Rz. 114
Der Tatbestand eines erstinstanzlichen Urteils erbringt nach § 314 ZPO zunächst vollen Beweis für das mündliche Parteivorbringen und kann insoweit nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden. Der Urteilstatbestand beweist aber nicht nur, dass das, was in ihm als Parteivortrag ausdrücklich wiedergegeben wird, tatsächlich vorgetragen worden ist, sondern auch, dass der gesamte Inhalt der im Tatbestand in Bezug genommenen Schriftsätze vorgetragen worden ist.[107] Insoweit ist der Begriff des Tatbestands sehr weit gefasst und kann auch den Inhalt der bei den Gerichtsakten befindlichen Schriftsätze erfassen.[108]
Rz. 115
Hinweis
Damit hat sich die neuere Rechtsprechung aus der Falle geholfen, dass der Tatbestand einerseits nur den Sach- und Streitstand seinem wesentlichen Inhalt nach knapp wiedergegeben soll, andererseits bei einem engen Verständnis des Beweiswertes mit einer kaum beherrschbaren Zahl von Tatbestandsberichtigungsanträgen zu rechnen gewesen wäre. Für den Bevollmächtigten ist also wichtig, dass der Tatbestand möglichst eine Bezugnahme auf die Schriftsätze enthält. Ist dies nicht der Fall, muss der Tatbestand tatsächlich intensiv auf seine Vollständigkeit und Richtigkeit hin geprüft werden.
Rz. 116
An die Feststellungen des so verstandenen Tatbestands ist das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO grundsätzlich gebunden.
Rz. 117
Hinweis
Der Tatbestand erbringt nicht nur Beweis über die vorgetragenen Tatsachen, sondern auch über solche Tatsachen, die nicht vorgetragen wurden.[109] Demgegenüber erfasst die Beweiskraft nach § 314 ZPO nicht das eigentliche Prozessgeschehen[110] und auch nicht den Inhalt nicht nachgelassener Schriftsätze.[111]
Rz. 118
Am Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils wird gemessen, ob ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel neu ist und damit nur unter den strengen Voraussetzungen des § 520 Abs. 3 Nr. 4 i.V.m. § 531 ZPO geltend gemacht werden darf. Ist das Angriffs- und Verteidigungsmittel also schon in der ersten Instanz vorgetragen worden, jedoch im Tatbestand nicht erwähnt, muss der Tatbestandsberichtigungsantrag nach § 320 ZPO gestellt werden, damit sich die Partei in der Berufungsinstanz uneingeschränkt auf dieses Angriffs- oder Verteidigungsmittel berufen kann.
Rz. 119
Beispiel
Das OLG Rostock hat entschieden, dass eine im Tatbestand des angefochtenen Urteils als unstreitig dargestellte Tatsache, die in den erstinstanzlichen Schriftsätzen umstritten war, als unstreitig für das Berufungsgericht bindend ist, wenn der Tatbestand nicht berichtigt wurde. Das wiederholte Bestreiten sei dann neues Vorbringen i.S.d. § 531 ZPO. Dies kann nach Auffassung des Autors aber nur gelten, wenn der Tatbestand nicht zugleich eine Bezugnahme auf die wechselseitigen Schriftsätze enthält und damit ein Widerspruch entsteht.
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