Rz. 106
Der Antrag auf Rückgabe eines widerrechtlich verbrachten Kindes muss innerhalb der Jahresfrist bei dem zuständigen Gericht gestellt werden. Eine Antragstellung bei der Zentralen Behörde reicht angesichts des eindeutigen Wortlauts von Art. 12 Abs. 1 HKÜ nicht aus.[288] Es kommt hingegen nicht darauf an, ob das Gericht binnen eines Jahres seit der Entführung entschieden hat.[289]
Ist bei Antragstellung die Jahresfrist verstrichen, so ordnet das Gericht die Rückgabe des Kindes an, sofern nicht erwiesen ist, dass das Kind sich in seine neue Umgebung eingelebt hat, Art. 12 Abs. 2 HKÜ. Ein Einleben ist anzunehmen, wenn das Kind sich in seinem unmittelbaren familiären und sozialen Umfeld in stabilen, seinen Bedürfnissen und seinem Wohl entsprechenden Verhältnissen befindet. Das Kind muss mit dem neuen Wohnort und den Bezugspersonen verbunden und verwachsen, in seinem neuen Freundes- und Verwandtschaftskreis verwurzelt und ein Bruch mit der bestehenden Umgebung vollkommen unzumutbar sein. Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung kommt es dabei auf den Zeitpunkt der Entscheidung und nicht auf den Antragseingang an, weil es in diesem Zusammenhang um die veränderte Lage des Kindes und nicht um den Schutz des Antragstellers vor Verfahrensverzögerungen geht. Die objektive Feststellungslast trifft den Entführer.[290] Im Rahmen seiner Prüfung kann das Gericht einen Verfahrensbeistand bestellen oder aus den Berichten des Jugendamtes oder einer Kindesanhörung (siehe dazu auch Rdn 138) Erkenntnisse zum Einleben des Kindes (siehe dazu Rdn 106) gewinnen.
Rz. 107
Verbringen und Zurückhalten müssen dabei gleich behandelt werden, ansonsten würde beim Zurückhalten eine Frist nach Art. 12 HKÜ gar nicht zu laufen beginnen, da sich der rechtswidrige Zustand des Zurückhaltens täglich erneuern würde. Die Jahresfrist beginnt, sobald das Kind entsprechend dem Gesetz, der gerichtlichen Entscheidung oder der Absprache an den anderen Elternteil hätte zurückgegeben werden müssen.[291]
Rz. 108
Die Jahresfrist hat keine Auswirkungen auf die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes am Zufluchtsort.[292] Dies folgt aus Art. 16 HKÜ.[293]
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