Rz. 92

§ 15 Abs. 2 AGG betrifft den Ersatz des immateriellen Schadens. Der Entschädigungsanspruch baut gesetzestechnisch auf dem Schadensersatzanspruch des § 15 Abs. 1 AGG auf, weshalb als Anspruchsvoraussetzung ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG vorliegen muss (BAG v. 28.5.2009 – 8 AZR 536/08). Macht ein Bewerber, der aufgrund eines der in § 1 AGG genannten Merkmale abgelehnt wurde, ggü. dem Arbeitgeber einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG geltend, so kann die anschließende Aufforderung seitens des Arbeitgebers, sich abermals zu bewerben und zu einem Vorstellungsgespräch zu erscheinen, eine zuvor erfolgte Diskriminierung nicht beseitigen und lässt daher den Entschädigungsanspruch nicht entfallen (LAG Hamm v. 19.5.2011 – 14 Ta 519/10). Dagegen zieht eine abstrakte Diskriminierung ohne konkrete eigene Benachteiligung keinen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG nach sich. Auch das europäische Recht sieht in Fällen der abstrakten Diskriminierung keine Entschädigung konkreter Personen vor (BAG v. 19.8.2010 – 8 AZR 370/09). Im Gegensatz zum Schadensersatzanspruch haftet der Arbeitgeber für den immateriellen Schaden verschuldensunabhängig (BT-Drucks 16/1780, 38; BAG v. 28.10.2021 – 8 AZR 371/20). Er haftet nur, wenn er selbst benachteiligt oder ihm eine Benachteiligung zuzurechnen ist (Simon/Greßlin, BB 2007, 1782). Die Zurechnungsregeln der §§ 278, 31 BGB wären grds. nicht anzuwenden, da sie an das Verschulden anknüpfen. Dies würde dazu führen, dass im Fall einer juristischen Person als Arbeitgeber es nie eine Entschädigung geben würde, da juristische Personen nur durch ihre Organe (z.B. Vorstand, Geschäftsführer) handeln und damit auch nie selbst benachteiligen könnten. Um zu einem angemessenen Ausgleich zu kommen, sind die §§ 278, 31 BGB für die Zurechnung der Benachteiligung entsprechend anwendbar (Simon/Greßlin, BB 2007, 1782). So trifft den Arbeitgeber im Fall der Fremdausschreibung eine Überwachungspflicht, damit er seine Pflichten aus § 11 AGG nicht umgehen kann. Es geht nicht um die Zurechnung des Verschuldens des Dritten, sondern allein um die Zurechnung von dessen Handlungsbeitrag im vorvertraglichen Vertrauensverhältnis (BVerfG v. 21.9.2006 – 1 BvR 308/03). Bedient der Arbeitgeber sich zur Stellenausschreibung der BA und verletzt diese die Pflicht zur geschlechtsneutralen Stellenausschreibung, ist dem Arbeitgeber dieses Verhalten i.d.R. zuzurechnen (BAG v. 5.2.2004 – 8 AZR 112/03; zur vollumfänglichen Zurechnung: BAG v. 23.1.2014 – 8 AZR 118/13 m.w.N.). Über den Entschädigungsanspruch kann nachträglich durch individuelle Vereinbarung zwischen den Parteien disponiert werden – die Vorschrift des § 31 AGG steht dem nicht entgegen (BAG v. 28.10.2021 – 8 AZR 371/20).

 

Rz. 93

Die Höhe der Entschädigungszahlung ist so zu bemessen, dass sie abschreckend, wirksam und verhältnismäßig ist (Art. 15 S. 2 der R 2000/43/EG und Art. 17 S. 2 der R 2000/78/EG). Die Höhe der im Einzelfall zu zahlenden Entschädigung steht im Ermessen des ArbG. Dabei hat es verschiedene Gesichtspunkte zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen wie Schwere der Verletzung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und Beweggrund des Handelns, Verantwortlichkeit und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers, Höhe der Vergütung des Benachteiligten, bereits erhaltene Genugtuung bzw. erhaltener Schadensersatz sowie Abschreckungswirkung der Entschädigungszahlung (vgl. BAG v. 22.1.2009 – 8 AZR 906/07). Eine Beschränkung für die Entschädigung auf höchstens drei Monatsgehälter ist nur in dem Fall gegeben, in dem der Beschäftigte bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Für diese Tatsache ist der Arbeitgeber beweispflichtig, wenn der Arbeitnehmer geltend gemacht hat, er hätte bei einer benachteiligungsfreien Auswahl den Arbeitsplatz erhalten (BAG v. 19.8.2010 – 8 AZR 530/09). In den restlichen Fällen ist die Höhe der Entschädigungszahlung nicht beschränkt, § 15 Abs. 2 S. 2. Im Fall einer diskriminierenden Kündigung ist bei erheblicher Schwere der Diskriminierung eine Entschädigung von drei Bruttomonatsverdiensten des Arbeitnehmers festzusetzen. Dies gilt selbst dann, wenn sich der Arbeitnehmer gegen eine Kündigung in der Probezeit, die innerhalb eines Monats erfolgen kann, nicht hätte wehren können (LAG Bremen v. 29.6.2010 – 1 Sa 29/10). Eine Festsetzung der Entschädigung auf "Null" bei geringem Verschulden des Arbeitgebers ist nicht möglich (BAG v. 28.10.2021 – 8 AZR 371/20).

 

Rz. 94

Für einen Entschädigungsanspruch wegen Nichteinstellung wird zusätzlich vorausgesetzt, dass der Bewerber sich subjektiv ernsthaft um die Stelle beworben hat und objektiv für die Besetzung der Stelle in Betracht kam. Ist ein Bewerber für eine ausgeschriebene Stelle offensichtlich ungeeignet, so stellt seine Nichtberücksichtigung im weiteren Bewerbungsverfahren keine Benachteiligung i.S.d. § 15 AGG dar (BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 997/12). Die Voraussetzungen für den Status als Bewer...

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