Rz. 547

In Deutschland gibt es mehr als 13.000 AG (vgl. Bayer/Lieder/Hoffmann, GmbHR 2022, 777, 779), von denen ein (kleiner) Teil in den verschiedenen Handelssegmenten an der Börse notiert ist. Für Vorstandsmitglieder börsennotierter Unternehmen gelten eine Reihe von Besonderheiten (vgl. zum Corporate Governance Kodex Rdn 555 u. www.dcgk.de, sowie zur Vorstandsvergütung Rdn 617 ff., 627 ff. sowie Mustervertrag Rdn 727). An der Spitze der Börsensegmente steht der DAX (= Deutscher Aktienindex). Die DAX-Indexfamilie insgesamt umfasst die 190 Topunternehmen mit dem DAX 40 an der Spitze (40 Unternehmen seit dem 20.9.2021, zuvor 30 Unternehmen) sowie dem MDAX (50 Unternehmen) und SDAX (70 Unternehmen). Die im TecDAX (30 Unternehmen) gelisteten Technologie-Unternehmen sind seit der Börsenreform 2018 ab dem 24.9.2018 doppelt gelistet. Aus indextechnischer Sicht gelten die 30 TecDAX-Titel als die Hauptgewinner dieser Reform, da die Unternehmen im TecDAX verblieben sind und zusätzlich im DAX 40, im MDAX 50 oder SDAX 70 aufgenommen wurden. Dies bedeutet, dass eine Notierung im TecDAX gleichzeitig neben einer Notierung im DAX 40, MDAX oder SDAX besteht. De facto gehören damit (nur) 180 verschiedene Unternehmen der DAX-Familie an. Viermal im Jahr entscheidet die Deutsche Börse anhand fester Kriterien, welche Unternehmen in die Indizes der DAX-Familie aufsteigen dürfen bzw. wer absteigen muss. Die Aufnahme in die Auswahlindizes ist Emittenten mit Zulassung zum Prime Standard vorbehalten. Der Prime Standard, der besonderen Zulassungsvoraussetzungen unterliegt, ist ein Teilbereich des EU-regulierten Markts und das Zulassungsportal für Unternehmen, die sich auch gegenüber internationalen Investoren positionieren wollen. Diese Unternehmen stehen besonders im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Nach der monatlichen Statistik der Deutschen Börse sind per 2.1.2023 insgesamt 299 inländische Unternehmen (AG, SE, S.A., AG & Co. KGaA) im Prime Standard und 118 im General Standard, die gemeinsam den regulierten Markt bilden, erfasst. Hinzu kommen 50 Unternehmen im Einstiegs-Segment Scale, in dem die Transparenzanforderungen allerdings gering und nur geringfügig höher sind als im sog. Open Market (früher Freiverkehr) als dem am wenigsten regulierten Segment. Alle Handelsplätze in Deutschland bieten zusätzlich den Handel von Auslandsaktien an, je nach Börse rund 4500 Aktien aus mehr als 60 Ländern. Im Jahr 1995 lag die Zahl aller AG insgesamt nur bei 3.780; auf den Kurszetteln deutscher Börsen standen davon 678 Unternehmen (FAZ v. 4.12.2000). Im Jahr 2010 wurde mit über 750 börsennotierten Unternehmen der Höchststand börsennotierter Unternehmen aus dem Jahr 2001 (New Economy Boom mit 749) übertroffen.

a) Publikums-AG

 

Rz. 548

Der Begriff der AG stand ursprünglich für große multinational tätige Unternehmen. Die börsennotierte AG mit gestreutem Aktionärskreis (große Publikumsgesellschaft) war das Leitbild der Aktienrechtsreform von 1965.

b) Mittelstands-AG

 

Rz. 549

Zunehmend interessanter ist heute die Rechtsform der AG auch für mittelständische Unternehmen, die traditionell an sich die Rechtsform der GmbH oder GmbH & Co. KG bevorzugen. Mit dem Gesetz für die kleine AG und zur Deregulierung des Aktienrechtes v. 2.8.1994 (BGBl I, 1961 ff.) hat der Gesetzgeber i.V.m. dem UmwG und UmwStG sowie dem 2. Finanzmarktförderungsgesetz Maßnahmen eingeleitet, die Rechtsform der AG durch gezielte Deregulierungsmaßnahmen für den Mittelstand attraktiv zu gestalten. Zu nennen sind die Erleichterungen bei der Einberufung und Durchführung der Hauptversammlung, die Stärkung der Satzungsautonomie bzgl. der Gewinnverwendung und die Zulassung der Einpersonengründung. Die sog. "kleine AG" bedeutet daher keine neue Rechtsform zur bestehenden Rechtsform der AG, vielmehr ist das Aktienrecht insgesamt, d.h. für kleine wie für große AG, liberalisiert und z.T. entbürokratisiert worden.

 

Rz. 550

Gerade zur Sicherung der Unternehmenskontinuität-/Nachfolge bietet die AG für mittelständische (Familien-) Unternehmen vielfach bessere Voraussetzungen als die Rechtsform der Personengesellschaft oder der GmbH. Ein gewichtiges Argument für die Unternehmenskontinuität im Fall der Nachfolge ist das Organisationsmodell der AG mit den drei Organen Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung, wodurch eine klare Trennung von Anteilseignern und Geschäftsführung gegeben ist. Hinzu kommt die Möglichkeit des Börsengangs zur Eigenkapitalgewinnung mit gleichzeitiger Teilveräußerung, ggf. zunächst unter Beibehaltung der Mehrheit, d.h. ohne Verlust von wesentlichem Einfluss. So ging beispielsweise im November 2014 das Familienunternehmen Hella Hueck & Co mit einem Emissionskurs von 27,50 EUR an die Börse. Ende Dezember 2014 lag der Kurs bei 36,00 EUR, und im September 2021 bot der französische Autozulieferer Faurecia für die erfolgreiche Übernahme von Hella 60 EUR je Hella-Aktie, die weiter stieg.

c) Startup-AG/Ausgliederung von Unternehmensteilen

 

Rz. 551

Einen gewaltigen Aufschwung hat die Rechtsform der AG durch die Gründung zahlreicher sog. Startup-Unternehmen mit nachfolgendem Bör...

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