Rz. 6

Unter eine Rechtssache fällt jede rechtliche Angelegenheit, die zwischen mehreren Beteiligten mit möglicherweise entgegenstehenden rechtlichen Interessen nach Rechtsgrundsätzen behandelt oder erledigt werden soll.[6] Ob dieselbe Rechtssache vorliegt, bestimmt sich nach dem sachlich-rechtlichen Inhalt der anvertrauten Angelegenheit.[7] Entscheidend ist, dass das anvertraute materielle Rechtsverhältnis bei natürlicher Betrachtungsweise auf ein innerlich zusammengehöriges, einheitliches Lebensverhältnis zurückgeführt werden kann.[8] Es wird die Identität der dem Rechtsanwalt anvertrauten Lebenssachverhalte vorausgesetzt, wonach in beiden Sachenverhalten ein und derselbe historische Vorgang von Bedeutung sein muss.[9] Nicht der einzelne Anspruch aus dem einheitlichen Sachverhalt steht im Vordergrund, sondern die Identität des einheitlichen Lebensverhältnisses selbst.[10] Von derselben Rechtssache kann nicht nur gesprochen werden, wenn es sich um dasselbe Verfahren und dieselben Parteien handelt; vielmehr kann auch dieselbe Rechtssache vorliegen, wenn in Verfahren verschiedener Art und verschiedener Zielrichtung ein- und derselbe Sachverhalt rechtliche Bedeutung erlangt.[11] Die Einheitlichkeit der Lebenssachverhalte wird auch nicht durch einen längeren Zeitablauf, den Wechsel der beteiligten Personen oder eine zwischenzeitliche Wandlung des Rechtsverhältnisses, z.B. nach einem Prozessvergleich oder einer gütlichen Einigung, aufgehoben.[12] Eine Teilidentität der Sachverhalte kann genügen.[13] Insbesondere im Erbrecht wird von der Klammerwirkung des vom Erbfall bestimmten Nachlassbestands gesprochen, soweit sich die Mandate zumindest teilweise sachlich-rechtlich decken.[14]

 

Rz. 7

In zeitlicher Hinsicht endet die anvertraute Angelegenheit nicht mit dem Ende des Mandats, sofern dem Rechtsanwalt einmal eine Angelegenheit anvertraut wurde.[15] Die anvertraute Angelegenheit bleibt auch für die Zukunft bestehen, wodurch der Rechtsanwalt nicht in derselben Rechtssache dem nunmehrigen Gegner seines früheren Auftraggebers Rat und Beistand gewähren darf, sofern der anvertraute Verfahrensstoff bei einem anderen Auftragsverhältnis wieder rechtliche Bedeutung erlangt.[16]

[6] BGH NJW 2013, 1247; BGH NJW 2008, 2723; 2724; Kleine-Cosack, § 43a BRAO Rn 142.
[7] BGHSt 5, 301, 304; BGHSt 34, 190 = NJW 1987, 335; Fischer, § 356 StGB Rn 5.
[8] Weyland/Träger, § 43a BRAO Rn 61.
[9] OLG München NJW 1997, 1313; Kleine-Cosack, § 43a BRAO Rn 142.
[10] Henssler/Prütting/Henssler, § 43a BRAO Rn 200.
[11] BGHSt 5, 301, 304; BGHSt 34, 190 = NJW 1987, 335.
[12] BGHSt 5, 301, 304; BGHSt 7, 261; Fischer, § 356 StGB Rn 5; Henssler/Prütting/Henssler, § 43a BRAO Rn 200.
[13] AGH NRW Beschl. v. 5.4.2019 – 2 AGH 21/18 = BeckRS 2019, 46846.
[15] BGHSt 34, 190 = NJW 1987, 335.
[16] BGHSt 18, 192, 193; BGHSt 34, 190 = NJW 1987, 335.

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