Rz. 80

Vielfach wird in Berufungsurteilen, und zwar ohne, dass dies näher begründet wird, tenoriert, dass die Revision nicht zugelassen wird. Andere Urteile treffen über die (Nicht-)Zulassung der Revision entweder in den Gründen eine negative oder gar keine Aussage, was im Ergebnis ebenfalls bedeutet, dass die Revision nicht zugelassen worden ist.

 

Rz. 81

Der Rechtsanwalt sollte, soweit sich (eventuell) eine für den Mandanten nachteilige Entscheidung des Berufungsgerichts abzeichnet, welche mit vertretbarer rechtlicher Argumentation aber genauso gut gegenteilig ausfallen könnte, darauf drängen, dass das Berufungsgericht auch die andere Sichtweise überdenkt und beantragen, über die Zulassung der Revision zu entscheiden. Natürlich mag eine Revisionszulassung aus Sicht eines Berufungsrichters mit einem als Risiko empfundenen Nachteil der Überprüfung der eigenen Entscheidung empfunden werden, weil eine Aufhebung als persönlicher Misserfolg gewertet werden könnte.[81] Deshalb wird (möglicherweise) trotz anwaltlichen Insistierens vielfach nicht die gewünschte Zulassung der Revision erfolgen. Dies ist jedoch kein Grund, von einem begründeten Antrag auf Zulassung der Revision abzusehen.

 

Rz. 82

Im Hinblick auf die Zulassungsgründe nach § 543 Abs. 2 ZPO ist somit nachdrücklich vorzutragen (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung), denn für den Mandanten dürfte die Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht wesentlich einfacher sein, als in dritter Instanz eine Nichtzulassungsbeschwerde durchzusetzen. Deswegen ist die Kenntnis der Zulassungsgründe gemäß § 543 Abs. 2 ZPO schon im Berufungsverfahren bedeutsam.

 

Rz. 83

Grundsätzliche Bedeutung

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, wenn der Fall eine entscheidungserhebliche (und -ursächliche), klärungsbedürftige (z.B. Unterschied Rechtsprechung und Lehre) und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt.[82]

Fortbildung des Rechts

Die Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts nach § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 1 ZPO setzt voraus, dass der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen. Ein solcher Anlass besteht für die Entwicklung höchstrichterlicher Leitsätze nur dann, wenn es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt.[83]

Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung

Von den Zulassungsgründen nach § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO ist die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) in der Rechtsprechung des BGH am bedeutendsten. Im Rahmen dieses Zulassungsgrundes wird der BGH-Anwalt darlegen, dass Rechts- und/oder Verfahrensfehler des Berufungsgerichts vorliegen, wobei es sich aber nicht nur um einen Rechtsfehler im konkreten Einzelfall handelt (dies würde für eine Zulassung nicht ausreichen). Es muss ein über den Einzelfall hinausgehender rechtlicher Mangel vorliegen, so dass die Allgemeinheit daran interessiert ist, dass die krass falsche Entscheidung des Berufungsgerichts vom BGH korrigiert wird. Auch Verfahrensfehler, wie die Verletzung rechtlichen Gehörs durch das Berufungsgericht, Art. 103 Abs. 1 GG, oder Verstöße gegen das Willkürverbot, Art. 3 Abs. 1 GG, führen nach der Rechtsprechung des BVerfG zwingend zur Zulassung der Revision, weil diese zum Schutz des Vertrauens in die Rechtsprechung und zur Wahrung der Grundrechtsordnung geboten ist. Das Willkürverbot ist bei einer fehlerhaften Rechtsanwendung verletzt, die sachlich schlechthin unhaltbar ist, weil sie unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar erscheint und sich deshalb der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht.[84] Wenn das Berufungsgericht einer Partei den Zugang zu dem von der ZPO eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert, verletzt dies ihren Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip.[85]

[81] Jedoch dürfte für den zweitinstanzlichen Richter eine erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde der beschwerten Partei letztendlich einen größeren Makel darstellen.
[82] BGH, Urt. v. 31.3.2011 – III ZR 339/09, juris = VersR 2011, 1140.
[83] BGH, Beschl. v. 27.3.2003 – V ZR 291/02, juris = BGHZ 154, 288, 292; BGH, Beschl. v. 19.12.2012 – IV ZR 207/12, juris Rn 5 = FamRZ 2013, 878 f.
[84] BGH, Beschl. v. 7.10.2004 – V ZR 328/03, juris = AnwBl 2005, 220 f.
[85] Vgl. BVerfG, Beschl. v. 2.12.1987 – 1 BvR 1291/85, juris = BVerfGE 77, 275, 284; BGH, Beschl. v. 2.2.2012 – V ZB 184/11, juris Rn 4...

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