Entscheidungsstichwort (Thema)

Alter. Benachteiligung. Bewerbung. Diskriminierung. Erfolgsaussicht. Mith&ören. Parteivernehmung. Telefonat

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Feststellung einer ernsthaften Bewerbungsabsicht handelt es sich typischerweise um eine aufgrund eines feststehenden Sachverhalts vorzunehmende Wertungsfrage, deren Entscheidung allein dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleibt und nicht im Prozesskostenhilfeverfahren erfolgen kann.

2. Macht ein aufgrund eines der in § 1 AGG genannten Merkmale abgelehnter Bewerber gegenüber dem Arbeitgeber einen Schadenersatzanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG geltend, kann die nachfolgende Aufforderung, sich erneut zu bewerben und zu einem Vorstellungsgespräch zu erscheinen, eine zuvor erfolgte Diskriminierung nicht beseitigen.

3. Es begegnet grundsätzlichen Zweifeln, die auf eine solche Aufforderung hin unterbliebene Bewerbung als Indiz dafür zu werten, dass eine ernsthafte Bewerbungsabsicht zum Zeitpunkt der ersten Bewerbung nicht vorlag. Vielmehr ist es nach der Geltendmachung eines Entschädigungsanspruches naheliegend davon auszugehen, dass die Aufforderung zu einer erneuten Bewerbung und Vorstellung nicht ernst gemeint ist, sondern lediglich zur Vermeidung eines Entschädigungsanspruches die Vorstufe für eine dann vermeintlich begründete Ablehnung darstellt (gegen LAG Hamburg, 19. November 2008, 3 Ta 19/08, juris).

4. Die Vernehmung der gegnerischen Partei gemäß § 445 ZPO ist nicht vorrangig gegenüber der Vernehmung der beweisbelasteten Partei gemäß § 448 ZPO.

5. Ein Fall des grundsätzlich einem Beweisverwertungsverbot unterliegenden heimlichen Mithörens liegt nicht vor, wenn ein bei einem Telefonat ohne Kenntnis des anderen Gesprächsteilnehmers anwesender Zeuge, der dessen Äußerungen nicht mithört, darüber vernommen wird, was eine Partei in seiner Gegenwart am Telefon erklärt hat.

 

Normenkette

AGG §§ 1, 7; ZPO §§ 114, 445

 

Verfahrensgang

ArbG Paderborn (Beschluss vom 25.08.2010; Aktenzeichen 3 Ca 416/10)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 25. August 2010 (3 Ca 416/10) abgeändert.

Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug in vollem Umfang mit Wirkung vom 3. März 2010 bewilligt.

Zur Wahrnehmung seiner Rechte in diesem Rechtszug wird ihm Rechtsanwalt M3 aus S1-S2 zu den Bedingungen eines im Bezirk des Arbeitsgerichts Paderborn niedergelassenen Rechtsanwalts beigeordnet.

Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgt mit der Maßgabe, dass der Kläger aus seinem Einkommen monatliche Raten in Höhe von 60,00 EUR zu leisten hat.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger verfolgt mit seiner Klage gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, weil dieser seine Bewerbung auf eine freie Stelle allein wegen seines Alters abgelehnt haben soll.

Der Beklagte ist Inhaber der Firma M2 Automation M1 K2, die Dienstleistungen im Bereich Montage, Inbetriebnahme, Wartung und Kundendienst von Lackieranlagen anbietet. Über die Agentur für Arbeit schrieb er eine Stelle für einen Mechatroniker, Techniker (Maschinentechnik/Anlagentechnik) oder Elektroniker (Betriebstechnik) aus, auf die sich der Kläger am 26. November 2009 telefonisch bewarb. Hierin kamen sowohl die Qualifikation des Klägers als auch sein Alter zur Sprache. Die weiteren Einzelheiten des Gesprächs sind streitig.

Mit Schreiben vom 18. Dezember 2009 machte der Kläger schriftlich einen Anspruch auf Zahlung von Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG geltend. Dieser wurde mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 8. Januar 2010 zurückgewiesen, weil eine Ablehnung der Bewerbung des Klägers aufgrund seines Alters zu keinem Zeitpunkt stattgefunden habe. Im Übrigen heißt es in diesem Schreiben weiter:

Möglicherweise ist es zwischen den beiden Gesprächspartnern zu einem Missverständnis gekommen, das leicht hätte ausgeräumt werden können.

Im Übrigen ist die ausgeschriebene Arbeitsstelle noch nicht neu besetzt worden.

Ihr Mandant hat also weiterhin die Möglichkeit, aussagekräftige Bewerbungsunterlagen einzureichen, damit anhand dieser über eine Einstellung entschieden werden kann.

Mit seiner am 3. März 2010 eingegangenen Klage verfolgt der Kläger seinen Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung in Höhe von nicht unter 7.200,00 EUR weiter und hat zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Zur Begründung behauptet er, er habe nach Kenntnisnahme des Stellenangebots am 26. November 2009 gegen 14.00 Uhr mit dem zuständigen Sachbearbeiter H2 der Agentur für Arbeit H1 telefoniert und mit diesem das Stellenangebot besprochen. Dabei sei man übereinstimmend zu der Überzeugung gelangt, dass eine Bewerbung hinreichende Aussicht auf Erfolg haben dürfte, weil der Kläger die vom Beklagten formulierten Voraussetzungen des Stellenangebots (wegen der Einzelheiten vgl. Bl. 6, 31-33 der Hauptakte) erfülle. Danach habe der Kläger mit seiner Lebensgefährtin über die Stelle gesprochen, um sich zu vergewissern, dass diese seine...

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