 14. März 1984 unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis durch diese Kündigung nicht beendet worden ist.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er vorgetragen, es sei ihm nicht zumutbar gewesen, auch nur einen Tag länger bei der Klägerin zu arbeiten, da diese nicht mehr bereit gewesen sei, seine Leistungen wie vereinbart zu vergüten. Zwischen den Parteien sei mündlich vereinbart worden, daß Turbineneinsätze pauschal mit 18 Stunden und der reguläre Meßservice pauschal mit 12 Stunden zu vergüten sei. An diese Vereinbarung habe sich die Klägerin ab Februar 1984 nicht mehr gehalten, sondern von diesem Zeitpunkt an Lohnkürzungen vorgenommen. Das Angebot, das die Klägerin mit Schreiben vom 12. März 1984 unterbreitet habe, sei völlig unzureichend gewesen.

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung nicht fristlos, sondern fristgemäß am 30. Juni 1984 beendet worden ist und hat im übrigen die Klage mit der Begründung abgewiesen, bei einer einmaligen Gehaltskürzung von 955,-- DM im Februar 1984 bei einem Monatsgehalt von 11.000,-- DM sei es dem Beklagten zumutbar gewesen, zumindest die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts, während der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.

A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Feststellungsklage sei mangels eines rechtlichen Interesses an der erstrebten Feststellung unzulässig. Es sei weder ein wirtschaftliches noch ein rechtliches Interesse der Klägerin an der Feststellung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses ersichtlich. Bei einem wirtschaftlichen Interesse an der Weiterarbeit des Beklagten hätte sie ungeachtet mangelnder Vollstreckbarkeit (§ 888 Abs. 2 ZPO) eine Leistungsklage erheben müssen, da die Feststellungsklage bei einem Prozeßerfolg noch weniger als ein Leistungsurteil gewährleiste, daß der Beklagte seinen Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag nachkomme. Im übrigen lasse der Vortrag der Klägerin auch nicht erkennen, welche praktischen Folgen aus dem von ihr erstrebten Feststellungsurteil gezogen werden sollten. Sie habe nicht behauptet, daß ein Schaden entstanden sei oder entstehen könne. Entgegen ihrer in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht habe sie auch nicht etwa deshalb ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung, weil die fristlose Kündigung sie mit einem Makel belaste. Das e i n z i g e r k e n n b a r e Prozeßziel der Klägerin sei die einfache Feststellung, daß der Kläger keinen gesetzlichen Grund zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gehabt habe.

B. Das Urteil des Berufungsgerichts war aufzuheben, weil es zu Unrecht ein rechtliches Interesse (§ 256 ZPO) der Klägerin an der Feststellung der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung des Beklagten verneint hat.

I. Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, daß das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.

1. Vorliegend streiten die Parteien in der Revisionsinstanz nur noch darüber, ob das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen bereits durch fristlose Kündigung vom 14. März 1984 oder erst fristgemäß zum 30. Juni 1984 beendet worden ist. Gegenstand des Rechtsstreits ist also ein Rechtsverhältnis, der Bestand des Arbeitsverhältnisses über den 14. März 1984 hinaus bis zum 30. Juni 1984.

2. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß die Klägerin ein Interesse an der Feststellung des Rechtsverhältnisses haben muß.

a) Voraussetzung hierfür ist, daß mit der Feststellungsklage das Ziel der Klägerin erreicht werden kann (BAG Urteil vom 12. Oktober 1979 - 7 AZR 960/77 - AP Nr. 48 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag). Das ist regelmäßig nicht der Fall, wenn letzten Endes eine Leistung verlangt wird und eine Leistungsklage möglich ist (BAG Urteil vom 10. April 1957 - 4 AZR 384/54 - AP Nr. 6 zu § 256 ZPO; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., 1976 § 256 Anm. C II; Baumbach/Hartmann, ZPO, 43. Aufl., § 256 Anm. 5). Ist aber ausnahmsweise eine Feststellungsklage aus Gründen der Prozeßwirtschaftlichkeit sinnvoller als eine Leistungsklage, dann fehlt für die Feststellungsklage nicht schon deshalb das Rechtsschutzinteresse, weil eine Leistungsklage möglich ist (BGHZ 42, 340; BAG Urteil vom 28. November 1966 - 3 AZR 203/66 - AP Nr. 1 zu § 268 ZPO).

Bei dem Streit über den Bestand eines Arbeitsverhältnisses führt die Feststellungsklage regelmäßig zu einem sinnvolleren Ergebnis als die Leistungsklage, weil mit ihr rechtskräftig der Bestand des Arbeitsverhältnisses festgestellt werden kann, das wiederum die Grundlage für eine ganze Reihe verschiedener gegenseitiger Ansprüche ist.

b) Vorliegend ist die Feststellungsklage sachgerecht, weil zwischen den Parteien Streit darüber besteht, ob das Arbeitsverhältnis über den 14. März 1984 hinaus fortbestanden hat.

3. Die Klägerin hat auch ausweislich der Entscheidungsgründe des Urteils des Landesarbeitsgerichts ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung und damit des Bestandes des Arbeitsverhältnisses bis zum 30. Juni 1984 geltend gemacht, indem sie ausgeführt hat, der Vorwurf des Beklagten, sie habe ihre arbeitsvertraglichen Pflichten, insbesondere die Gehaltszahlungspflicht, in einem solchen Maße verletzt, daß es ihm nicht zumutbar sei, auch noch einen Tag bei ihr zu arbeiten, sei ein Makel, von dem sie sich befreien müsse.

a) Für Arbeitnehmer hat der Senat im Urteil vom 4. August 1960 (- 2 AZR 499/59 - AP Nr. 34 zu § 256 ZPO) bereits entschieden, daß stets ein berechtigtes Interesse daran bestehe, auf Feststellung des Weiterbestehens des Vertragsverhältnisses zu klagen, selbst wenn auf Zahlungsleistungen geklagt werden könnte. Begründet hat der Senat dies damit, der Arbeitnehmer sei durch eine fristlose Kündigung in seiner Ehre und seinem gesellschaftlichen Ansehen betroffen.

b) Wenn auch der Arbeitnehmer wegen seiner persönlichen Abhängigkeit in einem weitaus größeren Maße darauf angewiesen ist, vom Gericht feststellen zu lassen, daß der Vorwurf eines groben Vertragsbruchs, der zu einer fristlosen Kündigung führte, unbegründet ist, weil dies für sein berufliches Fortkommen erhebliche Bedeutung hat, so ist der Revision doch zuzugeben, daß auch der Arbeitgeber in seinem Ansehen durch die fristlose Kündigung des Arbeitnehmers betroffen sein kann.

Die Klägerin ist als Aktiengesellschaft zwar eine juristische Person. Auch diese wird aber heute allgemein als Träger des Rechts auf Ehre (allgemeines Persönlichkeitsrecht) anerkannt (BGH Urteil vom 18. Juni 1974 - VI ZR 16/73 - NJW 1974, 1762; BGH Urteil vom 3. Juni 1975 - VI ZR 123/74 - NJW 1975, 1882 = JZ 1975, 637 mit Anm. Hubmann; BGHZ 78, 274, 278 ff.; MünchKomm-Schwerdtner, BGB, 2. Aufl., 1982 § 12 Rz 250; Soergel/Zeuner, BGB, 11. Aufl., 1985 § 823 Rz 78 und Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, 1967, S. 336). Das gilt auch für nicht rechtsfähige Personengesamtheiten wie z.B. Gewerkschaften (BGH Urteil vom 18. Mai 1971 - VI ZR 220/69 - NJW 1971, 1655) oder eine Kommanditgesellschaft (BGHZ 78, 24; BGHZ 81, 75, 78). Die Ehre kann verletzt werden durch das Aufstellen von unmittelbaren, ansehensschädigenden Tatsachenbehauptungen (BGH Urteil vom 8. Juli 1980 - VI ZR 159/78 - NJW 1980, 2801, 2804).

c) Vorliegend hat der Beklagte behauptet, zwischen den Parteien sei vereinbart gewesen, bei Turbineneinsätzen 18 Stunden und bei regulärem Meßservice 12 Stunden abzurechnen. Diese Vereinbarung habe die Klägerin im Februar 1984 plötzlich gebrochen und vertragswidrig ein um 955,-- DM zu niedriges Entgelt gezahlt und habe für die Zukunft Kürzungen gleicher Art in Aussicht gestellt. Selbst die Androhung einer fristlosen Kündigung durch Schreiben vom 6. März 1984 habe die Klägerin nicht zu einem vertragsgemäßen Verhalten bringen können. Vielmehr habe die Klägerin durch Schreiben vom 12. März 1984 ein völlig unzumutbares Vertragsänderungsangebot unterbreitet, durch das sie sich aber noch nicht einmal habe binden wollen. Diese Vorwürfe sind geeignet, das Ansehen der Klägerin als Arbeitgeberin zu beeinträchtigen und es in Zukunft zu erschweren, besonders geeignete qualifizierte Arbeitnehmer vertraglich an sich zu binden. Dementsprechend hat die Klägerin ein rechtliches Interesse daran feststellen zu lassen, daß die Vorwürfe nicht zutreffen und aus diesem Grunde die fristlose Kündigung des Beklagten das Arbeitsverhältnis nicht am 14. März 1984, sondern erst zum 30. Juni 1984 beendet hat.

II. Ist dementsprechend die Klage zulässig, war das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über die Begründetheit der Klage an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

Hillebrecht Triebfürst Dr. Weller

Thieß Brocksiepe

 

Fundstellen

Haufe-Index 437725

BB 1986, 2418-2419 (LT1-2)

DB 1986, 2678-2679 (LT1-2)

ARST 1987, 11-12 (LT1-2)

NZA 1986, 714-714 (LT1-2)

RdA 1986, 336

RzK, I 10e Nr 3 (LT1-2)

RzK, I 9k Nr 5 (LT1-2)

AP § 256 ZPO 1977 (LT1-2), Nr 9

AR-Blattei, ES 1260 Nr 5 (LT1-2)

AR-Blattei, Persönlichkeitsrecht Entsch 5 (LT1-2)

Arbeitgeber 1988, 69-69 (LT1-2)

EzA § 256 ZPO, Nr 25 (LT1-2)

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