Rz. 19

Da das Grundverhältnis im Rahmen einer Vorsorgevollmacht kein gesetzlich explizit normiertes Rechtsverhältnis ist, stellt sich die Frage, wie das Grundverhältnis rechtlich zu qualifizieren ist. Die rechtliche Qualifikation des Rechtsverhältnisses ist in erheblichem Maße abhängig vom jeweiligen Einzelfall und kann somit nicht pauschal beantwortet werden. Sie ist indes nur dann von Bedeutung, wenn aus dem Vollmachtsdokument aufgrund fehlender Regelungen nicht eindeutig hervorgeht, wie das Grundverhältnis rechtlich ausgestaltet ist.

 

Rz. 20

 

Praxistipp

Es ist somit in erheblichem Maße ratsam, bereits bei der Errichtung der Vollmacht eine eindeutige Regelung des Grundverhältnisses zu treffen. Auf diese Weise können langwierige Streitigkeiten und Auslegungsproblematiken vermieden werden. Idealerweise wird insoweit bestimmt, dass Auftragsrecht zur Anwendung gelangen soll (§ 1 Rdn 8).

 

Rz. 21

Von entscheidender Bedeutung bei der rechtlichen Qualifikation des Grundverhältnisses sind die Fragen danach, ob die Beteiligten einen Rechtsbindungswillen hatten,[13] ob die Vertretung unentgeltlich oder entgeltlich erfolgen sollte, welche Ansprüche gegen den Bevollmächtigten begründet werden sollten und welche Rechte der Bevollmächtigte im Gegenzug erhalten sollte.

 

Rz. 22

Die Feststellung eines Rechtsbindungswillens erfolgt anhand objektiver Gesichtspunkte und verlangt zugleich eine Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles.[14] Mit den Worten des Bundesgerichtshofes ist für die Feststellung eines Rechtsbindungswillens entscheidend, "wie sich dem objektiven Beobachter nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls mit Rücksicht auf die Verkehrssitte das Handeln des Leistenden darstellt".[15] Ein Wille zur vertraglichen Bindung sei folglich "insbesondere dann zu bejahen, wenn erkennbar ist, dass für den Leistungsempfänger wesentliche Interessen wirtschaftlicher Art auf dem Spiel stehen und er sich auf die Leistungszusage verlässt oder wenn der Leistende an der Angelegenheit ein eigenes rechtliches oder wirtschaftliches Interesse hat."[16]

 

Rz. 23

Anhand dieser Kriterien muss folglich für jeden Einzelfall, in welchem das Grundverhältnis keiner eindeutigen Regelung zugeführt wurde, bestimmt werden, ob ein bloßes Gefälligkeitsverhältnis oder ein anderweitiges Rechtsverhältnis gegeben ist.

[13] BGH, Urt. v. 22.6.1956 – I ZR 198/54, NJW 1956, 1313; Horn/Schabel, NJW 2012, 3473; Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 2.4.2019 – 3 U 39/18, ZErb 2019, 145.
[14] Trimborn v. Landenberg, Vollmacht vor und nach dem Erbfall, § 3 Rn 9.
[15] BGH, Urt. v. 23.7.2015 – III ZR 346/14, NJW 2015, 2880 Rn 8; BGH, Urt. v. 21.6.2012 - III ZR 291/11, NJW 2012, 3366 Rn 14.

I. Auftragsverhältnis

 

Rz. 24

Erfolgt die Vollmachtserteilung durch den Vollmachtgeber mit Rechtsbindungswillen, soll die Ausübung der Vollmacht jedoch unentgeltlich erfolgen, so ist in der Regel von einem Auftragsverhältnis auszugehen (§ 662 BGB).[17] Schwierig ist insoweit jedoch die Feststellung, ob ein Rechtsbindungswille gegeben war.

 

Rz. 25

Nach der hier vertretenen Auffassung ist bei einer unentgeltlichen Bevollmächtigung im Zusammenhang mit einer Vorsorgevollmacht in der Regel ein Rechtsbindungswille des Vollmachtgebers anzunehmen, da die Vorsorgevollmacht neben der Vermeidung einer Betreuerbestellung weitreichende Befugnisse zur Wahrnehmung finanzieller und persönlicher Interessen beinhaltet und auf einen längeren Zeitraum ausgelegt ist.[18] Die häufig für die Annahme einer Gefälligkeit angeführte Vertrauens- und Nähebeziehung zwischen Vollmachtgeber und Bevollmächtigten ist gerade kein Argument, auf welches die Verneinung des Rechtsbindungswillens gestützt werden kann, da diese bei der überwiegenden Zahl der Vorsorgevollmachten vorzufinden ist (siehe Rdn 37 ff.).

 

Rz. 26

Das Fehlen eines Rechtsbindungswillens seitens des Vollmachtgebers muss insoweit in besonderem Maße zum Ausdruck kommen, damit ein Auftragsverhältnis verneint werden kann. Lediglich dann, wenn im Einzelfall besondere Anhaltspunkte dafür bestehen, dass kein Rechtsbindungswille seitens des Vollmachtgebers gegeben ist, kommt die Annahme einer bloßen Gefälligkeit (siehe Rdn 48 ff.) in Betracht.

 

Rz. 27

Folge des Auftragsverhältnisses sind die weitreichenden Auskunfts- und Rechenschaftspflichten des Bevollmächtigten gegenüber dem Vollmachtgeber nach §§ 666 Var. 2 und 3, 259 BGB, welche auch für etwaige spätere Erben von Bedeutung sein können und einen Rückgriff auf § 242 BGB, zur Geltendmachung von Auskunftsansprüchen, entbehrlich werden lassen (§ 22 Rdn 2 ff.).[19] Weniger bedeutungsvoll sind im Zusammenhang mit Vorsorgevollmachten die ebenfalls bestehenden Benachrichtigungspflichten, § 666 Var. 1 BGB. Hinzu kommen weiter die gesetzlich normierten Herausgabepflichten nach § 667 BGB und der Haftungsmaßstab nach § ...

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