Rz. 132

Wenn der testamentarisch vorgesehene Nacherbe vor dem Erbfall wegfällt (Vorversterben, Ausschlagung, Erbverzicht, Erbunwürdigkeit), wird die Anordnung der Nacherbfolge gegenstandslos. Soweit der Erblasser nicht etwas anderes bestimmt hat, verbleibt die Erbschaft dann bei dem Vorerben. Es ist insbesondere zu prüfen, ob eine anderweitige Bestimmung des Erblassers etwa durch Einsetzen eines Ersatznacherben nach § 2069 BGB gegeben ist.

Hier spielt im Weiteren die Ergänzungsregel des § 2069 BGB eine Rolle, wobei in dem Fall, in dem der zunächst eingesetzte und später weggefallene Nacherbe ein Abkömmling des Erblassers ist und der Nacherbe wiederum selbst Abkömmlinge hat, nach § 2069 BGB der Abkömmling im Rahmen der Auslegung an dessen Stelle treten könnte. Streitig ist in diesem Bereich insbesondere, wie sich eine ausdrückliche oder mutmaßliche Ersatznacherbenberufung auf die Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts (§ 2108 BGB) auswirkt.

 

Rz. 133

Hat der Erblasser ausdrücklich einen Ersatzerben bestimmt, ist im Zweifel die Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts ausgeschlossen. Allein durch die gesetzliche Vermutung des § 2069 BGB wird die Vererblichkeit sicher nicht ausgeschlossen. Hat aber der Erblasser einen Ersatznacherben ausdrücklich bestimmt, wird nach überwiegender Rechtsprechung immer eine schlüssige Erklärung des Erblassers angenommen, dass damit die Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts ausgeschlossen sein soll.

 

Rz. 134

Wie immer in Zweifelsfällen kommt es natürlich zunächst auf den wahren Willen des Erblassers an. Es müsste also zunächst im Wege der Testamentsauslegung geprüft werden, was dem wirklichen Wunsch des Erblassers entsprach, wenn ein von ihm eingesetzter Nacherbe nach dem Erbfall, aber vor Eintritt des Nacherbfalls verstirbt.

Bei der ausdrücklichen Bestimmung eines Ersatznacherben ist darüber hinaus durch Auslegung zu ermitteln, ob diese Ersatznacherbschaft auch den Wegfall des Nacherben durch Tod erfassen sollte.

Fehlen Indizien, die gegen eine solche Annahme sprechen, kann davon ausgegangen werden, dass der vom Erblasser berufene Ersatzerbe Nacherbe werden sollte und somit die Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts dadurch ausgeschlossen wird.[78]

 

Rz. 135

Hier ist also die zeitliche Differenzierung von entscheidender Bedeutung:

Fällt der Nacherbe vor dem Erbfall (= Tod des Erblassers) weg, folgt daraus im Zweifel die Gegenstandslosigkeit der Anordnung der Nacherbfolge, es sei denn, der Erblasser hat Gegenteiliges bestimmt (anderweitige Bestimmung = Einsetzung eines Ersatzerben). Ferner gilt § 2069 BGB: Abkömmlinge treten an die Stelle des Nacherben, jedoch nicht, wenn der Abkömmling die Nacherbschaft ausschlägt, um den Pflichtteil verlangen zu können.
Fällt der Nacherbe nach dem Erbfall, aber vor dem Eintritt des Nacherbfalls (im Zweifel: Tod des Vorerben) weg, verbleibt die Erbschaft dem Vorerben nur, wenn der Erblasser die Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts, welches dann ja bereits entstanden ist, ausgeschlossen hat und keine Ersatzerbfolge angeordnet hatte (§§ 2208 Abs. 2, 2096 BGB). Der Ausschluss der Vererblichkeit der Nacherbenanwartschaft muss nicht ausdrücklich angeordnet worden sein, dies kann auch konkludent entstehen, etwa dann, wenn die Gesamtschau der Umstände dafür spricht, dass der Erblasser die Vererblichkeit ausschließen wollte.
 

Rz. 136

Schließlich wird der Vorerbe auch dann Vollerbe, wenn die vom Erblasser für den Eintritt des Nacherbfalls gesetzte Bedingung objektiv nicht mehr eintreten kann.

 

Rz. 137

In allen genannten Fällen wäre eine Feststellungsklage des Vorerben möglich.

[78] BayObLG v. 19.1.2001 – 1Z BR 176/99, ZEV 2001, 440; Roth/Hannes/Mielke/Roth, Vor- und Nacherbschaft, § 11 Rn 11.

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