Deutscher Corporate Governance Kodex – Fassung 2022

Ein deutliches Mehr an Compliance in börsennotierten deutschen Großunternehmen war Ziel der am 20.3.2020 in Kraft getretenen Reform des deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK). Die neue, seit 28.6.2022 gültige Fassung legt den Fokus auf Nachhaltigkeit, auf Ökologie, Soziales sowie auf eine einwandfreie Unternehmensführung (Environmental Social Governance – „ESG“).

Beachtung des DCGK stärkt das Anlegervertrauen

Der DCGK fasst die gesetzlichen Vorschriften insbesondere des AktG zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften zusammen und gibt die international und national anerkannten Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung in Form von Empfehlungen und Anregungen (soft law) wieder. Diese Anregungen entfalten zwar keine unmittelbare Rechtsverbindlichkeit, werden in der Unternehmenspraxis großer Unternehmen aber immer bedeutsamer, da inzwischen auch die Börse auf die Missachtung des DCGK durch einzelne Unternehmen reagiert. Dies hat viel mit dem für Anleger wichtigen Vertrauen in eine ordnungsgemäße und transparente Unternehmensführung zu tun.

DCGK inzwischen mehrfach reformiert

Eingeführt wurde der deutsche Unternehmenskodex im Jahr 2002. Seither ist er mehrfach überarbeitet worden. Immer wieder wurde insbesondere von Unternehmensseite erhebliche Kritik an dem Regelwerk geäußert. Zu umfangreich, zu bürokratisch und zu detailversessen waren immer wieder gehörte Kritikpunkte.

Relevanz des DCGK wächst in deutschen Unternehmen stetig

Der Kritik der Unternehmensseite wurde mit der Reform zumindest in einigen Punkten Rechnung getragen. Insbesondere die umfangreichen Stellungnahmen wichtiger deutscher Großunternehmen  zeigen die hohe Relevanz, die das Regelwerk inzwischen für deutsche Unternehmen erfahren hat.

Die wichtigsten Neuerungen im DCGK 2022

Wesentliche Änderungen gegenüber der bisher geltenden Fassung des DCGK vom Dezember 2019 sind:

  • Implementierung eines internen Kontroll- und Risikomanagementsystems,
  • separierte Beurteilung der primär finanziellen und operativen Unternehmensrisiken,
  • zusätzliche Kontrollmechanismen zur Überwachung des Risikomanagements (gegebenenfalls auch extern),
  • regelmäßige Stellungnahme zur Angemessenheit und Wirksamkeit der Managementsysteme im Lagebericht des Vorstandes,
  • Überwachung sämtlicher für das Unternehmen bedeutsamer Nachhaltigkeitsaspekte durch den Aufsichtsrat,
  • besondere Expertise wenigstens eines Aufsichtsratsmitglieds in der Anwendung interner Kontroll- und Risikomanagementsysteme sowie
  • besondere Expertise wenigstens eines Aufsichtsratsmitglieds auf dem Gebiet der Rechnungslegung und der Abschlussprüfung.
  • Regelmäßige Abgabe einer Erklärung zur Unternehmensführung mit näheren Angaben zum Sachverstand der Mitglieder des Prüfungsausschusses auf den Gebieten Rechnungslegung und Abschlussprüfung (Qualifikationsmatrix).

Umfassender Nachhaltigkeitsbegriff

Nach der Empfehlung im 1. Abschnitt A1 DCGK soll der Vorstand die mit Sozial- und Umweltfaktoren verbundenen Risiken und Chancen für das Unternehmen sowie die ökologische und soziale Nachhaltigkeit der Unternehmenstätigkeit systematisch identifizieren und bewerten. Die Kodex-Begründung erläutert hierzu, dass sich die Auslegung der Nachhaltigkeitsbegriffe an den 17 Zielen der UN für nachhaltige Entwicklung (UN Sustainable Development Goals to transform our world – SDG) orientieren kann. In der Empfehlung A1 heißt es hierzu: „In der Unternehmensstrategie sollen neben den langfristigen wirtschaftlichen Zielen auch ökologische und soziale Ziele angemessen berücksichtigt werden“.

Nachhaltigkeitskontrolle als Aufgabe des Aufsichtsrats

Die Kontrolle der Nachhaltigkeitsfaktoren gehört seit der Reform zu den Überwachungsaufgaben des Aufsichtsrats. Die Mitglieder des Aufsichtsrats sollen nach der Empfehlung C. 1 Satz 3 über Kompetenzen zu den für das jeweilige Unternehmen bedeutsamen Nachhaltigkeitsfragen verfügen. Dem dient auch die vorgesehene Qualifikationsmatrix für den Aufsichtsrat, die das Kompetenzprofil und die Zusammensetzung des Aufsichtsrats widerspiegeln soll.

Risikoorientiertes Compliance-Management-System

Weitere Anpassungen beziehen sich auf das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG).

  • Nach dem FISG soll das interne Kontroll- und Risikomanagement ein an der Risikolage des Unternehmens orientiertes Compliance-Management-System (CMS) umfassen.
  • Der Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft hat hiernach einen Prüfungsausschuss einzurichten, der sich regelmäßig mit dem Abschlussprüfer austauschen und mit diesem gemeinsam das Prüfungsrisiko einschätzen soll.
  • Mindestens 2 Mitglieder des Aufsichtsrats bzw. des Prüfungsausschusses müssen als Finanzexperten ausgewiesen sein.

Geschlechtergerechtigkeit

Mit der Reform des DCGK soll auch die Geschlechtergerechtigkeit in den Führungspositionen der Unternehmen vorangetrieben werden. Insofern enthält der Kodex allerdings im wesentlichen eine Zusammenfassung der Vorschriften des 2. Führungspositionengesetzes (FüPoG II):

  • Nach dem FüPoG II müssen in Vorständen börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen, die aus mehr als 3 Personen bestehen, mindestens eine Frau und mindestens ein Mann Mitglied des Vorstands sein.
  • Nach dem neuen Grundsatz 9 des DCGK gewährleistet der Aufsichtsrat die gesetzlich geregelte Mindestbeteiligung der Geschlechter und legt im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben Zielgrößen für den Anteil von Frauen im Vorstand fest.
  • In Unternehmen mit einer Mehrheitsbeteiligung des Bundes mit mehr als 2 Geschäftsführern muss mindestens ein Geschäftsführer eine Frau und mindestens ein Geschäftsführer ein Mann sein.

ARUG II unterstützt Transparenzgebot des DCGK

Am 1.1.2020 ist das seit Juni 2019 überfällige Gesetz zur Umsetzung der EU-Aktionärsrichtlinie (ARUG II) in Deutschland verspätet in Kraft getreten. ARUG II sieht u.a. eine stärkere Mitsprache von Aktionären bei der Vergütung von Vorständen und Aufsichtsräten vor und verordnet darüber hinaus börsennotierten Unternehmen eine größere Transparenz bei Geschäften mit nahestehenden Personen („related party transactions“), wie sie auch vom DCGK gefordert wird.

Was weiterhin gilt

Mit der Reform 2019 wurde neben den Begriffen der „Empfehlungen“ und „Anregungen“ der Begriff der „Grundsätze“ eingeführt. Damit wird in den einzelnen Kapiteln des Kodex unterschieden zwischen Grundsätzen, Empfehlungen und Anregungen. In insgesamt 25 Grundsätzen werden die Grundlinien zur Arbeit der Aufsichtsräte, der Vorstände, dem Informationsfluss zwischen den Gremien, der Zusammenarbeit sowie zu den wechselseitigen Verantwortlichkeiten aufgestellt. Die Grundsätze 1-3 stellen die Verantwortlichkeit des Vorstandes für die Leitung und strategische Ausrichtung des Unternehmens heraus. Sie weisen dem Vorstand u.a. die Aufgabe zu, für den Frauenanteil in den beiden Führungsebenen unterhalb des Vorstands Zielgrößen festzulegen.

Evergreen-Thema Vorstandsvergütung

Ein Schwerpunkt der Reform 2019 bestand in den weiterhin geltenden, wichtigen Empfehlungen zur Vorstandsvergütung (Grundsatz 23). Die Vergütung der Vorstände von Aktiengesellschaften bestehen regelmäßig aus fixen und variablen Elementen. Die Empfehlungen G.1 ff. betreffen sowohl die Höhe als auch die Struktur der Vergütung.

  • Die variablen Elemente, die Ausdruck der Belohnung für operative und strategische Leistungen sind, sollen laut Empfehlung zu einem wesentlichen Anteil in einer langfristig variablen Vergütung bestehen, zum kleineren Anteil in kurzfristig variablen Vergütungen.
  • Die langfristig variable Vergütung der Vorstandsmitglieder soll überwiegend in Aktien erfolgen oder zumindest aktienbasiert gewährt werden. Hierdurch soll die strategische Ausrichtung auf die langfristige Entwicklung der Gesellschaft gefördert und nachhaltig verantwortungsbewusstes Verhalten belohnt werden.
  • Hinsichtlich der Höhe soll eine Zielgesamtvergütung (Vergütung bei 100 % Zielerreichung) festgelegt werden, die alle Vergütungselemente umfasst (= Top Down-Ansatz)
  • und die durch eine Maximalvergütung (Cap = Maximalhöhe bei Zielüberschreitung) ergänzt wird.

Last not least: Die Höhe der Vergütung soll dabei so ausgerichtet sein, dass sie der Belegschaft vermittelbar und für die Öffentlichkeit erklärbar ist.

Bestelldauer der Vorstände

Nach der Empfehlung B.1 sollen Vorstände zunächst nur für drei Jahre bestellt werden. Der Vorstandsvertrag kann aber dann verlängert werden.

Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder

Eine wesentliche Regelung gilt der Gewährleistung der Unabhängigkeit der Aufsichtsräte.

  • Die Empfehlungen C.1 ff. gelten allerdings nur für die Vertreter der Seite der Anteilseigner, da nur diese auf Vorschlag des Aufsichtsrats von der Hauptversammlung gewählt werden.
  • Die Empfehlung C.7 enthält konkrete Indikatoren für eine fehlende Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern.

Die Indikatorlösung berücksichtigt, dass bei der Beurteilung der Unabhängigkeit die subjektive Beurteilung und das daraus entspringende pflichtgemäßen Ermessen eine wesentliche Rolle spielen.

Indikatoren für fehlende Unabhängigkeit

Indikatoren für die fehlende Unabhängigkeit eines Aufsichtsratsmitgliedes sind gemäß Empfehlung C.7:

  • wenn das Aufsichtsratsmitglied in einem Zeitraum von zwei Jahren vor der Ernennung Mitglied des Vorstandes der Gesellschaft war,
  • das Aufsichtsratsmitglied aktuell oder in dem Jahr bis zu seiner Ernennung direkt oder als Gesellschafter oder in verantwortlicher Funktion eines konzernfremden Unternehmens eine wesentliche geschäftliche Beziehung mit der Gesellschaft oder einem von dieser abhängigen Unternehmen unterhält oder unterhalten hat,
  • das Aufsichtsratsmitglied ein naher Familienangehöriger eines Vorstandsmitgliedes ist
  • oder dem Aufsichtsrat seit mehr als zwölf Jahren angehört.

Ein Aufsichtsrat der einen oder mehrere dieser Indikatoren erfüllt, kann dennoch als unabhängig angesehen werden. Dies soll dann aber in der Erklärung zur Unternehmensführung begründet werden.

Berichterstattung über Corporate Governance

Die Berichterstattung über Corporate Governance wurde bereits bei der letzten Reform vereinfacht. Kritik gab es zuvor an dem Nebeneinander des Corporate Governance-Berichts und der Erklärung der Unternehmensführung im Lagebericht nach § 289 f HGB. Nach Grundsatz 22 soll im Lagebericht nach § 289 f HGB über die Corporate Governance der Gesellschaft jährlich berichtet werden. Damit wurde der vorherige gesonderte Bericht zur Corporate Governance in der Praxis abgeschafft.

Sammler und Jäger: Beschränkung von Aufsichtsratsmandaten

Die in C.4 und C.5 enthaltene Empfehlung des Kodex lautet, dass ein Aufsichtsratsmitglied insgesamt nicht mehr als fünf Aufsichtsratsmandate bei konzernexternen börsennotierten Gesellschaften oder vergleichbare Funktionen wahrnehmen soll.

  • Der Vorsitz in einem Aufsichtsrat zählt doppelt
  • Vorstandsmitglieder einer börsennotierten Gesellschaft sollen nicht mehr als zwei Aufsichtsratsmandate in konzernexternen börsennotierten Gesellschaften wahrnehmen

Empfehlungen für die Hauptversammlung

Eine Hauptversammlung soll nach der Empfehlung höchstens 4-6 Stunden dauern. Im Fall eines Übernahmeangebots soll der Vorstand eine außerordentliche Hauptversammlung einberufen, in der die Aktionäre über das Übernahmeangebot beraten.

DCGK ist seinem Wesen nach eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der DCGK nach seiner Gesamtintention eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft als Ergänzung staatlicher Gesetze enthält. Einzelne Unternehmen können von den Empfehlungen abweichen, müssen dies dann aber nach dem Grundsatz „comply or explain“ erläutern. Gemäß § 161 AktG haben Vorstand und Aufsichtsrat börsennotierter Unternehmen jährlich eine Erklärung darüber abzugeben, welchen Empfehlungen des Kodex entsprochen wurde und welchen Empfehlungen nicht (Entsprechenserklärung). Bei Abweichungen haben die Unternehmen gemäß § 161 AktG die Verpflichtung, die Abweichung zu begründen. § 161 AktG bildet insoweit die gesetzliche Grundlage für den DCGK.

D-PCGM für öffentliche Unternehmen inzwischen ebenfalls veröffentlicht

In der Gefolgschaft der Reform des DCGK wurde im Januar 2020 auch der Musterkodex für „Good Governance“ für öffentliche Unternehmen veröffentlicht, im Januar 2021 eine 2. überarbeitete Fassung. Für Unternehmen, die von der öffentlichen Hand geführt oder die aus sonstigen Gründen in Praxis und Wissenschaft als öffentliche Unternehmen eingestuft werden, gibt der „Deutscher Public Corporate Governance Musterkodex“ (D-PCGM) in Anlehnung an den DCGK den Ordnungsrahmen, den ethischen Verhaltenskodex und die Mechanismen für die Steuerung der Organisation öffentlicher Unternehmen vor.

Flickenteppich der Kodices bei öffentlichen Unternehmen

In den vergangenen Jahren haben der Bund, die Bundesländer und die Kommunen verschiedene Public Corporate Governance Kodizes formuliert, was zu einem bunten Flickenteppich der verschiedenen Kodizes innerhalb der Bundesrepublik Deutschland geführt hat. Dies sollte grundsätzlich durch die Reform auch nicht geändert werden, da die jeweiligen Gebietskörperschaften die Möglichkeit behalten müssen, situationsgerechte Regelungen für die jeweiligen Erfordernisse der betreffenden Gebietskörperschaften zu formulieren. Andererseits wird aber die Notwendigkeit gesehen, durch eine begrenzte Vereinheitlichung der Mindeststandards der unterschiedlichen Kodizes eine zumindest in den Grundsätzen vergleichbare und für die Allgemeinheit nachvollziehbare Unternehmensethik der öffentlichen Hand zu gewährleisten.

D-PCGM berücksichtigt Besonderheiten der öffentlichen Hand 

Der Musterkodex orientiert sich grundsätzlich am DCGK für börsennotierte Unternehmen, jedoch mit einigen Abweichungen, so u.a.

  • hinsichtlich der Vorgaben für Gesellschafter, die aus politischen Organen kommen,
  • die Berücksichtigung der Aspekte demokratischer Legitimation,
  • der Ausrichtung der Unternehmen an ihrem jeweiligen öffentlichen Auftrag
  • sowie die Berücksichtigung erforderlicher öffentlicher Kommunikationsprozesse.

D-PCGM wichtig für Vertrauensbildung der Bevölkerung

Der Musterkodex soll im Ergebnis als Leitlinie bei der Erarbeitung der individuellen PCGK für die jeweiligen Gebietskörperschaften dienen und so die individuelle Erarbeitung deutlich erleichtern. Daneben soll das Bewusstsein für das Erfordernis einer verantwortungsvollen Public Corporate Governance und damit auch das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Hand und in öffentliche Unternehmen gestärkt werden.

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