Rz. 490

Die Kenntnis des Versicherers beginnt nicht schon bei irgendwelchen Verdachtsmomenten, sondern erst bei zuverlässiger Kenntnis des Versicherers vom objektiven Tatbestand der Anzeigepflichtverletzung.[1112] Der Versicherer ist also nicht gehalten, den Rücktritt auf Verdacht auszuüben,[1113] oder routinemäßig zu überprüfen, ob eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung vorliegt.[1114] Erforderlich ist vielmehr eine positive Kenntnis.[1115] Dabei kommt es auf die dienstliche[1116] Kenntnis der zuständigen Abteilung bzw. des zuständigen Mitarbeiters des Versicherers an, die/der intern damit beauftragt ist, den Tatbestand der Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit festzustellen, auch wenn dort nicht die endgültige Prüfungs- oder Entscheidungskompetenz bezüglich des weiteren Vorgehens liegt.[1117] Alles andere würde auf eine Ausforschungs- bzw. Erkundigungspflicht des Versicherers hinauslaufen, die jedoch nicht besteht, da sie die Aufklärungsobliegenheiten des Versicherungsnehmers kontrakarieren würde.[1118]

 

Rz. 491

Besteht jedoch Anlass in den eigenen Datenbanken und Akten gesammelte Daten abzurufen, ist auf die allgemeine bzw. insgesamt vorhandene Kenntnis des Versicherers abzustellen. Hat der Versicherer zu einem Versicherungsvertrag Kenntnis von einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung erlangt, muss er für seine weiteren Verträge prüfen, ob diese auch von dem Anfechtungsgrund betroffen sind. Ansonsten könnte sich ein Versicherer der tatsächlich gegebenen Kenntnis dadurch entziehen, dass er mehrere Verträge dieselbe Person betreffend, auf deren Gesundheitsverhältnisse es ankommt, in verschiedenen Abteilungen verwaltet.[1119]

 

Rz. 492

Erhält der Versicherer aufgrund einer unzulässigen Schweigepflichtentbindungserklärung (vgl. § 213 VVG) Kenntnis von Obliegenheitsverletzungen, muss durch umfassende Abwägung der wechselseitigen Interessen entschieden werden, ob es dem Versicherer verwehrt ist, sich darauf zu berufen. Ist die Information vor der Entscheidung des BVerfG vom 17.7.2013[1120] eingeholt worden, liegt wohl keine zielgerichtete rechtswidrige Handlung des Versicherers vor, danach eher schon, so dass aus solchen Informationen keine Rechtsfolgen hergeleitet werden können.[1121]

[1112] BGH VersR 2000, 1486; BGH VersR 1999, 217; BGH VersR 191, 170; BGH VersR 1989, 1249; OLG Köln VersR 2004, 1252.
[1113] BGH VersR 1989, 1249.
[1114] OLG Köln VersR 2004, 1252.
[1115] BGH r+s 1999, 85.
[1116] OLG Oldenburg VersR 2011, 387: Lediglich privat erlangtes Wissen von Mitarbeitern oder Vorstandsmitgliedern ist nicht relevant.
[1117] Neuhaus, O, VIII., Rn 214; Armbrüster in: Prölss/Martin, § 22, Rn 14; OLG Köln VersR 1998, 351; BGH VersR 1996, 742; OLG Hamm r+s 1998, 473: es kommt nicht auf internen Datenbestand des Versicherers an.
[1118] So auch Neuhaus, O, VIII., Rn 219 unter Berufung auf BGH VersR 2007, 481.
[1120] BVerfG VersR 2013, 1425.
[1121] BGH VersR 2012, 297; OLG Saarbrücken zfs 2013, 223.

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