Rz. 99

In der öffentlichen Diskussion wird nicht immer strikt getrennt, ob unseriöse Inkassodienstleistungen bekämpft oder seriöse Inkassodienstleistungen (weiter) reguliert werden sollen. Das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken war schon in seiner Bezeichnung irreführend, weil es nicht nur unseriöse Geschäftspraktiken erfasst, sondern auch die Tätigkeit seriöser Rechtsanwälte und seriöser Inkassodienstleister, die jedenfalls bei Auftragserteilung im wesentlichen unstreitige Forderungen bei zahlungsunwilligen, derzeit nicht erreichbaren oder – was im Einzelfall zunächst mit der vorgerichtlichen Geltendmachung der Forderung rechtssicher festzustellen ist – ganz oder vorübergehend zahlungsunfähigen Schuldnern beitreiben, sichern und überwachen.

Unseriös ist die Einziehung gar nicht bestehender, schon erfüllter oder trotz begründeter Einrede der Verjährung weiterverfolgter Ansprüche. Der gewählte Ansatz, solche unseriösen Einziehungstätigkeiten als Inkassodienstleistungen insgesamt niedriger als nach den Gebührensätzen des RVG (über § 254 BGB) zu vergüten, begegnet schon im Ansatz Bedenken. Unseriöses Inkasso war und ist überhaupt nicht und seriöses Inkasso aus rechtlichen und wirtschaftlichen Erwägungen heraus angemessen und entsprechend den Vergütungen für die Rechtsanwälte als gleichwertiger Rechtsdienstleister zu vergüten![201]

 

Hinweis

Damals wie heute hat es der Gesetzgeber versäumt, der legitimen Überlegung weiter nachzugehen, ob bei unstreitigen Forderungen das Vergütungsniveau des RVG gemessen am festzustellenden Aufwand unangemessen hoch ist. Das wird zwar behauptet, ist aber rechtstatsächlich nicht belegt. Wer sich mit den tatsächlichen Aufwänden der beiden Rechtsdienstleister beschäftigt, dem wird sich schnell zeigen, dass der Aufwand, die Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit des Schuldners auch vor dem Hintergrund der Anforderungen an die Titulierung, dem Pfändungsschutz in der Zwangsvollstreckung und der Belehrung des Mandanten über sein Kostenrisiko zu hinterfragen und ihn vielfach auch überhaupt einmal zur Kommunikation zu bewegen, hinter dem Aufwand, zu prüfen, ob eine Forderung begründet ist, nicht zurückbleibt.

Die schon in der Vorauflage (Kap. 1 Rn 73) getroffene Aussage, dass sich der Gesetzgeber dem Vorwurf der Willkür aussetzt, wenn er Inkassoregelsätze ohne eine vorherige gründliche Untersuchung der Kostenstruktur festlegt, ist auch im Angesicht der aktuellen Novellierung durch das Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht nicht zu revidieren.

 

Rz. 100

Soweit ein materiell-rechtlicher Anspruch nicht oder nur in rechtlich nicht zu akzeptierender Weise begründet wurde (nichtig oder anfechtbar nach §§ 138, 121, 242 BGB etc.), besteht weder ein materiell-rechtlicher noch ein prozessrechtlicher Anspruch auf Rechtsverfolgungskosten. Solche erschlichenen Forderungen werden von dem Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken also von vorneherein nicht erfasst. Hierauf beruht aber in weiten Teilen unseriöses Inkasso. Dessen Grundlage ist es, dass der Verbraucher oder auch Unternehmer die nicht begründete Forderung nebst den geltend gemachten Inkassokosten aus den unterschiedlichsten Gründen (Unkenntnis und Unerfahrenheit, mangelnde Aufmerksamkeit, Überforderung, Drucksituation) ausgleicht und sich dagegen nicht zur Wehr setzt.

 

Rz. 101

Dabei zeigen sich Inkassodienstleister und solche, die nur vorgeben ein registriertes Inkassounternehmen zu sein, als Täter wie als Opfer. Auch Inkassodienstleister werden – wie im Übrigen täglich Rechtsanwälte und Gerichte – von dem vermeintlichen Gläubiger über die Berechtigung der einzuziehenden Forderung getäuscht, da die Rechtsprüfung eines Rechtsanwaltes wie eines Inkassodienstleisters – nur aufgrund der vom Mandanten (Gläubiger) erteilten Information beurteilt werden kann.

 

Rz. 102

Zur Bekämpfung unseriöser Praktiken der beschriebenen Art wären tatsächlich Regelungen im materiellen Recht und im Berufsrecht erforderlich gewesen. In materiell-rechtlicher Hinsicht ist solchen Forderungen die Wirksamkeit abzusprechen und die gewerbsmäßig unzulässige Begründung von Forderungen muss straf- und berufsrechtlich konsequent verfolgt werden. Berufsrechtlich muss gesichert sein, dass zumindest eine Schlüssigkeitsprüfung tatsächlich stattfindet. Auch dies muss von den Aussichtsbehörden stichprobenartig und präventiv, aber auch unmittelbar auf Schuldnerbeschwerden hin, überprüft werden. Hier bestand und besteht insgesamt ein Regelungs- und Vollzugsdefizit, dass der Gesetzgeber mit dem damaligen Gesetzentwurf nicht hat beheben können.

Es wurde bereits zum Ausdruck gebracht, dass das Kostenrecht nicht als taugliches Mittel erscheint, um unseriöses Inkasso zu bekämpfen. Der Betrüger wird sich von abgesenkten Inkassogebühren nicht abschrecken lassen, sondern im Sinne des erstrebten Gesamterlöses nur versuchen, noch mehr Menschen mit seinen unbegründeten Beitreibungsversuchen zu traktieren, um die Quote der verschreckten Zahler so zu erhöhen. Es erscheint...

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