Rz. 112

Da auch die Einigung über die Stundung eines Pflichtteilsanspruchs nach überwiegender Meinung[164] eine Geltendmachung darstellt (siehe Rdn 44 ff.), entstehen der Abzugsbetrag gem. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG beim länger lebenden Ehegatten und die steuerpflichtige Zuwendung für die Kinder K 1 und K 2 auf die Freibeträge des erstverstorbenen Ehegatten bereits mit einer Stundungsvereinbarung hinsichtlich des Pflichtteilsanspruchs nach dem Ableben des erstverstorbenen Ehegatten. Insoweit lässt sich diese Gestaltung auch auf eine Art und Weise verwirklichen, in der dem länger lebenden Ehegatten dennoch die gesamten Vermögenswerte ungeschmälert eine zeitlang zur Verfügung stehen. § 6 Abs. 4 ErbStG ist in diesem Fall nach dem klaren Wortlaut nicht anzuwenden. Nach Ansicht des BFH[165] scheidet die Abzugsfähigkeit beim länger lebenden Ehegatten jedoch aus, wenn die Stundung bis zu dessen Tode erfolgt, weil dann jegliche Belastung des länger lebenden Ehegatten ausgeschlossen sei.

 

Rz. 113

Diese Gestaltungsmöglichkeit besteht auch noch, wenn der Pflichtteilsanspruch bereits verjährt ist (siehe Rdn 55 ff.).[166] Es steht dem länger lebenden Ehegatten frei, sich auf die Verjährungseinrede zu berufen oder nicht. Dies gilt nach wohl herrschender, jedoch umstrittener Meinung nur, solange der länger Lebende noch nicht verstorben ist. Nach dem Ableben ist eine Geltendmachung im erbschaftsteuerlichen Sinne nach dieser Meinung hingegen ausgeschlossen.[167]

 

Rz. 114

Die Auszahlung von Pflichtteilsansprüchen nach dem Ableben des erstversterbenden Ehegatten ist häufig weder gewünscht noch finanzierbar. Dies wird meist der wichtigste Einwand gegen die vorstehend beschriebenen Gestaltungen des Steuersparens sein. Diesem Einwand lässt sich jedoch leicht begegnen. Die erste Möglichkeit besteht darin, die Geltendmachung, also das ernstliche Verlangen des Pflichtteils (siehe Rdn 113), mit einer Stundung zu verbinden (zu den einkommensteuerlichen Folgen siehe Rdn 210 ff.). Auf diese Weise kann dem länger lebenden Ehegatten die vollständige Liquidität erhalten werden und gleichwohl eine entsprechende Ausnutzung der Freibeträge nach dem Erstverstorbenen erfolgen. Schädlich ist insoweit die Stundung der Auszahlung des Pflichtteils bis zum Ableben des mit der Zahlungsverpflichtung Belasteten.[168] Dieser Weg wird allerdings nur dann gangbar sein, wenn die Höhe der Pflichtteilsansprüche vollständig von den Freibeträgen gedeckt wird, so dass bei den Kindern keine tatsächliche Steuerzahllast entsteht.

 

Rz. 115

Die zweite Möglichkeit der Vermeidung eines Liquiditätsverlustes beim länger lebenden Ehegatten besteht darin, den Pflichtteil nicht mit Bargeld zu erfüllen, sondern durch Hingabe von Grundbesitz.[169] Diese Grundbesitzübertragung kann mit den üblichen, vormerkungsgesicherten Verfügungsverboten sowie einem Nießbrauch flankiert werden. Auf diese Weise wird die Pflichtteilserfüllung dem länger lebenden Ehegatten ohne wesentliche Einbuße an Lebensqualität zumutbar. Wird der Grundbesitz an Erfüllungs statt für den Pflichtteilsanspruch hingegeben, so sind die Grundbesitzwerte der §§ 176 ff. BewG allerdings nach h.M. nicht anwendbar (vgl. Rdn 82 ff.).[170] Bewertungsvorteile bestehen seit 2009 kaum noch. Die umstrittene[171] Frage der Grunderwerbsteuerfreiheit bei Leistung an Erfüllungs statt spielt hier so lange keine Rolle, als die Übertragung sich zwischen Eltern und Kind vollzieht und daher in jedem Fall die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 6 GrEStG eingreift. Vergleichbares gilt für Übertragungen zwischen Ehegatten.

[164] Nach der hier vertretenen, differenzierenden Meinung (siehe Rdn 44 ff.) ist dies nur dann der Fall, wenn mit der Stundung die eindeutige Erklärung verbunden ist, den Pflichtteil nach Ablauf der Stundungsfrist auch tatsächlich verlangen zu wollen. Anderenfalls wird der Pflichtteil erst mit dem späteren Verlangen nach Ablauf der Stundung geltend gemacht.
[166] Hierzu Kapp/Ebeling, ErbStG, § 3 Rn 213.3; Wälzholz, in: Viskorf/Schuck/Wälzholz, ErbStG, § 3 Rn 152; Muscheler, ZEV 2001, 377 ff.; Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 3 Rn 232; Moench, in: Moench/Weinmann, ErbStG, § 3 Rn 120.
[167] So Dressler, NJW 1997, 2848, 2853; vgl. auch FG München v. 30.11.2006 – 4 V 4323/06, EFG 2007, 369; FG München v. 7.10.1992 – 4 K 5239/89, UVR 1993, 55; Moench, in: Moench/Weinmann, ErbStG, § 3 Rn 120; Dressler, NJW 1997, 2848, 2852 f.; Meincke, ErbStG, § 3 Rn 52; Wälzholz, DSWR 2002, Heft 7; Stahl, KÖSDI 2001, 12740, 12749; ebenso wohl J. Mayer, ZEV 1998, 50, 54 (zweifelhaft); a.A. Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 3 Rn 232; Muscheler, ZEV 2001, 377, 381 f.; Wilms/Herrmann/A. Michel, ErbStG, § 10 Rn 82; Bonefeld, ZErb 2002, 322.
[168] BFH v. 27.6.2007 – II R 30/05, BStBl II 2007, 651 = ZEV 2007, 502 m. krit. Anm. Wälzholz.
[169] Vgl. auch Wien, DStZ 2001, 29, 32.

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