Rz. 73

Die besondere Problematik des Anhörungsverfahrens für den Arbeitgeber beruht auf der Notwendigkeit, die Gründe für die beabsichtigte Kündigung vollständig mitzuteilen. Auszugehen ist vom Sinn des Anhörungsverfahrens. Dem Betriebsrat soll Gelegenheit gegeben werden, zu der beabsichtigten Kündigung Stellung zu nehmen und auf die Kündigungsentscheidung Einfluss zu nehmen. Dieser Zweck kann nicht erreicht werden ohne die Kenntnis der für den Arbeitgeber maßgeblichen vollständigen Umstände. Aus der Zweckbestimmung der Anhörung folgt auch, dass dem Betriebsrat auch die vom Arbeitgeber bedachten Umstände mitzuteilen sind, die gegen die beabsichtigte Kündigung sprechen. Nur so wird dem Betriebsrat ein umfassendes Bild vermittelt, das ihn in die Lage versetzt, den Arbeitgeber zu verstehen und auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen.

 

Rz. 74

 

Praxishinweis

Pauschale, schlagwortartige oder stichwortartige Bezeichnungen der Kündigungsgründe werden dem Anhörungsverfahren nicht gerecht; ebenso wenig darf sich der Arbeitgeber auf die Mitteilung bloßer Werturteile beschränken. Der für die Kündigung maßgebende Sachverhalt ist vielmehr so zu umschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in die Lage versetzt wird, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich über seine Stellungnahme schlüssig zu werden.[99]

 

Rz. 75

Stichwortartige Umschreibungen der Kündigungsgründe können ausnahmsweise genügen, wenn sie sich auf betriebliche Verhältnisse beziehen, die der Betriebsrat kennt und zu würdigen vermag. Zudem ist der Kenntnisstand des Betriebsratsvorsitzenden von Bedeutung, dem der Arbeitgeber die Kündigungsabsicht mitteilt (vgl. § 26 Abs. 2 S. 2 BetrVG). Soweit der Betriebsrat nicht nur aufgrund zufälliger privater Kenntnis von den maßgeblichen, die Kündigungsabsicht tragenden Umständen weiß, fällt es in den Verantwortungs- und Zuständigkeitsbereich des Betriebsrats, dass sein Vorsitzender ihm den notwendigen Kenntnisstand vermittelt.[100]

 

Rz. 76

Die im Einzelnen noch zu besprechende Mitteilungspflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat ist also "subjektiv determiniert".[101] Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat nur diejenigen Umstände mitteilen muss, die er selbst zum Anlass für die Kündigung nehmen will. Der Grundsatz der subjektiven Determination ist nicht zu verwechseln und hat nichts mit einer bewusst unvollständigen Unterrichtung des Betriebsrats zu tun. Wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat bewusst unvollständig unterrichtet, ihm also wider besseres Wissen Tatsachen, die vorliegen und für seine Kündigungsentscheidung relevant sind, verschweigt, dann ist diese Kündigung nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG unwirksam. Subjektive Determination bedeutet "nur", dass der Arbeitgeber sich darauf beschränken kann, diejenigen Umstände mitzuteilen, die für ihn maßgeblich sind, ihn veranlassen, die Kündigung auszusprechen. Allerdings ist nicht die subjektive Überzeugung des Arbeitgebers von der Relevanz oder Irrelevanz bestimmter Umstände maßgeblich. Da Zweck der Unterrichtungspflicht ist, den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, sachgerecht auf die Willensbildung des Arbeitgebers einzuwirken, darf der Arbeitgeber ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil die für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren.[102]

 

Rz. 77

Der "Nachteil" einer entsprechenden subjektiven Beschränkung besteht darin, dass der Arbeitgeber sich im nachfolgenden individualrechtlichen Kündigungsschutzprozess auch nur auf diejenigen Gründe berufen kann, auf die er die Kündigung gegenüber dem Betriebsrat gestützt hat. Stützt er sich auf andere Gründe, dann mögen diese kündigungsschutzrechtlich wirksam sein; sie sind aber kollektivrechtlich unwirksam mit der Folge, dass deswegen über § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG ein betriebsverfassungsrechtliches Verwertungsverbot im Kündigungsschutzprozess eintritt (vgl. dazu auch Rdn 179 ff.).

 

Rz. 78

In einer jüngeren Entscheidung aus dem Jahre 2014 hatte das Bundesarbeitsgericht Gelegenheit, noch einmal umfassend zum Thema subjektive Determination des Inhalts der Betriebsratsanhörung Stellung zu nehmen. Das BAG hat dazu Folgendes ausgeführt:

Für die Mitteilung der Kündigungsgründe gem. § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG gilt der Grundsatz der "subjektiven Determinierung". Der Arbeitnehmer muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt. Zu einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Information gehört darüber hinaus die Unterrichtung über Tatsachen, die ihm – dem Arbeitgeber – bekannt und für eine Stellungnahme des Betriebsrats möglicherweise bedeutsam sind, weil sie den Arbeitnehmer entlasten und deshalb gegen eine Kündigung sprechen können.[103...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge