Rz. 74

Zivilrechtlich ist der Pflichtteilsanspruch stets eine auf einen Geldbetrag gerichtete Forderung. Dies schlägt auch erbschaftsteuerlich durch. Danach wird der Pflichtteilsanspruch im Grundsatz mit seinem Nennwert bewertet und der Besteuerung dementsprechend zugrunde gelegt, § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 12 Abs. 1 S. 1 BewG.[108] Dies gilt sowohl für den eigentlichen Pflichtteilsanspruch als auch hinsichtlich des Pflichtteilsrestanspruchs bei einer sonstigen Zuwendung an den Pflichtteilsberechtigten mit einem Wert unter dem Pflichtteil sowie für den Pflichtteilsergänzungsanspruch.[109]

 

Rz. 75

Für die Ermittlung der Höhe des Pflichtteilsanspruchs sind grundsätzlich die bereits in § 5 ausführlich dargestellten zivilrechtlichen Grundsätze maßgebend. An Besonderheiten ist hierzu lediglich Folgendes hervorzuheben.

 

Rz. 76

Maßgeblich für die Wertbestimmung ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Ablebens des Erblassers. Problematisch und umstritten sind die Fälle der Vererbung von Anteilen an Personen- oder Kapitalgesellschaften, in deren Gesellschaftsvertrag Abfindungsklauseln vorgesehen sind, die eine Abfindung zu einem Wert unterhalb des Verkehrswertes führen. Ob diese Regelungen auch pflichtteilsrechtlich durchschlagen, ist umstritten.[110] Nach einer 1998 zur Bewertung von Gesellschaftsanteilen im Rahmen der Zugewinnausgleichsberechnung ergangenen BGH-Entscheidung[111] sind derartige wertmindernde Abfindungsklauseln nur dann berücksichtigungsfähig, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt die Kündigung der Gesellschaft oder der sonstige Ausscheidensgrund bereits erfolgt ist. Nur dann steht fest, dass die gesellschaftsrechtliche Beteiligung nicht mehr den vollen Wert hat, sondern tatsächlich die Abfindungsklausel zum Tragen kommt. Im Übrigen ist jedoch auch nach Meinung des BGH[112] die tatsächliche Minderung des Verkehrswertes einer Beteiligung durch eine solche Abfindungsklausel bei der Verkehrswertermittlung berücksichtigungsfähig. Dies wird im Regelfall jedoch nur zu einem verhältnismäßig geringen Wertabschlag führen.

 

Rz. 77

Maßgeblich für die Pflichtteilsberechnung ist der Nettonachlasswert. Von den vorhandenen Aktiva, also vorhandenen Vermögenswerten, sind die Verbindlichkeiten abzuziehen.[113] Dies gilt auch für die konkret geltend gemachte Zugewinnausgleichforderung des länger lebenden Ehegatten und für die Beerdigungskosten.[114] Dagegen können Vermächtnisse oder andere erbrechtliche Zuwendungen die Höhe des Pflichtteils nicht mindern. Sie sind nicht abzugsfähig.

 

Rz. 78

Problematisch ist schließlich, inwiefern sich auch eine latente Steuerbelastung, insbesondere bei vorhandenem Betriebsvermögen, wertmindernd auswirken kann. Dies kann insbesondere in den Fällen der §§ 16, 17 EStG und der §§ 20 ff. UmwStG von Bedeutung sein. Durch die steuerrechtlichen Veränderungen der letzten Jahre[115] ist in Zukunft aber auch § 23 EStG verstärkt ins Visier zu nehmen. Die Rechtsprechung des BFH[116] geht davon aus, die Einkommensteuerschuld aus einer später, also dem Erbfall nachfolgenden Verwertungshandlung des Nachlassvermögens sei im Zeitpunkt des Todes noch nicht entstanden und daher nach dem Stichtagsprinzip nicht als Erblasserschuld abzugsfähig.[117] Dem ist zuzustimmen.

 

Rz. 79

Eine andere Frage ist es jedoch, inwiefern sich latente Steuerbelastungen bei der Bewertung der einzelnen Nachlassgegenstände auf den Zeitpunkt des Todesfalls auswirken. Nach Meinung des BGH sollen derartige latente Einkommensteuerbelastungen des Erben bei der Wertermittlung der Aktiva des Nachlasses in solchen Fällen zu berücksichtigen sein, wenn entweder bereits feststeht, dass die stillen Reserven zur Auflösung kommen werden, oder der Wert der Vermögensgegenstände ausschließlich durch einen steuerpflichtigen Verkauf realisiert werden kann.[118] Der BGH wendet insoweit strengere Grundsätze bei der Berechnung der Pflichtteilsansprüche an als hinsichtlich der parallelen Fragestellung beim Zugewinnausgleich. Nach Meinung des BGH[119] gilt im Rahmen des Zugewinnausgleichs bei Vorhandensein und Bewertung einer Steuerberaterpraxis, was folgt: Der BGH hat das Berufungsurteil nicht beanstandet, soweit es bei der Bewertung von vornherein die latenten Einkommensteuerbelastungen für den Fall eines Verkaufs wertmindernd berücksichtigt hat. Dabei handelte es sich um einen Sachverhalt, in dem eine kurzfristige oder demnächst bevorstehende Veräußerung des Vermögens nicht vorlag. Warum dies nicht auch für das Pflichtteilsrecht gelten soll, ist zweifelhaft. Denn jede Verwertung des Vermögens hat zumindest bei Betriebsvermögen eine latente Steuerbelastung in sich, die bei der Verkehrswertermittlung zu berücksichtigen ist. Der BGH hat die latenten Steuern in dem genannten Urteil mit dem halben Steuersatz des § 34 EStG berücksichtigt, da es sich um einen Mitunternehmeranteil handelte, der bei Veräußerung im Ganzen oder einer Aufgabe der unternehmerischen Tätigkeit dieser Tarifvorschrift unterlegen hätte.

 

Rz. 80

Bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs bleiben nach zi...

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