Rz. 32

Der Große Senat des BAG hat dem gekündigten Arbeitnehmer einen allgemeinen WBA für die Dauer des von ihm angestrengten Kündigungsschutzverfahrens bei der ordentlichen Kündigung über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus und bei einer fristlosen Kündigung über deren Zugang hinaus zugebilligt, wenn die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers vor dem Arbeitsgericht erfolgreich gewesen ist und besondere Interessen des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung nicht bestehen.[30] Nach der Entscheidung des BAG kommt ein WBA des Arbeitnehmers deshalb in Betracht, weil bei Obsiegen im Rahmen der angestrengten Kündigungsschutzklage regelmäßig die Interessen des Arbeitnehmers an seiner Weiterbeschäftigung überwiegen.[31] Der allgemeine WBA besteht hingegen nicht, wenn überwiegende Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen.[32] In diesem Fall muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen, dass er ein überwiegendes Interesse daran hat, gerade diesen Arbeitnehmer nicht weiter beschäftigen zu müssen. In diesem Zusammenhang rechtfertigen Umstände, die einen Arbeitgeber auch bei einem ungekündigten Arbeitsverhältnis zur vorläufigen Freistellung berechtigen (Verdacht von Unredlichkeiten, Straftaten, Verrat von Betriebsgeheimnissen), ein entsprechendes überwiegendes Arbeitgeberinteresse. In Betracht kommt ferner zugunsten des Arbeitgebers auch Auftragsmangel, also die fehlende Möglichkeit, den Arbeitnehmer tatsächlich zu beschäftigen.[33]

 

Rz. 33

Bei dem Ausspruch einer Änderungskündigung ist wiederum zu differenzieren: Wenn der Arbeitnehmer das Änderungsangebot unter Vorbehalt ablehnt, streiten die Parteien allein um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Dies hat zur Folge, dass der Arbeitnehmer Weiterbeschäftigung verlangen kann, sofern die übrigen Voraussetzungen des allgemeinen WBA gegeben sind. Nimmt der Arbeitnehmer das Änderungsangebot unter Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an, dann ist er auch verpflichtet, zu den geänderten Bedingungen weiterzuarbeiten. Der allgemeine WBA kommt dann grundsätzlich nicht in Betracht. Anders dürfte wiederum zu entscheiden sein, wenn die tatsächliche Beschäftigung z.B. daran scheitert, dass der Betriebsrat nach § 99 BetrVG wegen der mit der Änderungskündigung möglicherweise verbundenen Versetzung (vgl. § 95 Abs. 3 BetrVG) nicht zugestimmt hat. Insoweit kann auf die Ausführungen zum gesetzlichen WBA verwiesen werden.

 

Rz. 34

Im Übrigen müssen folgende Voraussetzungen vorliegen, damit der allgemeine WBA zu bejahen ist:

[30] BAG (GS) v. 27.2.1985, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht = NJW 1985, 2968.
[31] BAG (GS) v. 27.2.1985, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht = NJW 1985, 2968.
[32] BAG (GS) v. 27.2.1985, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht = NJW 1985, 2968.
[33] BAG (GS) v. 27.2.1985, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht = NJW 1985, 2968.

1. Beendigungstatbestand

 

Rz. 35

Als Beendigungstatbestand kommt sowohl eine ordentliche als auch – anders als bei § 102 Abs. 5 BetrVG – eine außerordentliche Kündigung in Betracht. Auch bei Streit um den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses wegen eines Aufhebungsvertrages und bei Streit um die Wirksamkeit einer Befristung und im Zusammenhang mit einer auflösenden Bedingung gelten die von der Rspr. entwickelten Grundsätze.[34]

[34] BAG v. 15.3.1989, AP Nr. 126 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; BAG v. 26.6.1996, BB 1996, 2204; BAG v. 22.3.1996, BB 1997, 420.

2. Interessenabwägung

 

Rz. 36

Grundlage des allgemeinen WBA ist nach der Rspr. eine Konkretisierung der Grundsätze von Treu und Glauben; es ist also eine Abwägung der beiderseitigen Interessen vorzunehmen. Während bei einem ungekündigten Arbeitsverhältnis das Interesse des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung schwerer wiegt als dasjenige des Arbeitgebers an einer Suspendierung, ändert sich mit Ausspruch einer Kündigung und Ablauf der Kündigungsfrist diese Interessenlage. Der Gesetzgeber hat den eintretenden Schwebezustand nach Ausspruch der Kündigung und nach Erhebung der Kündigungsschutzklage anerkannt. Eine erneute Interessenänderung tritt daher nur dann ein, wenn ein obsiegendes Urteil im Kündigungsrechtsstreit vorliegt. Dementsprechend ergibt sich Folgendes.

a) Zeitraum nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum ersten der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteil

 

Rz. 37

In dem Zeitraum nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum ersten der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteil besteht als Regel der allgemeine WBA des Arbeitnehmers nicht. Es überwiegt insoweit das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung. Eine Ausnahme besteht dann, wenn die Kündigung offensichtlich unwirksam ist oder der Arbeitnehmer ein besonderes schutzwürdiges Interesse an der tatsächlichen Beschäftigung hat.

b) Zeitraum nach stattgebendem Instanzurteil bis zu einem abweisenden Instanzurteil oder bis zum rechtskräftigen Verfahrensabschluss

 

Rz. 38

In dem Zeitraum nach stattgebendem Instanzurteil bis zu einem abweisenden Instanzurteil oder bis zum rechtskräftigen Verfahrensabschluss ist als Regel der allgemeine WBA des Arbeitnehmers zu bejahen.

 

Rz. 39

Nur ausnahmsweise dann, wenn besondere schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers gegeben sind, kann das Interesse des Arbeitgebers an einer Nichtbeschäftigung überwiegen. Als derartige Ausnahmefälle kommen au...

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