Rz. 42

Wie unter Rdn 29 bereits erwähnt, vermittelt § 165 SGB III den Arbeitnehmern einen Anspruch auf Zahlung des Bruttolohnes für einen Zeitraum von drei Monaten, wenn über den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, gleich wer ihn gestellt hat, eine Entscheidung ergeht.[47] Der Anspruch entsteht unabhängig davon, ob das Verfahren eröffnet oder mangels Masse abgewiesen wird, und wird von dem Zeitpunkt der Entscheidung an zurückgerechnet, und nicht, wie in der EU-RiLi 80/987 (siehe Rdn 43) ursprünglich vorgesehen war, vom Zeitpunkt des Antrages an. Auch der EuGH hatte entschieden, dass der Referenzzeitraum des früheren KauG nach EG-Recht (Richtlinie 80/987/EWG v. 20.10.1980)[48] schon mit Stellung des Insolvenzantrags bestimmt werde (siehe Rdn 63).

Zweck des Insolvenzgeldes ist damit zwar die Sicherung der Entgeltforderungen der Arbeitnehmer, die nach § 614 BGB zur Vorleistung verpflichtet sind. Für die Sanierungspraxis ist die Gewährung von Insolvenzgeld gleichwohl von erheblicher Bedeutung, da dadurch die Liquidität des Unternehmens für den Zeitraum der Bezugsdauer – in der Regel drei Monate – in Höhe der Bruttogehälter entlastet wird, während der Geschäftsbetrieb normal fortlaufen kann.

[47] Zum Insolvenzgeld siehe auch Schaub, Arb-HbB, § 94 Rn 1 ff.
[48] EuGH v. 15.5.2003 – C-160/01, NZI 2003, 394 (D. Andres/Motz) = ZInsO 2003, 514.

1. Rechtsgrundlagen

 

Rz. 43

Rechtsgrundlagen für die Zahlung von Insolvenzgeld sind

seit dem 1.4.2012 die §§ 165172 SGB III (vorher: §§ 141a ff. AFG, danach §§ 183–189 SGB III),
die Durchführungs-Anweisung der Bundesagentur für Arbeit zum Insolvenzgeld und
die Richtlinie 80/987/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers vom 20.10.1980.[49]
 

Rz. 44

Daneben bestehen folgende Vorschriften mit Bezug auf das Insolvenzgeld: §§ 314, 316, 320 Abs. 2, 321 Nr. 1, 2 und 4, 324 Abs. 3, 327 Abs. 3 und 358–361 SGB III. Während der Gesetzgeber im SGB III den Begriff "Insolvenzgeld" verwendet hat, spricht er im EGInsO vom "Insolvenzausfallgeld". Die Begriffe werden also synonym verwendet.

[49] ABlEG Nr. L 283/23, die später mehrfach geändert wurde, etwa durch die Zahlungsunfähigkeitsrichtlinie v. 22.10.2008, s. Rn 1.

2. Anspruchsberechtigter Personenkreis

 

Rz. 45

Anspruchsberechtigt sind Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnliche Personen. Der Begriff des Arbeitnehmers ist gesetzlich nicht definiert. Maßgeblich ist der abhängig Beschäftigte im arbeitsrechtlichen Sinn.[50]

 

Rz. 46

Arbeitnehmer i.S.d. §§ 165 ff. SGB III sind demnach Personen, die eine Erwerbstätigkeit in persönlicher Abhängigkeit zu einem Arbeitgeber ausüben. Dazu gehören auch leitende Angestellte, insbesondere der Fremdgeschäftsführer des Schuldnerunternehmens. Aber auch Gesellschafter-Geschäftsführer können bezugsberechtigte Personen sein, es sei denn, dass sie über eine Beteiligung am Unternehmen verfügen, die ihnen einen maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung in der Gesellschafterversammlung einräumt (sog. "Sperrminorität"). Streit mit der Arbeitsverwaltung entsteht in diesem Zusammenhang immer dann, wenn der Fremdgeschäftsführer in einem engen Verwandtschaftsverhältnis zu einem Gesellschafter oder gar dem Alleingesellschafter steht (Ehegattenmodell). Aber auch in diesen Fällen ist das Bezugsrecht anzuerkennen, solange nicht festgestellt wird, dass der Geschäftsführer anstelle des Gesellschafters die faktische Leitungsmacht innehat. Denn dann fehlt es faktisch an der Abhängigkeit, die im Rahmen des § 165 SGB III verlangt wird.[51]

 

Rz. 47

Auch versicherungsfreie Personen wie Studenten, Rentner und geringfügig Beschäftigte sind anspruchsberechtigt.[52] Ebenso Personen, die als "Scheinselbstständige" zu behandeln sind.[53]

Vorstandsmitglieder einer AG sind in der Regel keine Arbeitnehmer und daher nicht anspruchsberechtigt.[54]

 

Rz. 48

Die Abkoppelung von der Beitragszahlung zur gesetzlichen Sozialversicherung und damit vom sozialversicherungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff ist nur daraus zu erklären, dass der Fonds, aus dem das Insolvenzgeld gezahlt wird, nicht aus den Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung gespeist wird. Vielmehr handelt es sich um einen selbstständigen Fonds, in den allein die Arbeitgeber Beiträge einzahlen müssen. Die Arbeitnehmer werden an dieser Beitragspflicht, im Gegensatz zu den Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung, nicht beteiligt. Die Beiträge werden über die für den Betrieb zuständigen Berufsgenossenschaften erhoben und sind Pflichtbeiträge. Die Arbeitsverwaltung ist dagegen nur für die Verteilung zuständig. Das umlagefinanzierte Insolvenzgeldverfahren ist nach Auffassung des BSG weder verfassungsrechtlich (Art. 14 GG) noch europarechtlich (verbotene Beihilfe?) zu beanstanden.[55]

[50] BSG v. 3.11.2021 – B 11 AL 4/20 R, DStR 2022, 849, den früheren Arbeitnehmerbegriff hierzu ausdrücklich aufgebend.
[51] Vgl. Arens/Brand, § 3 Rn 122 ff.; Hess, Rn 48.
[52] Eine umfassende Kasuistik findet sich bei Arens/Brand, § 3 Rn 122 ff.; Hess, Rn 15 ff.
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