Rz. 83

Seit dem 26.2.2002 gibt es den Deutschen Corporate Governance Kodex.[98] Er wird in seiner jeweils aktuellen Fassung im amtlichen Teil des Bundesanzeigers im Internet unter der Adresse www.bundesanzeiger.de veröffentlicht.[99] Der Kodex enthält Verhaltensempfehlungen, die sich in erster Linie an Vorstand und Aufsichtsrat börsennotierter Gesellschaften richten. Die Verhaltensempfehlungen entsprechen nach Auffassung der Regierungskommission, die den Kodex erarbeitet hat, der best practice und sollen daher von den börsennotierten Unternehmen beachtet werden. Die Empfehlungen haben zwar keinen Gesetzescharakter und sind nicht zwingend anzuwenden. Vorstand und Aufsichtsrat einer börsennotierter Gesellschaft müssen aber gemäß dem durch das TransPuG (siehe Rdn 10) eingeführten § 161 AktG jährlich erklären, inwieweit die Empfehlungen in der Vergangenheit eingehalten wurden und in Zukunft eingehalten werden.[100] Seit dem BilMoG (siehe Rdn 10) muss in dieser sog. Entsprechens-Erklärung bei Abweichungen vom Kodex auch begründet werden, warum die betreffende Empfehlung nicht angewendet wurde bzw. werden soll. Die Entsprechens-Erklärung ist durch Einstellen auf die Internetseite der Gesellschaft dauerhaft öffentlich zugänglich zu machen, § 161 Abs. 2 AktG, und sie ist in die Erklärung zur Unternehmensführung aufzunehmen, welche börsennotierte Gesellschaften seit dem BilMoG (siehe Rdn 10) als Teil des Lageberichts abzugeben haben, § 289a HGB. Die in die Zukunft gerichtete Erklärung ist eine bloße Absichtserklärung ohne Bindungswirkung, von der abgewichen werden kann. Wird von ihr abgewichen, müssen Vorstand und Aufsichtsrat diese Abweichung aber im Sinne einer Korrektur unverzüglich erklären.[101] Eine schon bei Abgabe unrichtige oder mangels Korrektur später unrichtig gewordene Entsprechens-Erklärung soll bei schwerem Verstoß die Anfechtbarkeit der Entlastungsbeschlüsse begründen können,[102] außerdem in bestimmten Fällen bei grober Missachtung auch zur Anfechtbarkeit anderer mit der betreffenden Kodex-Empfehlung im Zusammenhang stehender Hauptversammlungsbeschlüsse führen können.[103]

Die Entsprechens-Erklärung und eine eventuelle unterjährige Korrektur-Erklärung haben durch Vorstand und Aufsichtsrat zu erfolgen. Beide Organe müssen also hierüber beschließen und eine Erklärung abgeben. In der Praxis werden aber die Erklärungen der beiden Organe – sofern sie inhaltlich übereinstimmen – nach außen wie eine einheitliche Erklärung abgegeben.

[98] Dazu Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 8. Aufl. 2021; Seibert, BB 2002, 581; Peltzer, Deutsche Corporate Governance, 2004; Ulmer, ZHR (166), 2002, 150; v. Werder, DB 2002, 801.
[99] Deutscher Corporate Governance Kodex i.d.F. v. 16.12.2019, veröff. im BAnz am 20.3.2020, Banz AM 20.3.2020 B3.
[100] Vgl. dazu Lutter, ZHR 166 (2002), 523; Seibt, AG 2002, 249 ff.; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789; ausführlich zur Haftung bei fehlerhafter Entsprechens-Erklärung Lutter, in: FS Druey 2002, S. 463; Berg/Stöcker, WM 2002, 1569.
[101] Dazu ausführlich Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509; zu einer möglichen Haftung in diesem Zusammenhang Ettinger/Gützediek, AG 2003, 353.
[102] Vgl. BGHZ 182, 272 Rn 16 ff.
[103] Mit Recht deutlich einschränkend jetzt BGHZ 220, 36 Rn 24 ff. (zu Wahlbeschlüssen zum Aufsichtsrat; zur Entwicklung des Diskussionstandes Hüffer/Koch, § 161 Rn 31 ff. m. umf. Nachw. aus Rspr. und Lit.

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