Rz. 244

Unbeschadet der weiteren Entwicklung der Rechtsprechung zur Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes ist stets die Rechtsnatur des Geschäftsführerverhältnisses im Blick zu halten, ob unabhängig von der gesellschaftsrechtlichen Position ein Freies Dienstverhältnis oder ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien besteht. Besteht – wie vielfach – Streit zwischen den Parteien, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt, ist maßgeblich, dass die einverständliche konkrete Ausgestaltung des Vertrags als unselbstständige, persönliche Abhängigkeit begründende Arbeitsleistung zur Anwendung des Arbeitsrechts führt, selbst wenn die Parteien dies nicht wollen (vgl. OLG München, 27.10.2014 – 7 W 2097/14 unter Hinweis auf ErfK/Preis, § 611 BGB Rn 41; vgl. zur Rechtsnatur des Geschäftsführerverhältnisses oben Rdn 148 ff., 165 f., vgl. ferner BAG v. 26.10.2012 – 10 AZB 60/12; BAG v. 26.5.1999 – 5 AZR 664/98 m.w.N. auf die ständige Rechtsprechung des BAG mit dem Abgrenzungsmerkmal des Grades der persönlichen Abhängigkeit) (vgl. zur Abfindung im Rahmen einer Aufhebungsvereinbarung § 27 Rdn 151 ff.).

 

Praxistipp

In der Praxis gibt es – nicht nur in Konzernen – zahlreiche weisungs- und persönlich abhängige Fremd- und Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer, die nicht mehr Befugnisse als ein Abteilungsleiter haben.

 

Rz. 245

Zu beachten sind ferner alle auf Unionsrecht basierenden Arbeitnehmerschutzvorschriften, d.h. neben der Mutterschutz-Richtlinie sind die Antidiskriminierungsrichtlinien, die Befristungsrichtlinie, die Elternurlaubsrichtlinie, die Teilzeitrichtlinie und aufgrund des Vorlagebeschlusses des ArbG Verden an den EuGH (EuGH v. 6.5.2014 – 1 Ca 35/13) die Massenentlassungsrichtlinie zu nennen. Fest steht, dass zumindest europarechtlich ein Geschäftsführer auch Arbeitnehmer sein kann. Die Kündigung einer Geschäftsführerin in der Schwangerschaft ist unwirksam (vgl. EuGH v. 11.11.2010 – Rs. C-232/09, NZA 2011, 143 = DB 2011, 2270 Danosa-Entscheidung. Der Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer lässt sich nach Auffassung des BGH nicht auf Organmitglieder übertragen (vgl. BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, DB 1978, 878 = NJW 1978, 1435; ebenso OLG Düsseldorf v. 18.10.12 – I-6 U 47/12, wonach die Kündigung eines schwerbehinderten Fremdgeschäftsführers ohne Zustimmung des Integrationsamtes wirksam ist).

 

Rz. 246

Nach der Rspr. des BGH kann im Anstellungsvertrag des GmbH-Geschäftsführers auch wirksam vereinbart werden, dass die materiellen Regeln des Kündigungsschutzgesetzes zugunsten des Organmitglieds gelten sollen. Dann hat der Geschäftsführer Kündigungsschutz im Fall der ordentlichen Kündigung durch die GmbH. Dies kann zur Verurteilung der GmbH zur Zahlung einer Abfindung an den Geschäftsführer wegen Unwirksamkeit der ausgesprochenen ordentlichen Kündigung führen, wenn kein Kündigungsgrund vorliegt. Die Frage, in welchem Umfang und mit welchen inhaltlichen Modifikationen die jeweiligen Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes kraft der von den Parteien getroffenen Vertragsabrede angewandt werden sollen, ist vorrangig durch Auslegung der Vereinbarung zu beantworten (vgl. BGH v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, NZA 2010, 889 = DB 2010, 1518; Bauer/Arnold, ZIP, 2010, 709; Goette, DStR 2010, 1390; Stagat, NZA 2010, 975).

 

Rz. 247

Muster 16.11: Vereinbarung von Kündigungsschutz für den Geschäftsführer

 

Muster 16.11: Vereinbarung von Kündigungsschutz für den Geschäftsführer

Für die Kündigung gelten zugunsten des Geschäftsführers, Herrn/Frau NN, die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG).

oder

Für die Kündigung gelten zugunsten des Geschäftsführers, Herrn/Frau NN, die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG). Die Anwendung von § 14 Abs. 2 KSchG wird vereinbart. Herr/Frau NN gilt insoweit als leitende/r Angestellte/r i.S.d. vorgenannten Vorschrift.

(a) Ausschluss der ordentlichen Kündigung

 

Rz. 248

Ferner ist zugunsten des Geschäftsführers eine Vereinbarung im Anstellungsvertrag möglich, wonach die ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist (vgl. OLG Brandenburg v. 18.3.2008 – 6 U 58/07, GmbHR 2009, 824) bzw. dass die GmbH den Anstellungsvertrag des Geschäftsführers ordentlich nur aus wichtigem Grund kündigen darf (vgl. Schrader/Siegel, GmbHR 2022, 337 ff. Vertrauensentzug der Gesellschafter als wichtiger Grund). Dies sichert den Geschäftsführer besonders ab, da dadurch der Weg der Trennung durch die GmbH auf die außerordentliche Kündigung reduziert wird. In der Praxis kommt diese Gestaltung nicht nur im Einzelfall vor. Die GmbH sollte aber sehr sorgfältig abwägen, welche Konsequenzen dies haben kann, wie der Fall der unerwartet schweren oder dauerhaften oder zeitlich unbestimmten Erkrankung des Geschäftsführers auf die Führung und Funktionsfähigkeit der GmbH haben kann (vgl. Picker, GmbHR 2011, 629).

 

Rz. 249

Muster 16.12: Vereinbarung des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung durch die GmbH

 

Muster 16.12: Vereinbarung des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung durch die GmbH

Der Geschäftsführervertrag endet, ohne dass es des Ausspruchs einer Kündigung bedarf, m...

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