Entscheidungsstichwort (Thema)

Vergütungspflicht von Umkleidezeiten. Anspruch auf Vergütung von regelmäßig anfallenden Schichtübergabezeiten von Wechselschichtarbeitnehmern

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat der Arbeitgeber das Tragen einer besonders auffälligen Dienstkleidung im Betrieb angeordnet und legt der Arbeitnehmer diese Dienstkleidung im Betrieb an und ab, ist die hierfür erforderliche Zeit einschließlich der Wegezeit grundsätzlich vergütungspflichtig; auf eine Anordnung des Arbeitgebers, die Dienstkleidung im Betrieb an- und abzulegen, kommt es in diesem Fall nicht an (im Anschluss an BAG 06.09.2017 - 5 AZR 382/16).

2. § 6 Abs. 2 MTV Chemische Industrie NRW stellt die Vergütungspflicht von Umkleidezeiten unter den Vorbehalt einer diese Pflicht positiv regelnden Betriebsvereinbarung; ohne Betriebsvereinbarung bleiben Umkleidezeiten ohne Ausgleich.

3. § 6 Abs. 2 MTV Chemische Industrie NRW erfasst alle grundsätzlich vergü-tungspflichtigen Umkleidezeiten unabhängig davon, ob der Arbeitgeber das Umkleiden im Betrieb angeordnet hat.

4. Überschreitungen der 37,5-Stunden-Woche durch regelmäßig anfallende, geringfügige Schichtübergabezeiten von Wechselschichtarbeitnehmern in vollkontinuierlichen und teilkontinuierlichen Betrieben zählen gemäß § 2 Ziffer I Nr. 2 Satz 2 MTV Chemische Industrie NRW als "durch den Schichtplan bedingt" zur regelmäßigen Arbeitszeit. Die Überschreitungen sind - ohne Mehrarbeitszuschlag - zusätzlich zu vergüten.

 

Normenkette

MTV Chemische Industrie NRW § 2 I Nr. 2 S. 2, § 3 Ziff. I Abs. 8, § 6 Abs. 2; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256; BGB § 611; ZPO § 138 Abs. 2-3

 

Verfahrensgang

ArbG Mönchengladbach (Entscheidung vom 17.03.2017; Aktenzeichen 4 Ca 2891/16)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 12.12.2018; Aktenzeichen 5 AZR 124/18)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach v. 17.03.2017 - 4 Ca 2891/16 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

    1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Schichtarbeitszeit vor und nach der Schichtzeit des Klägers in Höhe von insgesamt 7,5 (siebeneinhalb) Minuten arbeitstäglich dem Arbeitszeitkonto des Klägers als Arbeitszeit gutzuschreiben.
    2. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
  • II.

    Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

  • III.

    Die Kosten des Rechtsstreits haben zu 89 % der Kläger und zu 11 % die Beklagte zu tragen.

  • IV.

    Die Revision wird für den Kläger zugelassen, für die Beklagte hingegen nicht.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Vergütungspflicht für im Betrieb der Beklagten anfallende Umkleide- und Schichtübergabezeiten.

Der Kläger ist Ingenieur und seit dem 1. Juli 2005 als Schichtführer in den Produktionsanlagen des beklagten Chemieunternehmens in E. beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet gemäß § 12 des Arbeitsvertrages vom 18. März 2005 (Anlage K1, Bl. 38 - 43 d. A.) der Manteltarifvertrags der Chemischen Industrie in Nordrhein-Westfalen (MTV) Anwendung. Gemäß § 5 des Arbeitsvertrages ist der Kläger in die Entgeltgruppe E 12 T nach dem 4. Berufsjahr MTV eingestuft. Die Vergütung betrug zuletzt 5.600 Euro brutto monatlich bei 37,5 Wochenarbeitsstunden. Zusätzliche Arbeitszeiten der Schichtarbeitnehmer führen zu Gutschriften auf ihrem Arbeitszeitkonto. Eine Vergütung von Gutschriften erfolgt, wenn am Jahresende ein positiver Saldo verbleibt.

Der Kläger wird im vollkontinuierlichen Wechselschichtbetrieb eingesetzt, worin die Arbeitsleistungen in fünf Schichtgruppen von Montag bis Sonntag verteilt erbracht werden. Täglich findet bei jedem Schichtwechsel eine Schichtübergabe statt, in welcher dem nachfolgenden Mitarbeiter die für die Weiterarbeit relevanten Informationen weitergegeben werden. Der hierfür erforderliche Zeitraum beträgt täglich insgesamt zwischen fünf und zehn Minuten.

Gemäß Ziff. 4.2 der Betriebsvereinbarung über Arbeitszeit vom 18. Dezember 2014 (BV Arbeitszeit, Anlage K3, Bl. 48 - 55 d. A.) besteht für Mitarbeiter bei der Beklagten die Pflicht, während der gesamten Schichtzeit eine persönliche Schutzausrüstung (PSA) zu tragen, bestehend aus flammenhemmender Schutzkleidung (Hose/Jacke) und Sicherheitsschuhen (Lichtbild Anlage B2, Bl. 117 d. A.). Hierbei handelt es sich um eine schwer entflammbare Schutzbekleidung für hitzeexponierte Industriearbeiter. Die Schutzjacke ist dunkelblau mit einem breiten, gelben Bruststreifen. Auf Brusthöhe befindet sich seitlich in heller, lichtreflektierender Schrift auf gelbem Untergrund das Firmenlogo der Beklagten. Schutzhose und Schuhe sind ebenfalls in Dunkelblau gehalten. Auf jedem Hosenbein befindet sich ein Lichtreflektor-Streifen. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Lichtbilder in der Anlage K6 bis K8, Bl. 149 -151 d. A.) verwiesen.

Während der Arbeit im Betrieb besteht für den Kläger die Möglichkeit, dass seine Schutzkleidung mit den Chemikalien Amarel 5000, Ferrocid 8581, Natriumhydrochlorid, Oasewhite und Oasewhiteenriched in Berührung kommt. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Anlagen K11 bis K16 (Bl. 154 - 192 d. A.) ...

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