Rz. 1643

In Betrieben ohne Betriebsrat (vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) gewinnt die Regelung des § 106 S. 2 GewO mit Blick auf das Ordnungsverhalten praktische Bedeutung. Für die Bewertung und Entscheidung der in der Praxis immer wieder auftretenden Streitfragen kommt es darauf an, inwieweit das Direktionsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf das Verhalten der Arbeitnehmer und die Ordnung des Betriebs durch einzelvertragliche Absprachen eingeschränkt ist. Sofern eine arbeitsvertragliche Regelung besteht, die das betriebliche Ordnungsverhalten in die eine oder die andere Richtung hin abschließend festlegt, ist ein einseitiges Direktionsrecht des Arbeitgebers ausgeschlossen (pacta sunt servanda). Schon aus Gründen der Gleichbehandlung der Arbeitnehmer und einer möglichst großen Flexibilität für Anpassungen des Betriebs an künftige, nicht prognostizierbare Entwicklungen ist Arbeitgebern anzuraten, bei dem Abschluss von Arbeitsverträgen keine derartigen Festlegungen zu treffen, wenn es hierfür keine triftigen, gewichtigen Gründe gibt. Regelungen zu den bekannten Problemfeldern des Ordnungsverhaltens sollten im Arbeitsvertrag möglichst ausdrücklich einer einseitigen Entscheidung des Arbeitgebers vorbehalten oder aber nicht angesprochen werden.[3726] Die nachstehende Auflistung gibt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – mit Fundstellen aus der Rechtsprechung einen stichwortartigen Überblick über die rechtlichen Themen­felder:[3727]

Alkohol-, Rauch- und Drogenverbote,[3728]
Anlegen von Dienst-[3729] und Schutzkleidung,[3730]
Bekleidungsvorschriften (Kleiderordnungen),[3731]
(Nicht-)Annahme von Geschenken und/oder Vorteilen (Compliance-Richtlinien),[3732]
Code of Conduct, Verhaltenskodex,[3733]
Drogen-Screenings, Urin- oder Blutproben – Ein Arbeitnehmer ist regelmäßig nicht verpflichtet, im laufenden Arbeitsverhältnis routinemäßigen Blutuntersuchungen zur Klärung, ob er alkohol- oder drogenabhängig ist, zuzustimmen,[3734]
Parkplatzordnung,[3735]
Sicherheits- und Torkontrollen,[3736]
Telefon-, E-Mail- und Internetnutzung.[3737]
[3726] Borgmann/Faas, NZA 2004, 241, 244.
[3727] HWK-Lembke, § 106 GewO, Rn 46 ff.
[3730] LAG Düsseldorf 10.1.2018 – 4 Sa 449/17, LAGE § 4 TVG Chemische Industrie Nr. 8.
[3732] Auch ohne ausdrückliche Regelung besteht eine Nebenpflicht des Arbeitnehmers gemäß § 241 BGB zur Unbestechlichkeit und zur Nichtannahme von Geschenken und Zuwendungen mit nicht nur geringfügigem Wert. Vgl. auch § 3 Abs. 2 TVöD.
[3733] BAG 22.7.2008 – 1 ABR 40/07, NZA 2008, 1248; Regelungen und Weisungen, welche die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisieren – sog. Arbeitsverhalten – sind nicht mitbestimmungspflichtig. Auch der außerbetriebliche private Lebensbereich der Arbeitnehmer ist der Regelungsbefugnis der Betriebsparteien entzogen, vgl. BAG 22.8.2017 – 1 ABR 52/14, NZA 2018, 50. Vgl. auch Schneider/Sittard, NZA 2007, 654; Schuster/Darsow, NZA 2005, 273.
[3735] Kirchliches ArbG für die Diözesen Limburg, Mainz, Speyer, Trier 29.3.2019 – M 13/19 Mz -ewVfg, ZMV 2019, 145.
[3736] BAG 26.5.1988 – 1 ABR 9/87, NZA 1988, 811; weiterführend Grimm, jM 2016, 17.
[3737] ArbG München 18.11.2015 – 9 BVGa 52/15, LAGE § 87 BetrVG 2001 Betriebliche Ordnung Nr. 13; Braun/Spiegl, AiB 2008, 393.

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