Rz. 373

Bei der Auslegung von Regelungen über Sonderzahlungen ist häufig festzustellen, dass die Regelung mehrere Leistungsziele miteinander verknüpft. So ist es z.B. möglich, die Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers wie die Arbeitsleistung gleichermaßen zu vergüten (BAG v. 18.8.1999 – 10 AZR 613/98; BAG v. 7.11.1991 – 6 AZR 489/89; BAG v. 15.2.1990 – 6 AZR 381/88; LAG Rheinland-Pfalz v. 11.5.2005 – 10 Sa 903/04). Wie die Gratifikation ausgestaltet wird, steht im Ermessen der Tarifvertragsparteien, der Betriebspartner oder der Einzelvertragsparteien (BAG v. 10.1.1991 – 6 AZR 205/89; BAG v. 7.12.1989 – 6 AZR 324/88). Das BAG hat seine Rechtsprechung zu Sonderzahlungen mit Mischcharakter dahingehend verschärft, dass AGB-basierte Sonderzahlungen stichtagsfeindlich sind. Zunächst hatte der Zehnte Senat des BAG mit seinem Urt. v. 18.1.2012 (10 AZR 612/10) für den Fall eines Stichtags außerhalb des Bezugszeitraums seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben, wonach Stichtagsregelungen in Zusagen mit Mischcharakter grundsätzlich zulässig waren. Mit weiterem Urt. v. 13.11.2013 (10 AZR 848/12) erweiterte das BAG sodann konsequent seine Linie und erklärte, dass eine Sonderzahlung, die auch Gegenleistung für im gesamten Kalenderjahr laufend erbrachte Arbeit darstellt, in AGB regelmäßig nicht vom Bestand des Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember des betreffenden Jahres abhängig gemacht werden kann. Demgegenüber bleiben bis auf Weiteres Stichtagsklauseln für Sonderzahlungen mit Mischcharakter in Tarifverträgen zulässig (BAG v. 27.6.2018 – 10 AZR 290/17).Das hat das LAG Berlin-Brandenburg zuletzt auch für Betriebsvereinbarungen bestätigt (LAG Berlin-Brandenburg v. 29.1.2020 – 4 Sa 1456/19; krit. dazu Sura, ArbRAktuell 2022, 325).

Ob eine Sonderzahlung als Entgelt mit Mischcharakter einzuordnen ist, ergibt sich aus dem Zweck und dem Motiv der Zahlung. Die Zweckbestimmung ergibt sich vornehmlich aus den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen, von deren Vorliegen und Erfüllung die Leistung abhängig gemacht wird. Die Bezeichnung der Sondervergütung ist hingegen nicht als ausschlaggebendes oder gar alleiniges Merkmal für die Bestimmung des Zweckes heranzuziehen. Sie dient lediglich als zusätzliches Indiz (BAG v. 21.5.2003 – 10 AZR 408/02; BAG v. 7.11.1991 – 6 AZR 489/89; BAG v. 13.6.1991 – 6 AZR 421/89; LAG Rheinland-Pfalz v. 24.4.2008 – 11 Sa 87/08). Liegt einer Sonderleistung ein mehrfacher Zweck zugrunde, kommt es für die rechtliche Beurteilung nicht darauf an, welchem Zweck eine übergeordnete oder untergeordnete Bedeutung zukommt (BAG v. 10.5.1995 – 10 AZR 648/94; BAG v. 16.3.1994 – 10 AZR 669/92; BAG v. 10.1.1991 – 6 AZR 205/89; BAG v. 24.10.1990 – 6 AZR 156/89; a.A. Gaul, BB 1994, 565).

 

Rz. 374

Sondervergütungen, mit denen ausschließlich die vom Arbeitnehmer gezeigte Betriebstreue vergütet werden soll, sind selten. Lediglich sog. Treue- oder Jubiläumsgelder dürften hierunter fallen, da sie ausschließlich eine vergangenheitsbezogene Zielrichtung verfolgen und die tatsächliche Arbeitsleistung i.d.R. irrelevant ist. Abgesehen von dieser Fallgruppe der Sondervergütung ist in der Rspr. der Grundsatz aufgestellt worden, dass im Zweifel mit der Zahlung einer Gratifikation oder sonstigen Sonderleistung mindestens auch die im Bezugszeitraum für den Betrieb geleistete Arbeit eines Arbeitnehmers zusätzlich anerkannt und vergütet werden soll (BAG v. 21.1.2014 – 9 AZR 134/12; BAG v. 5.8.1992 – 10 AZR 88/90; BAG v. 25.4.1991 – 6 AZR 532/89; ebenso BGH v. 7.5.1996 – VI ZR 102/95; LAG Düsseldorf v. 22.6.1996 – 12 Sa 506/96). Für diese Auslegung sprechen auch die Vorschriften der §§ 323, 611a, 614 BGB, wonach das Arbeitsentgelt grds. an die Arbeitsleistung anknüpft. Vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Bestimmung lassen sich auch Sonderleistungen ohne erkennbare Zwecksetzung einordnen. Sieht die entsprechende Vereinbarung für den Bezug der Sondervergütung keine weiteren Voraussetzungen vor, wird folglich i.d.R. an die Arbeitsleistung angeknüpft. Etwas anderes gilt nur dann, wenn entsprechende Anhaltspunkte im oben genannten Sinne vorliegen.

Der durch Auslegung ermittelte Zweck einer Sonderleistung kann für sich genommen jedoch nicht besondere Anspruchs- oder Ausschließungsvoraussetzungen begründen. Ob und unter welchen Voraussetzungen der Arbeitnehmer eine Sonderleistung oder eine Gratifikation erhält, ergeben die von den Vertragsparteien, Betriebspartnern oder Tarifvertragsparteien normierten Anspruchsvoraussetzungen (BAG v. 22.7.2014 – 9 AZR 981/12; BAG v. 13.11.2013 – 10 AZR 848/12).

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