Rz. 22

Die überkommene Lösung zur Pflichtteilsvermeidung auf der zweiten Stufe ist die Vor- und Nacherbschaft. Das, was dem Erben mit einer Nacherbschaft belastet hinterlassen wird, bildet bei ihm ein Sondervermögen, wie sich bereits aufgrund der Surrogationsvorschrift des § 2111 BGB zeigt. Mit Eintritt des Nacherbfalls (i.d.R. dem Tod des Vorerben) fällt kraft Gesetzes die Erbschaft an den Nacherben (§ 2139 BGB) und gehört damit nicht zum Eigenvermögen des Vorerben, so dass sich der Pflichtteil seiner eigenen Pflichtteilsberechtigten, der erst mit seinem Tod entsteht, nicht mehr hierauf bezieht. Daher ist allgemein anerkannt, dass die Anordnung einer solchen Vor- und Nacherbschaft ein taugliches Mittel zur Pflichtteilsreduzierung auf der zweiten Stufe ist.[19] Dies gilt nicht nur in den vorgenannten Fällen (siehe Rdn 21), sondern auch bei solchen, bei denen ansonsten das weit verbreitete sog. Berliner Testament von Ehegatten (§ 2269 BGB) ohne sonstige Bedenken verwendet werden könnte. Denn dieses kann zu einer u.U. sehr hohen Pflichtteilsbelastung führen, weil durch die gegenseitige Erbeinsetzung der Ehegatten und die Berufung der (i.d.R. gemeinsamen) Abkömmlinge zu Schlusserben das Vermögen des Erstversterbenden doppelt vererbt und damit u.U. einer doppelten Pflichtteilsbelastung unterworfen wird. Daher bietet auch dort die Berufung des längerlebenden Elternteils nur zum Vorerben die Möglichkeit, den Pflichtteil ganz erheblich zu reduzieren, weil nach dem Tod beider Eltern das vom Erstversterbenden stammende Vermögen nicht nochmals einer Pflichtteilsbelastung unterliegt. Es ist damit jeder Pflichtteilsklausel überlegen.[20] Dies wird auch als sog. Trennungslösung bezeichnet.[21]

 

Rz. 23

Je mehr allerdings die Wirkungen der Vor- und Nacherbschaft eingeschränkt werden, desto mehr kann auch der Effekt der Pflichtteilsreduzierung verloren gehen.[22] Werden etwa dem Vorerben gewisse Vermögenswerte frei von der Nacherbschaft als Vorausvermächtnis zugewandt, zählen sie zu seinem Eigenvermögen und unterliegen daher nach seinem Tod dem Pflichtteil seiner eigenen Pflichtteilsberechtigten. Wird die Nacherbschaft unter einer auflösenden Bedingung angeordnet, etwa dass der Vorerbe diese durch eine letztwillige Verfügung wieder beseitigen kann, um ihm eine möglichst große Testierfreiheit zu sichern, so führt der Eintritt der auflösenden Bedingung mit dem Wegfall der Nacherbschaft ebenfalls wieder zu einem diesbezüglichen Pflichtteil dieser Pflichtteilsberechtigten.

 

Bewertung

Pflichtteilsrecht: Die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft ist ein äußerst effektives Mittel, um zu verhindern, dass nach dem Tod des Vorerben dessen Pflichtteilsberechtigte auch hieraus ihren Pflichtteilsanspruch verlangen können. Bei Einschränkungen der Nacherbfolge (z.B. durch Vorausvermächtnisse für den Vorerben, auflösende Bedingung zur Beseitigung derselben) ist zu beachten, dass die pflichtteilsreduzierende Wirkung teilweise oder sogar ganz verloren gehen kann.

Anderes: Die Nacherbfolge hat aber auch ganz erhebliche Nachteile:[23] Sie schafft komplizierte Rechtsverhältnisse mit Verfügungs- und Verwaltungsbeschränkungen, Surrogation, Anwartschaftsrecht des Nacherben, schwieriger Lastenverteilung zwischen Vor- und Nacherben, die nicht nur im rechtlichen Ansatz z.T. äußerst schwierig sind, sondern im praktischen Vollzug noch größere Probleme bereiten. Von ihr sollte daher nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht werden, insbesondere bei der Falllage des Geschiedenentestaments oder wenn Ehegatten sich zwar gegenseitig bedenken wollen, aber einseitige Abkömmlinge bei einem Ehegatten vorhanden sind.[24]

[19] Vgl. etwa Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 3. Kap. Rn 117; Nieder/Kössinger, Testamentsgestaltung, § 10 Rn 117.
[20] Vgl. dazu v. Dickhuth-Harrach, in: FS Rheinisches Notariat, S. 185, S. 204 ff. mit ausführlichen Berechnungsbeispielen; J. Mayer, in: Reimann/Bengel/Mayer, Testament und Erbvertrag, System. Teil A Rn 434.
[21] Eingehend dazu etwa Nieder/Kössinger, Testamentsgestaltung, § 14 Rn 89 ff.; J. Mayer, in: Reimann/Bengel/Mayer, Testament und Erbvertrag, § 2269 Rn 52 ff.
[22] Vgl. dazu ausführlich J. Mayer, ZEV 2000, 1, 5 (unter Abschn. 3.2.4).
[23] Vgl. etwa nur J. Mayer, ZEV 2000, 1, 2; Frank, MittBayNot 1987, 231; v. Dickhuth-Harrach, in: FS Rheinisches Notariat, S. 185, 206.
[24] Zutreffend v. Dickhuth-Harrach, in: FS Rheinisches Notariat, S. 185, 206 f. (der darauf hinweist, dass sonst im Normalfall dem Berliner Testament mit Einheitslösung der Vorzug gegeben werden sollte).

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