Leitsatz (amtlich)

a) Das für die Zulassung der Revision maßgebliche Allgemeininteresse an einer korrigierenden Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch dann gegeben, wenn das Berufungsurteil auf einem Rechtsfehler beruht, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen (Fortführung von BGH v. 27.3.2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 = BGHReport 2003, 686 = MDR 2003, 822).

b) Die Revision ist aus diesem Grund zuzulassen, wenn das Berufungsurteil gegen das Willkürverbot verstößt. Hingegen ist nicht maßgebend, ob der Rechtsfehler offensichtlich oder schwer wiegend ist.

c) Eine gerichtliche Entscheidung ist objektiv willkürlich, wenn eine notwendige Vertragsauslegung unterblieben und die Entscheidung deshalb nicht verständlich ist.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; ZPO i.d.F. 2002 § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Urteil vom 27.11.2003; Aktenzeichen 6 U 114/03)

LG Stade

 

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerden werden die Revisionen der Kläger und der Beklagten gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des OLG Celle v. 27.11.2003 zugelassen.

 

Gründe

I.

Mit notariellem Vertrag v. 23.9.1998 kauften die Kläger von der Beklagten eine Eigentumswohnung in einer noch zu errichtenden Anlage "mit zwei Häusern mit jeweils 9 und 10 Wohnungseinheiten" zum Preis von 310.000 DM. In der bei Vertragsschluss vorliegenden Teilungserklärung v. 5.2.1998 hatte sich die Beklagte u.a. vorbehalten, "eine Änderung bei der Aufteilung und der Zuordnung der Sondernutzungsrechte" vorzunehmen, falls dies "beim Verkauf der einzelnen Wohnungseigentumsrechte gewünscht sein" sollte. Unter Bezugnahme hierauf ist unter § 1 Abs. 2 des Kaufvertrages vermerkt, den Käufern sei bekannt, dass "die Zuordnung der Sondernutzungsrechte für die einzelnen Wohnungseigentumsrechte und deren Aufteilung durch den Verkäufer geändert werden" könne. Ferner wird unter § 1 Abs. 2 des Kaufvertrages bestimmt:

"Die Änderung der Teilungserklärung beinhaltet auch, dass eine gewerbliche Nutzung, die den allgemeinen Wohnwert der Anlage mindert, ausgeschlossen wird.

Die Käufer bevollmächtigen schon jetzt die in § 16 genannten Bevollmächtigten, eine Änderung der Teilungserklärung diesbezüglich vorzunehmen und bestätigen insbes. die Befreiung gem. § 181 BGB."

Die Teilungserklärung v. 5.2.1998 wies für das gesamte Objekt ausschließlich Wohnungseigentums- und mithin keine Teileigentumseinheiten aus. Ferner ist in der Teilungserklärung geregelt, dass

... alle Wohnungen auch gewerblich genutzt werden können, ohne dass hierzu die Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer eingeholt werden muss."

Am 29.9.1998 beantragte die Beklagte bei der zuständigen Baubehörde eine Nutzungsänderung für die im Erdgeschoss direkt unter der späteren Wohnung der Kläger gelegenen Räume, die nunmehr gewerblich als Büro einer Holzvertriebsgesellschaft genutzt werden sollten. Nachdem die Genehmigung erteilt worden war, änderte die Beklagte die Teilungserklärung dahin ab, dass die Einheit nun anstelle von Wohnungs- als Teileigentum ("Sondereigentum an den nicht zu Wohnzwecken dienenden, gewerblich genutzten Räumen ...") ausgewiesen wurde. Nach Eintragung der Änderung der Teilungserklärung am 10.3.1999 wurde am 29.3.1999 zu Gunsten der Kläger eine Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen.

Wegen der Nutzung der betreffenden Einheit als Büro wollen die Kläger am Kauf nicht festhalten und machen im vorliegenden Rechtsstreit den "großen Schadensersatzanspruch" geltend. Sie haben zuletzt Zahlung von 168.842,81 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe der Eigentumswohnung verlangt, während die Beklagte im Wege der Widerklage eine restliche Vergütung i.H.v. 3.943,61 EUR geltend gemacht hat. Das LG hat der Klage i.H.v. 163.485,41 EUR stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Dieses Urteil ist von der Beklagten mit der Berufung und von den Klägern mit der Anschlussberufung angefochten worden. Das OLG hat unter Zurückweisung der Anschlussberufung die Verurteilung der Beklagten auf 19.831,46 EUR unter Wegfall des Zug-um-Zug-Vorbehalts reduziert. Es geht dabei von einem "Sachmangel bzw. Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft" aus, weil der Kaufvertrag die Zusicherung enthalte, dass in der Anlage nur Wohnungseigentum begründet werde. Da aber ein Schadensersatzanspruch außer Verhältnis zu den geringfügigen Nachteilen der Kläger durch die Büronutzung stehe, sei er nach § 242 BGB ausgeschlossen. Möglich sei nur eine Minderung, die nach § 287 ZPO i.H.v. 15 % des Kaufpreises angemessen erscheine. Hiermit sei die mit der Widerklage verfolgte Restvergütung zu verrechnen, woraus sich der zuerkannte Betrag ergebe.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Berufungsurteil richten sich die vorliegenden Beschwerden der Kläger und der Beklagten.

II.

Die beiderseitigen Nichtzulassungsbeschwerden (§ 544 ZPO) sind zulässig und haben auch, gestützt auf § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO, in der Sache selbst Erfolg.

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist begründet, weil die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfüllt sind.

a) Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist die Revision nicht nur in Fällen der Divergenz sowie dann zuzulassen, wenn schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen, die nicht den Charakter einer Divergenz im herkömmlichen Sinn haben. Vielmehr besteht das für die Zulassung der Revision maßgebliche Allgemeininteresse an einer korrigierenden Entscheidung des Revisionsgerichts auch dann, wenn das Berufungsurteil auf einem Rechtsfehler beruht, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen (BGH v. 27.3.2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 [295] = BGHReport 2003, 686 = MDR 2003, 822, unter Hinweis auf die Begründung zum RegE eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722, 66 [104]; Müller, VersR 2004, 1073 [1083]). Für die Prüfung dieses Merkmals kann nicht darauf abgestellt werden, ob der Fehler des Berufungsgerichts offensichtlich (BVerfG v. 8.1.2004 - 1 BvR 864/03, NJW 2004, 1371) oder von Gewicht (BGH v. 1.10.2002 - XI ZR 71/02, BGHZ 152, 182 [188] = MDR 2003, 104 = BGHReport 2002, 1107; v. 27.3.2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 [294] = BGHReport 2003, 686 = MDR 2003, 822; Beschl. v. 31.10.2002 - V ZR 100/02, MDR 2003, 347 = BGHReport 2003, 254 = NJW 2003, 754 [755]) ist. Maßgebend ist stattdessen, ob das Berufungsgericht bei der Auslegung oder Anwendung von Vorschriften des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts gegen grundlegende, verfassungsrechtlich abgesicherte Gerechtigkeitsanforderungen verstoßen hat und die Entscheidung deshalb von Verfassungs wegen einer Korrektur bedarf (BGH v. 27.3.2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 [296] = BGHReport 2003, 686 = MDR 2003, 822).

b) Hiernach ist eine Revision auch dann zuzulassen, wenn die anzufechtende Entscheidung auf einer Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes in seiner Ausprägung als Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) beruht. Dies ist bei einer fehlerhaften Rechtsanwendung der Fall, die sachlich schlechthin unhaltbar ist (BVerfGE 58, 163 [167 f.]), weil sie unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar erscheint und sich deshalb der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (BVerfGE 4, 1 [7]; BVerfG v. 9.10.2003 - 1 BvR 693/02, NJW 2004, 151 [152], st.Rspr., m.w.N.). Dabei enthält die Feststellung von Willkür keinen subjektiven Schuldvorwurf. Willkür ist hier vielmehr im objektiven Sinne zu verstehen als eine Maßnahme, die im Verhältnis zu der Situation, der sie Herr werden will, tatsächlich und eindeutig unangemessen ist (BVerfG v. 15.3.1989 - 1 BvR 1428/88, BVerfGE 80, 48 [51]).

c) Das Berufungsurteil stellt sich in diesem Sinne als objektiv willkürlich dar.

aa) Das Berufungsgericht nimmt an, die Beklagte habe in dem Kaufvertrag den Klägern gegenüber zugesichert, in der Anlage nur Wohnungs- und kein Teileigentum zu begründen und die Teilungserklärung dahin abzuändern, dass eine gewerbliche Nutzung, die den allgemeinen Wohnwert mindere, ausgeschlossen sei. Eine Begründung für diese Auffassung enthält das Berufungsurteil nicht, insbes. ist insoweit eine Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils unterblieben. Das Berufungsurteil verweist lediglich in seinem tatbestandlichen Teil, nicht aber auch bei der Begründung auf die Entscheidung des LG. Im Übrigen hätte eine solche Bezugnahme daran scheitern müssen, dass das LG einen anderen Rechtsstandpunkt vertreten und sein Urteil nicht mit einer zugesicherten Eigenschaft begründet hat. Die mithin fehlende Begründung lässt nur den Schluss darauf zu, dass das Berufungsgericht die vertraglichen Vereinbarungen für eindeutig und daher für nicht auslegungsbedürftig hält. Es hat hierbei jedoch nicht beachtet, dass der von ihm herangezogenen Vertragsklausel, die die Verkäuferseite zur Änderung der Teilungserklärung bevollmächtigt, kein entscheidender Hinweis dafür zu entnehmen ist, dass die Beklagte von dieser Möglichkeit auch Gebrauch machen musste. Die Formulierung der Klausel kann wegen der Verwendung des Wortes "wird" als entsprechende Verpflichtung, aber auch als bloße Befugnis der Beklagten verstanden werden. Es kommt hinzu, dass auch die Beschreibung der zu errichtenden Anlage, die nach dem Kaufvertrag aus "zwei Häusern mit jeweils 9 und 10 Wohnungseinheiten" bestehen sollte, allein noch nicht erkennen lässt, dass die Beklagte hierfür in vertragsmäßig bindender Weise die Gewähr übernehmen wollte und damit die Bereitschaft zu erkennen gab, für alle Folgen des Fehlens dieser Eigenschaft einzustehen. Nur unter dieser strengen Voraussetzung kann eine Zusicherung i.S.d. § 459 Abs. 2 BGB a.F. vorliegen (BGH, Urt. v. 13.12.1995 - VIII ZR 328/94, MDR 1996, 675 = NJ 1996, 836 [837]).

bb) Nachdem das Berufungsgericht auch keine Feststellungen zu einem übereinstimmenden Parteiwillen getroffen hat, der von dem Wortlaut des Vertrages abweicht (BGH, Urt. v. 7.12.2001 - V ZR 65/01, BGHReport 2002, 359 = MDR 2002, 510 = NJW 2002, 1038 [1039]), ist es unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar, zur Zusicherung einer Eigenschaft ohne Auslegung des Kaufvertrages zu gelangen. Der Fehler des Berufungsgerichts macht dessen Entscheidung derart unverständlich, dass sie sich als sachlich schlechthin unhaltbar und damit objektiv willkürlich darstellt. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG, Beschl. v. 29.4.1998 - 2 BvR 2939/93, NJW 1998, 2810 [2811]) kann eine Entscheidung gegen das Willkürverbot verstoßen, wenn bei der Auslegung einer Formularvertragsklausel durch das Gericht anerkannte Auslegungsgrundsätze in besonderem Maße außer Acht gelassen wurden. Nichts anders kann gelten, wenn - wie im vorliegenden Fall - eine sich als notwendig aufdrängende Vertragsauslegung unterblieben ist und dies der Verständlichkeit des angefochtenen Urteils entgegensteht.

2. Von einer Begründung im Übrigen wird gem. § 544 Abs. 4 Satz 2 ZPO abgesehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1257433

BB 2004, 2602

NJW 2005, 153

BGHR 2005, 188

FamRZ 2005, 195

NZM 2005, 18

ZfIR 2005, 704

AnwBl 2005, 220

MDR 2005, 228

Mitt. 2005, 44

ProzRB 2005, 153

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