Rz. 513

Das Bezugsrecht zum Empfang der Versicherungsleistungen aus der Lebensversicherung muss sich nicht auf sämtliche Leistungen aus der Lebensversicherung beziehen und kann auch mehreren Personen ganz oder teilweise eingeräumt werden; weitergehende Einschränkungen z.B. der Höhe nach sind ebenfalls möglich. Ebenfalls besteht die Möglichkeit, ein Bezugsrecht unter einer aufschiebenden oder auflösenden Bedingung einzuräumen. In der Praxis hat für die Lebensversicherung auf den Todes- und Erlebensfall die Unterteilung in ein Bezugsrecht für den Todesfall und ein Bezugsrecht für den Erlebensfall die größte Bedeutung gewonnen. Vor allem bei einer Lebensversicherung auf das eigene Leben ist eine Bestimmung des Versicherungsnehmers üblich, nach der er selbst die Versicherungsleistung erhält, wenn der Erlebensfall eintritt, und eine dritte Person bezugsberechtigt ist, wenn die Versicherungsleistung aufgrund des Eintritts des Todesfalls fällig wird. Sind der Bezugsberechtigte für den Todesfall und derjenige für den Erlebensfall personenverschieden, spricht man von einem sog. geteilten Bezugsrecht.[845]

 

Rz. 514

Im Rahmen des geteilten Bezugsrechts entsteht ein für die Praxis relevantes Problem, wenn der Versicherungsnehmer die Kündigung des Lebensversicherungsvertrages erklärt. Es stellt sich die Frage, wem dann der Rückkaufswert der Lebensversicherung zusteht.

 

Rz. 515

Mit den obigen Ausführungen zur Widerruflichkeit bzw. Unwiderruflichkeit von Bezugsrechten ist die Frage für den Fall unproblematisch zu beantworten, dass der Versicherungsnehmer – wem auch immer – lediglich ein widerrufliches Bezugsrecht eingeräumt hat. In diesem Fall besteht für den Versicherungsnehmer immer die Möglichkeit, die bislang bestehenden Bezugsrechte zu widerrufen und die Auszahlung an sich oder eine beliebige andere Person, also auch an einen der Bezugsberechtigten, zu verlangen.[846] Umstritten ist, ob davon auszugehen ist, dass der Versicherungsnehmer mit der Kündigung die bisher bestehenden widerruflichen Bezugsrechte konkludent widerruft.[847] Weiterhin umstritten ist, ob in der Pfändung einer Versicherungsforderung gleichzeitig der Widerruf des widerruflichen Bezugsrechts gesehen werden kann (siehe dazu Rdn 596).

 

Rz. 516

Hat der Versicherungsnehmer ein Todesfall- und/oder Erlebensfallbezugsrecht unwiderruflich eingeräumt, fällt die Beantwortung der Frage, wem der Rückkaufswert aus der Lebensversicherung zusteht, nicht mehr so leicht. Das unwiderrufliche Bezugsrecht bedeutet einen sofortigen Rechtserwerb. Das Recht kann dem Bezugsberechtigten nicht mehr einseitig entzogen werden (Ausnahme: Anfechtung oder Zwangsvollstreckung). Infolge des Rückkaufs erlischt allerdings sowohl der Anspruch auf die Leistung für den Todesfall als auch diejenige auf die Leistung im Erlebensfall. Der Rückkaufswert wird jedoch nur einmal fällig.

 

Rz. 517

In der Literatur und Rechtsprechung wurden hierzu in der Vergangenheit insbesondere folgende vier verschiedenen Auffassungen vertreten: Zum einen wurde vertreten, dass der Rückkauf in jedem Fall dem Erlebensfall zuzuordnen sei. Folglich stehe der Rückkaufswert dem Erlebensfallbezugsberechtigten zu.[848] Demgegenüber sind Teile der Rechtsprechung dieser Auffassung nur dann gefolgt, wenn das Bezugsrecht im Erlebensfall unwiderruflich und das Bezugsrecht im Todesfall widerruflich war. Nur in dieser Konstellation stehe nach Kündigung einer Kapitallebensversicherung durch den Versicherungsnehmer der Rückkaufswert dem unwiderruflich Bezugsberechtigten im Erlebensfall zu.[849] Eine andere Auffassung will für den Fall, dass sowohl das Bezugsrecht im Erlebensfall als auch dasjenige im Todesfall unwiderruflich ausgestaltet ist, den Rückkaufswert immer demjenigen zukommen lassen, dessen Bezugsrecht früher eingeräumt wurde (Prioritätsprinzip). Bei gleichzeitiger Einräumung der unwiderruflichen Bezugsrechte erscheine eine Anspruchsteilung sachgerecht.[850] Schließlich wurde vertreten, dass der Rückkaufswert immer dem Bezugsberechtigten im Todesfall zustehe. Dieses Ergebnis ermögliche eine stringente und folgerichtige Zuordnung des Rückkaufswertes in allen Fällen, in denen die Todesfallansprüche jemand anderem zustehen als die Erlebensfallansprüche.[851]

[845] Goll/Gilbert/Steinhaus, 9.1.3.3, S. 201.
[846] Vgl. auch Baroch Castellvi, VersR 1998, 410, 414 f.
[847] BGH v. 4.3.1993 – IX ZR 169/92, NJW 1993, 1994, 1995 = VersR 1993, 689, 690. Zumindest teilweise a.A. OLG Köln v. 20.12.2000 – 5 U 116/00, VersR 2002, 299, 300, wonach im Fall der bloßen Kündigung mit der Bitte um Auszahlung des Rückkaufswertes auf das Konto des Versicherungsnehmers jedenfalls die Todesfallbezugsrechte nicht konkludent widerrufen werden.
[848] Baroch Castellvi, VersR 1998, 410 ff.
[849] AG Hechingen v. 8.5.1998 – 6 C 176/98, VersR 1999, 569 m. Anm. Baroch Castellvi; vgl. auch OLG Frankfurt/M. v. 14.9.2000 – 3 U 139/99, VersR 2002, 219, 220.
[850] Prölss/Martin/Schneider, § 159 VVG Rn 24.
[851] Prahl, VersR 1999, 944 ff.; ders., NVersZ 2000, 502 ff.; Stegma...

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