1. Anwendungsbereich

a) Begriff der Familiensache

 

Rz. 1

Vorb. 3.2.1 und 3.2.2 VV RVG sprechen von "Familiensachen", für welche die jeweiligen Abschnitte gelten. Familiensachen sind in § 111 FamFG abschließend aufgezählt. In den einzelnen Unterabschnitten des FamFG finden sich jeweils nähere Beschreibungen der in Nr. 1 bis 11 genannten Verfahren. Aus den früheren Bestimmungen (§ 23b GVG und § 621 ZPO) ist die Formulierung "… Verfahren, die … betreffen" übernommen worden (Kindschaftssachen § 151 FamFG, Unterhaltssachen § 231 FamFG, Versorgungsausgleich § 217 FamFG, Adoption § 186 FamFG, sonstige Familiensachen § 266 FamFG). An der früheren Auslegung dieser Begriffe kann also festgehalten werden.

 

Rz. 2

Zu den Kindschaftssachen gehören deshalb nicht nur Beschwerden gegen Sorgerechtsentscheidungen, Entscheidungen über Aufenthaltsbestimmung, Umgang und Herausgabe des Kindes, sondern auch Verfahren gem. §§ 1618, 1628, 1666, 1686 BGB. Auch die Beschwerden gem. §§ 1632 Abs. 3, Abs. 4, 1678 Abs. 2, 1680 ff. BGB gehören hierher. Das Gleiche gilt für die Unterhaltsverfahren; Verfahren, die das Realsplitting (§ 10 EStG) betreffen, gehören zu § 266 FamFG.[1] Hierher gehört auch der ganze Komplex der Abänderungsentscheidungen.

[1] Musielak/Borth, § 266 Rn 10.

b) Begriff "Endentscheidung wegen des Hauptgegenstands"

 

Rz. 3

Die Endentscheidung ist eine Entscheidung, die den Rechtszug beendet. Eine "Endentscheidung" kann also auch eine Neben- und Zwischenentscheidung sein. Diese sind hier aber nicht angesprochen. In Vorbemerkung 3.2.1 Nr. 2b VV RVG ist nur von "Endentscheidungen wegen des Hauptgegenstands" die Rede. "Hauptgegenstand" kann man als das Verfahrensziel bezeichnen. "Hauptgegenstand" ist nicht identisch mit der Hauptsache. Eine Entscheidung über einen Antrag auf einstweilige Anordnung ist keine Entscheidung in der Hauptsache, wohl aber eine Entscheidung über den Hauptgegenstand (vgl. unten Rdn 4) des einstweiligen Anordnungsverfahrens.[2]

[2] Schneider/Thiel, Das neue Gebührenrecht für Rechtsanwälte, Rn 872 ff. mit Beispielen.

aa) Eilverfahren

 

Rz. 4

Einstweilige Anordnungen, §§ 49 ff.,119 FamFG

Beschwerden gegen einstweilige Anordnungen sind nur ausnahmsweise statthaft (§ 57 FamFG). Soweit eine Beschwerde überhaupt statthaft ist, setzt sie voraus, dass entweder vor dem Erlass der einstweiligen Anordnung mündlich verhandelt wurde oder, dass wenn die einstweilige Anordnung ohne vorherige mündliche Verhandlung erging, diese nachgeholt wird (§ 57 i.V.m. § 54 Abs. 1 FamFG). Die einstweiligen Anordnungen sind sowohl verfahrensrechtlich (§ 51 Abs. 3 S. 1 FamFG) als auch gebührenrechtlich (§ 41 FamGKG) selbstständige Verfahren, in denen Endentscheidungen ergehen können.[3]

 

Rz. 5

Nach früherem Recht war streitig, ob die einstweilige Anordnung eine "Endentscheidung" ist. Die einstweilige Anordnung war verfahrensrechtlich (anders als gebührenrechtlich!) Teil des Hauptsacheverfahrens. Die einstweilige Anordnung ist nach geltendem Recht verfahrensrechtlich nicht mehr Teil der Hauptsache, sondern ein "selbstständiges Verfahren, auch wenn eine Hauptsache anhängig ist" (§ 51 Abs. 3 S. 1 FamFG). Damit sind Entscheidungen im einstweiligen Anordnungsverfahren auch kostenrechtlich gesehen Endentscheidungen wegen des Hauptgegenstandes.

[3] Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, VV Vorb. 3.2.1 Rn 29; AnwK-RVG/Wahlen/Mock/Wolf/N. Schneider/Volpert/Thiel/Schafhausen, VV Vorb. 3.2.1 Rn 26.

bb) Arrestverfahren, §§ 916 ff. ZPO, § 119 FamFG

 

Rz. 6

Das Arrestverfahren war verfahrensrechtlich immer schon ein selbstständiges Verfahren, das mit einer Endentscheidung endete. Dies gilt weiterhin. Wird der Arrest nach mündlicher Verhandlung erlassen, ist die Beschwerde gegeben; wird ohne mündliche Verhandlung entschieden, hat der Gläubiger die sofortige Beschwerde § 567 Abs. 1 ZPO, während der Schuldner (nur) den Widerspruch einlegen kann, über den nach mündlicher Verhandlung durch Endbeschluss entschieden wird (§§ 922, 924 f. ZPO). Eine Nachholung der mündlichen Verhandlung im Fall der Ablehnung des Antrags durch Beschluss vor Einlegung der sofortigen Beschwerde ist nicht vorgesehen.

2. Die einzelnen Gebühren

a) Die Verfahrensgebühr, Nrn. 3200, 3201 i.V.m. Vorb. 3.2.1 Nr. 2b VV RVG

 

Rz. 7

Die Verfahrensgebühr 2. Instanz entsteht unter den gleichen Voraussetzungen wie die Verfahrensgebühr 1. Instanz, also durch die Beauftragung und die erste Tätigkeit des Anwalts, die der Beschwerde zuzuordnen ist (z.B. Studium des Ersturteils, Informationsentgegennahme für die 2. Instanz, Überlegungen über die Aussichten des Rechtsmittels).

 

Rz. 8

Es gibt eine Reihe von Tätigkeiten "zwischen den Instanzen": Beratung, ob und wann ein Rechtsmittelanwalt beauftragt werden soll, Auswahl und Beauftragung des Beschwerdeanwalts, Stellungnahmen zum gegnerischen Verlängerungsgesuch, Überwachung der Fristwahrung durch die Gegenseite, auch Auskünfte, welche Rechtsmittel zulässig sind. Wenn der Anwalt, der diese Tätigkeiten ausübt, (noch) nicht mit der Beschwerde beauftragt ist, werden diese Tätigkeiten von der Verfahrensgebühr 1. Instanz abgegolten, sie gehören zum Rechtszug, § 19 Nr. 9 RVG ist anwendbar. Übt dagegen der bereits mit der Beschwerde beauftragte Anwalt diese Tätigkeiten aus, sind sie von der für das Beschwerdeverfahren anfallende Verfahrensgebühr abgegol...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge