Rz. 489

Die ihm nach § 19 Abs. 2 bis 4 VVG zustehenden Rechte, kann der Versicherer nur binnen Monatsfrist ausüben (§ 21 Abs. 1 VVG). Gemäß § 21 Abs. 1 S. 2 VVG beginnt die Frist mit dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherer von der Verletzung der Anzeigepflicht "Kenntnis erlangt".[1111]

[1111] Dazu schon BGH r+s 1999, 85.

a) Kenntnis des Versicherers

 

Rz. 490

Die Kenntnis des Versicherers beginnt nicht schon bei irgendwelchen Verdachtsmomenten, sondern erst bei zuverlässiger Kenntnis des Versicherers vom objektiven Tatbestand der Anzeigepflichtverletzung.[1112] Der Versicherer ist also nicht gehalten, den Rücktritt auf Verdacht auszuüben,[1113] oder routinemäßig zu überprüfen, ob eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung vorliegt.[1114] Erforderlich ist vielmehr eine positive Kenntnis.[1115] Dabei kommt es auf die dienstliche[1116] Kenntnis der zuständigen Abteilung bzw. des zuständigen Mitarbeiters des Versicherers an, die/der intern damit beauftragt ist, den Tatbestand der Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit festzustellen, auch wenn dort nicht die endgültige Prüfungs- oder Entscheidungskompetenz bezüglich des weiteren Vorgehens liegt.[1117] Alles andere würde auf eine Ausforschungs- bzw. Erkundigungspflicht des Versicherers hinauslaufen, die jedoch nicht besteht, da sie die Aufklärungsobliegenheiten des Versicherungsnehmers kontrakarieren würde.[1118]

 

Rz. 491

Besteht jedoch Anlass in den eigenen Datenbanken und Akten gesammelte Daten abzurufen, ist auf die allgemeine bzw. insgesamt vorhandene Kenntnis des Versicherers abzustellen. Hat der Versicherer zu einem Versicherungsvertrag Kenntnis von einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung erlangt, muss er für seine weiteren Verträge prüfen, ob diese auch von dem Anfechtungsgrund betroffen sind. Ansonsten könnte sich ein Versicherer der tatsächlich gegebenen Kenntnis dadurch entziehen, dass er mehrere Verträge dieselbe Person betreffend, auf deren Gesundheitsverhältnisse es ankommt, in verschiedenen Abteilungen verwaltet.[1119]

 

Rz. 492

Erhält der Versicherer aufgrund einer unzulässigen Schweigepflichtentbindungserklärung (vgl. § 213 VVG) Kenntnis von Obliegenheitsverletzungen, muss durch umfassende Abwägung der wechselseitigen Interessen entschieden werden, ob es dem Versicherer verwehrt ist, sich darauf zu berufen. Ist die Information vor der Entscheidung des BVerfG vom 17.7.2013[1120] eingeholt worden, liegt wohl keine zielgerichtete rechtswidrige Handlung des Versicherers vor, danach eher schon, so dass aus solchen Informationen keine Rechtsfolgen hergeleitet werden können.[1121]

[1112] BGH VersR 2000, 1486; BGH VersR 1999, 217; BGH VersR 191, 170; BGH VersR 1989, 1249; OLG Köln VersR 2004, 1252.
[1113] BGH VersR 1989, 1249.
[1114] OLG Köln VersR 2004, 1252.
[1115] BGH r+s 1999, 85.
[1116] OLG Oldenburg VersR 2011, 387: Lediglich privat erlangtes Wissen von Mitarbeitern oder Vorstandsmitgliedern ist nicht relevant.
[1117] Neuhaus, O, VIII., Rn 214; Armbrüster in: Prölss/Martin, § 22, Rn 14; OLG Köln VersR 1998, 351; BGH VersR 1996, 742; OLG Hamm r+s 1998, 473: es kommt nicht auf internen Datenbestand des Versicherers an.
[1118] So auch Neuhaus, O, VIII., Rn 219 unter Berufung auf BGH VersR 2007, 481.
[1120] BVerfG VersR 2013, 1425.
[1121] BGH VersR 2012, 297; OLG Saarbrücken zfs 2013, 223.

b) Angemessene Prüfungszeit

 

Rz. 493

Der Versicherer kann sich in angemessener Zeit zunächst vergewissern, ob dem Versicherungsnehmer tatsächlich anzulasten ist, ihm bekannte gefahrerhebliche Umstände nicht oder nicht zutreffend angegeben zu haben.[1122] Bei falschen Angaben über den Gesundheitszustand ist in der Regel eine Kenntnis erst gegeben, wenn der Versicherer die behandelnden Ärzte konsultiert hat.[1123] Der Versicherer darf aber durch Hinauszögern der gebotenen Rückfragen auch nicht den Lauf der Frist beeinflussen, sofern es sich ihm aufgrund des vorliegenden Tatsachenmaterials, insbesondere anhand angeforderter Arztberichte, aufdrängt, dass eine Anzeigepflichtverletzung in Betracht kommt. Die Frist beginnt daher in dem Zeitpunkt zu laufen, indem der Versicherer hätte – auf seine Rückfrage hin – Klarheit erlangen können.[1124]

 

Beispiele

Teilt ein Hausarzt dem Versicherer ohne nähere zeitliche Einordnung mit, dass er den Versicherungsnehmer schon seit Übernahme der Praxis behandelt, und hat dieser im gleichen Jahr den Antrag auf Abschluss der Versicherung gestellt, gibt die ärztliche Auskunft keine sichere Kenntnis darüber, ob die Behandlung vor oder nach Antragstellung erfolgt ist.[1125]
Aus einem ärztlichen Bericht, der nur auf den aktuellen Gesundheitszustand eingeht, ergeben sich bei verständiger Würdigung noch keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Versicherungsnehmer bei Antragsaufnahme ihm bekannte Erkrankungen verschwiegen hatte, wenn der Zeitpunkt der Antragstellung mehrere Jahre in der Vergangenheit liegt.[1126]

Die Rechte aus § 19 VVG gehen nur dann verloren, wenn es sich dem Versicherer aufgrund konkreter Umstände aufdrängen muss, dass eine Anzeigepflichtverletzung...

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