Rz. 98

Auch im Wohnungseigentumsrecht gilt der sachenrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz. Daraus ergibt sich, dass die Grenzen des Sondereigentums und des gemeinschaftlichen Eigentums klar abgesteckt sein müssen. Diesen Zweck erfüllt der Aufteilungsplan (→ § 1 Rdn 3), aus dem "die Aufteilung des Gebäudes und des Grundstücks sowie die Lage und Größe der im Sondereigentum und der im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Teile des Gebäudes und des Grundstücks ersichtlich ist" (§ 7 Abs. 4 Nr. 1 WEG). Alle zu demselben Wohnungseigentum gehörenden Einzelräume und Teile des Grundstücks sind mit der jeweils gleichen Nummer zu kennzeichnen. Was nicht zweifelsfrei dem Sondereigentum zugewiesen ist, ist Gemeinschaftseigentum. Bei Widersprüchen oder abweichender Bauausführung gelten folgende Grundsätze:[132]

 

Rz. 99

Widersprüche zwischen der Teilungserklärung und dem Aufteilungsplan:

Stimmen die wörtliche Beschreibung der zum Sondereigentum gehörenden Räumlichkeiten in der Teilungserklärung und die Angaben im Aufteilungsplan nicht überein, ist keiner der sich widersprechenden Erklärungsinhalte vorrangig. Das ist auch dann der Fall, wenn der Aufteilungsplan einen Raum (z.B. im Dachboden oder Keller) mit einer Nummer kennzeichnet, die Teilungserklärung ihn aber nicht der Einheit mit der betreffenden Nummer zuweist. Rechtsfolge: An den Räumlichkeiten entsteht kein Sondereigentum.[133] Streitigkeiten hierüber sind (anders als nach dem alten Recht) WEG-Sachen gem. § 43 Abs. 2 Nr. 1 WEG (→ § 13 Rdn 9). Wenn es um die Beschreibung der zulässigen Nutzung geht, sind Widersprüche unbeachtlich, denn es ist nur die Teilungserklärung maßgeblich.

Abweichende Bauausführung:

Eine vom Aufteilungsplan abweichende Bauausführung hindert die Entstehung von Sondereigentum im Normalfall nicht. Sondereigentum entsteht in den Grenzen von Teilungserklärung und Aufteilungsplan (innerhalb der "Luftschranken"), nicht entsprechend der tatsächlichen Bauausführung.[134] Nur wenn infolge völlig abweichender Bauausführung die Zuordnung von Räumlichkeiten zu einer im Plan vorgesehenen Sondereigentumseinheit nicht möglich ist, entsteht an den betreffenden Räumlichkeiten kein Sondereigentum (→ § 1 Rdn 106); das ist aber ein seltener Extremfall.
 

Rz. 100

Eine vom Aufteilungsplan abweichende Bauausführung hat i.d.R. keine praktischen Auswirkungen. Im Normalfall nimmt man die Differenzen einfach hin; es besteht kein zwingender Handlungsbedarf. Das sieht der BGH nur scheinbar anders: "Wenn die tatsächliche Bauausführung von dem Aufteilungsplan abweicht, muss die eindeutige sachenrechtliche Abgrenzung des Sondereigentums hergestellt werden. Dies geschieht, indem – vorrangig – die Bauausführung an den Aufteilungsplan angeglichen wird oder – soweit dies nicht zumutbar ist – indem der Aufteilungsplan geändert wird. Auf die eine oder auf die andere Weise können und müssen Bauausführung und Aufteilungsplan zur Übereinstimmung gebracht werden."[135] Aber Handlungspflichten entstehen nur, wenn ein Miteigentümer Ansprüche geltend macht (dazu nachfolgend → § 1 Rdn 101), was häufig nicht passiert. Ein Verwalter ist jedenfalls nicht verpflichtet, von sich aus darauf hinzuwirken, dass Teilungserklärung, Aufteilungsplan und Bauausführung zur Deckung kommen. Es besteht insbesondere auch keine öffentlich-rechtliche Pflicht, die genannten Differenzen zu beseitigen. Das Baurechtsamt interessiert sich nach der Erteilung der Abgeschlossenheitsbescheinigung nicht mehr für den Aufteilungsplan. Es prüft im Zuge der Herstellung des Objekts die Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Vorschriften und die Übereinstimmung der Bauausführung mit den Baugenehmigungsplänen. Ob die Baugenehmigungspläne dem Aufteilungsplan entsprechen (oder bspw. in Abweichung davon geändert wurden), ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Das Grundbuchamt legt die Wohnungsgrundbücher auf der Grundlage der Teilungserklärung und des vom Baurechtsamt geprüften Aufteilungsplans (→ § 1 Rdn 4) an. Die tatsächliche Bauausführung ist in Bezug auf die Anlegung der Wohnungsgrundbücher schon theoretisch nicht maßgeblich und kann im Fall des Neubaus auch praktisch keine Rolle spielen, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt das Gebäude noch gar nicht errichtet ist. Manchmal verweigert ein Grundbuchamt nach dem Verkauf einer Wohnung die Eigentumsumschreibung mit der Begründung, die Bauausführung entspreche nicht der Teilungserklärung und dem Aufteilungsplan (woher auch immer es diese Kenntnis hat). Eine solche Zurückweisung des Eintragungsantrags ist nur dann rechtmäßig, wenn die Abweichungen so massiv sind, dass kein Sondereigentum entstanden ist – also fast nie. Das Grundbuch ist nämlich im Normalfall trotz Abweichungen der Bauausführung vom Aufteilungsplan richtig, weil nicht die Bauausführung, sondern nur der Aufteilungsplan maßgeblich ist (→ § 1 Rdn 99). Eine beantragte Eigentumsumschreibung ist also trotz gewisser Abweichungen zu vollziehen.[136]

 

Rz. 101

Bei abweichender Bauausführung hat jeder Miteigentümer im Normalfall ei...

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