Rz. 269

Bei der näheren Prüfung des Förderungsgrundsatzes sind die jeweiligen Betreuungsmöglichkeiten der Eltern zu betrachten, wobei alle Einzelfallumstände sowie die geschützten Rechtspositionen der Eltern zu werten sind. Insoweit wird angenommen, dass ein psychologischer Erfahrungssatz dafür besteht, dass es dem Kindeswohl förderlicher ist, eine persönliche Betreuung durch einen Elternteil zu erhalten[1029] statt einer Fremdbetreuung durch Großeltern, Tagesmütter oder den Lebenspartner eines Elternteils.[1030] Demnach kann berücksichtigt werden, dass ein Elternteil weitergehende Möglichkeiten zur Betreuung des Kindes hat;[1031] denn je jünger ein Kind ist, umso wichtiger ist es für seine Entwicklung, dass es sich in der Obhut eines Menschen weiß, der Zeit hat, auf seine Fragen, Wünsche und Nöte einzugehen, wenngleich damit ein Primat des beruflich weniger eingespannten Elternteils allerdings nicht verbunden ist.[1032] Dem nicht erwerbstätigen Elternteil, der das Kind tagsüber persönlich betreuen kann, kommt daher in der Praxis bislang ein klarer Vorteil zu, so dass bei ansonsten gleicher Erziehungsfähigkeit der Eltern wegen der persönlichen Betreuung eines Elternteils diesem gegebenenfalls der Vorzug gegeben wird (vgl. aber auch Rdn 271.[1033]

 

Rz. 270

Entschließt sich daher ein Elternteil, dem vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen wurde, zur Aufgabe oder Reduzierung seiner Erwerbstätigkeit, um die Kinderbetreuung zu übernehmen, so müssen die hieraus folgenden finanziellen Konsequenzen auch in der unterhaltsrechtlichen Auseinandersetzung Berücksichtigung finden, selbst wenn der betreffende Elternteil sodann im Sorgerechtshauptsacheverfahren unterliegt. Eine fiktive Zurechnung der früheren Einkünfte scheidet in diesem Fall aus,[1034] soweit kind- oder elternbezogene Gründe i.S.d. § 1570 BGB, die auch im Rahmen von § 1361 BGB zu berücksichtigen sind,[1035] einer Erwerbstätigkeit entgegenstehen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Elternteil, der bislang durch seine Erwerbstätigkeit für den finanziellen Familienunterhalt Sorge getragen hat, bei einer Umstellung seiner beruflichen Tätigkeit keine Rücksichtnahme walten lassen müsste. Sowohl die Unterhaltspflicht gegenüber dem bislang betreuenden Elternteil als auch die Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern wird durch die Elternverantwortung geprägt.[1036] Also kann ein erwerbstätiger Elternteil – solange die Kinder beim anderen Elternteil wohnen – nicht einfach, um seine Chancen im Sorgerechtsverfahren zu verbessern, unterhaltsrechtlich risikolos seine Berufstätigkeit einstellen. Unterliegt er dann im Sorgerechtsverfahren, werden ihm fiktive Einkünfte zugerechnet werden müssen.

 

Rz. 271

Angesichts der jüngeren gesellschaftlichen Entwicklungen wird das Primat der persönlichen elterlichen Betreuung zu überdenken sein.[1037] Der Gesetzgeber selbst hat beispielsweise mit der Neugestaltung des nachehelichen Betreuungsunterhalts in § 1570 BGB für Kinder ab Vollendung des dritten Lebensjahres grundsätzlich den Vorrang der persönlichen Betreuung gegenüber anderen kindgerechten Betreuungsmöglichkeiten aufgegeben und ist dabei ausdrücklich von der Gleichwertigkeit der Selbst- und der Fremdbetreuung ausgegangen.[1038] Zu berücksichtigen ist auch, inwieweit letztlich eine Fremdbetreuung im Interesse des Kindes ist, weil dieses im Umgang mit anderen soziale Kompetenzen erlernt und gefördert werden kann, statt isoliert im Haushalt eines Elternteils aufzuwachsen, vor allem dann, wenn er das Kind nicht angemessen fördert.[1039]

 

Rz. 272

Verfehlt wäre es auch, allein auf die objektive Betreuungsmöglichkeit abzustellen und die subjektive Betreuungsbereitschaft außer Ansatz zu lassen. Manchmal hat ein Elternteil zwar eine geringere Betreuungszeit zur Verfügung und ist auf die Hilfe Dritter – etwa Großeltern oder Tagesmütter – angewiesen; zugleich kann er allerdings in der ihm zur Verfügung stehenden Zeit eine wesentlich intensivere Betreuung des Kindes gewährleisten[1040] – die Psychologen sprechen von quality time. Geht dies mit einer stärkeren Bindung des Kindes an diesen Elternteil einher, so ist diese stärkere innere Beziehung zu berücksichtigen.[1041]

[1029] OLG Köln FamRZ 2014, 575; 2010, 139; für die Eltern von Kleinkindern wohl auch Becker-Stoll, FamRZ 2010, 77.
[1030] BVerfG FamRZ 1981, 124; OLG Hamburg FamRZ 2001, 1088.
[1031] OLG Köln FamRZ 2014, 575; OLG Hamm NZFam 2014, 430.
[1032] Vgl. BVerfG FamRZ 1981, 124; BGH FamRZ 1985, 169; OLG Saarbrücken FamRZ 2011, 1153.
[1034] BVerfG FamRZ 1996, 343.
[1035] Vgl. etwa OLG Brandenburg FamFR 2010, 297 m.w.N.
[1036] BVerfG FamRZ 1996, 343.
[1037] Kritisch dagegen – insbesondere bei Kindern unter einem Jahr – Becker-Stoll, FamRZ 2010, 77.
[1038] BGH FamRZ 2012, 1040; 2009, 770; dazu – aus sorgerechtlicher Sicht – OLG Saarbrücken, Beschl. v. 17.2.2011 – 6 UF 112/10 (n.v.).

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