Rz. 1558

"Versetzung" bedeutet jeden Wechsel des Arbeitsplatzes nach Ort, Zeit, Umfang oder Inhalt der Arbeit auf Anordnung des Arbeitgebers und beinhaltet die einseitige Änderung der Arbeitsbedingungen durch rechtsgeschäftsähnliche Erklärung des Arbeitgebers sowie durch tatsächliche Einweisung in die neue Tätigkeit. Das Arbeitsvertragsrecht bestimmt, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber individualrechtlich zur Versetzung berechtigt ist.

Das Recht des Arbeitgebers zu einer Versetzungsanordnung folgt zunächst aus dem Weisungsrecht (Direktionsrecht), also dem Recht, einseitig die im Arbeitsvertrag rahmenmäßig umschriebene Leistungspflicht des Arbeitnehmers nach Inhalt, Ort und Zeit näher zu bestimmen, vgl. § 106 GewO (siehe auch Rdn 1562 ff.).
Das arbeitgeberseitige Direktionsrecht kann durch eine Versetzungsklausel erweitert werden.
Umgekehrt kann das Direktionsrecht durch eine negative Versetzungsklausel eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.
Kann der Arbeitgeber die geänderten Arbeitsbedingungen nicht im Wege des Weisungsrechts durchsetzen, ist er auf das Einverständnis des Arbeitnehmers angewiesen; es verbleibt ansonsten die Möglichkeit einer Änderungskündigung (§ 2 KSchG).

Zur Beantwortung der Frage, ob der Arbeitgeber sein Direktionsrecht wirksam ausüben kann bzw. ausgeübt hat, ist eine zweistufige Prüfung vorzunehmen:

Auf der ersten Stufe ist zu fragen, ob dem Arbeitgeber (überhaupt) ein wirksames Direktionsrecht zusteht, und wie weit dieses reicht. Dies bemisst sich nach § 106 GewO unter Berücksichtigung der dort genannten Grenzen aufgrund individual- bzw. kollektivrechtlicher Regelungen oder gesetzlicher Vorschriften. Ggf. ist das Direktionsrecht durch eine Versetzungs-/Änderungsklausel erweitert. Soweit sie vom Arbeitgeber vorformuliert oder von ihm zur Verwendung bestimmt ist, unterliegt die Versetzungsklausel der AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff BGB (Inhaltskontrolle).
Auf der zweiten Stufe, der sog. "Ausübungskontrolle", wird geprüft, ob die Ausübung des grundsätzlich bestehenden Direktionsrechts unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls billigem Ermessen entspricht. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitgeber die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien angemessen berücksichtigt hat.

Im Falle von Streitigkeiten über die Wirksamkeit der Ausübung des Weisungsrechts trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Leistungsbestimmung im Rahmen der gesetzlichen, einzel- und kollektivvertraglichen Grenzen erfolgt ist sowie billigem Ermessen entspricht.[3452]

 

Rz. 1559

Zudem sind die Beteiligungsrechte des Betriebsrats in Zusammenhang mit Versetzungen gem. §§ 99 Abs. 1, 95 Abs. 3 BetrVG zu beachten.

Eine Versetzung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn ist die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet, oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist, § 95 Abs. 3 BetrVG. Jede Versetzung – sowohl die, die der Arbeitgeber individualrechtlich im Wege des Weisungsrechts anordnen kann,[3453] als auch die, die im Wege der Änderungskündigung umgesetzt werden,[3454] bedarf der Zustimmung des Betriebsrats, § 99 BetrVG. Im Betriebsverfassungsrecht geht es um Aspekte des betrieblichen Miteinanders; der Betriebsrat prüft also nicht die einzelvertragliche Wirksamkeit der Versetzung, sondern seine Prüfung ist beschränkt auf die gesetzlichen Zustimmungsverweigerungsgründe nach § 99 Abs. 2 BetrVG, nämlich:

Verstoß gegen Rechtsvorschriften
Verstoß gegen eine Auswahlrichtlinie
Benachteiligung anderer Arbeitnehmer
Benachteiligung des betroffenen Arbeitnehmers
unterbliebene Ausschreibung im Betrieb
Gefahr für den Betriebsfrieden.
 

Rz. 1560

Die Zustimmung bzw. Ersetzung der Zustimmung durch das Arbeitsgericht (§ 99 Abs. 4 BetrVG) ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die tatsächliche Zuweisung des neuen Arbeitsbereichs. Ohne Zustimmung des Betriebsrats – bzw. Zustimmungsersetzung durch das Arbeitsgericht – kann der Arbeitgeber die geänderten Arbeitsbedingungen nicht durchsetzen, und der Arbeitnehmer ist in dem bisherigen Arbeitsbereich weiter zu beschäftigen; andernfalls kann er Annahmeverzugslohn beanspruchen. Der Arbeitgeber ist auch nicht verpflichtet, ein Zustimmungsersetzungsverfahren durchzuführen.[3455]

 

Rz. 1561

 

Praxistipp

Die Zustimmung des Betriebsrats oder die rechtskräftige Ersetzung der Zustimmung nach § 99 Abs. 4 BetrVG entfaltet keine präjudizielle Wirkung – weder zugunsten des Arbeitgebers, noch zu Lasten des von der Versetzung betroffenen Arbeitnehmers. Das heißt: Liegt die Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung vor, erweitert dies nicht den vertraglichen Spielraum des Arbeitgebers. Umgekehrt entbinden weder die arbeitsvertragliche Wirksamkeit der Versetzung noch das Einverständnis des Arbeitnehmers mit dem neuen Arbeitsbereich den Arbeitgeber von der Pflicht, die Zustimmung...

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