Unfall beim Tanken auf dem Heimweg als Arbeitsunfall?

Der direkte Weg zur Arbeit und zurück zur Wohnung ist durch die gesetzliche Unfallversicherung abgedeckt. Doch wie sieht es aus, wenn die Heimfahrt wegen eines leeren Tanks unterbrochen wird und beim Tanken ein Unfall passiert? Dazu hat sich das Bundessozialgericht geäußert.

Den Arbeitsweg von 75 Kilometern (einfache Strecke) legte die Klägerin regelmäßig mit dem eigenen Auto zurück. Als sie sich auf den Heimweg machte, und den Motor anließ, zeigte ihr Fahrzeug an, dass die restliche Tankfüllung maximal noch für 70 Kilometer reichen dürfte. Die Frau fuhr deshalb zur nächstgelegenen Tankstelle.

Auf dem Weg zur Kasse rutschte sie aus und brach sich das rechte Sprunggelenk. Die Berufsgenossenschaft weigerte sich, den Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen.

BSG sah auch im Sturz nach für die Heimfahrt notwendigem Tanken keinen Arbeitsunfall

Das Sozialgericht hatte die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht die Berufung zurückgewiesen. Und auch die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Der Unfall der Frau sei nicht als Arbeitsunfall gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII zu qualifizieren, entschied das Bundessozialgericht (BSG).

Das Tanken stand laut BSG nicht im Zusammenhang mit der Beschäftigung der Klägerin i.S.v. §2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII, auch nicht als Betriebsweg, weil die Arbeitszeit an jenem Tag bereits beendet war.

Warum der Tankunfall kein versicherter Wegeunfall war

Die Frau erlitt auch keinen versicherten Wegeunfall nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII. Das machte das Gericht an folgenden Punkten fest: 

Zwar stand die Frau grundsätzlich nach dieser Norm unter Versicherungsschutz, weil danach das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges von dem Ort der Tätigkeit versichert ist (§§ 2,3, oder 6 SGB VII) . 

Diesen unmittelbaren Weg hat die Frau aber durch das Tanken und die damit im Zusammenhang stehenden Tätigkeiten mehr als nur geringfügig unterbrochen. Als privatwirtschaftliche Verrichtungen standen diese Handlungen nicht unter dem Schutz der Wegeunfallversicherung. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist das Tanken eine grundsätzlich unversicherte Tätigkeit.

Tanken ist auch keine versicherte Vorbereitungshandlung

Auch eine versicherte Vorbereitungshandlung habe nicht vorgelegen. Denn Vorbereitungshandlungen werden in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nur einbezogen, soweit sie einen besonders engen zeitlichen, sachlichen und örtlichen Bezug zur versicherten Tätigkeit aufweisen und dieser bei wertender Betrachtung so nahe stehen, dass ihre Einbeziehung gerechtfertigt erscheint.  Dabei handele es sich um eng zu handhabende Ausnahmen. Ein verbrauchsbedingtes Auftanken eines privaten Kraftfahrzeugs erfülle die Voraussetzungen nicht, weil es hierbei darum gehe, die Betriebsfähigkeit eines Fahrzeugs zu erhalten.

Änderung der BSG-Rechtsprechung

Das BSG stellt klar, dass, soweit der Senat in der Vergangenheit in Ausnahmsfällen das Tanken in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung einbezogen hat, wenn es auf dem Weg notwendig wurde, um den versicherten Endpunkt zu erreichen, er daran nicht festhalte.

Verbrauchsbedingtes Auftanken gehört zur Risikosphäre des Versicherten

Ausgangspunkt sei stets gewesen, dass Tanken örtlich und zeitlich nicht festgelegt ist und es dem Versicherten überlassen ist, wann er tankt.  Angesichts dessen gehöre das verbrauchsbedingte Auftanken zu der rein eigenwirtschaftlichen Risikosphäre des Versicherten.

Die Unterbrechung des Heimweges war auch nicht geringfügig, weil das Tanken eines Autos nicht im „Vorübergehen“ erledigt werden könne: Anhalten, Aussteigen, Betanken und Bezahlen stellten eine äußerlich beobachtbare und von der Zurücklegung des Weges deutlich unterscheidbare neue Handlungssequenz dar.

Als die Klägerin auf dem Weg zum Bezahlen ausrutschte, hatte die Unterbrechung des Weges bereits begonnen. Da die Unterbrechung zum Unfallzeitpunkt auch noch nicht beendet war, war der Versicherungsschutz deshalb auch noch nicht erneut entstanden.

(BSG, Urteil v. 30.01.2020, B 2 U 9/18 R).

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Am besten ohne Aufenthalt heimkehren

Wer auf der An- und Abfahrt Zwischenstopps einlegt, der riskiert schnell, seinen Unfallversicherungsschutz zu verlieren. Längere Unterbrechungen des Arbeitsweges aus privaten Gründen oder größere Umwege oder Abwege führen dazu, dass der Zusammenhang zwischen dem Weg und der versicherten Tätigkeit gelöst wird, sofern nicht Ausnahmen (erforderliche Kinderbetreuung, Fahrgemeinschaft) vorliegen.

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Ein Radfahrer verliert seinen gesetzlichen Unfallversicherungsschutz, wenn er auf dem Heimweg von der Arbeit mit einem Autofahrer streitet bzw. ihn belehrt und ihm für diese Lektion mit dem Rad den Weg versperrt. Sein "Fahrschulunterricht" liegt in seiner privaten Sphäre und dient nicht mehr dem Weg von und zur Arbeitsstätte.

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Um Anfahrtskosten zu senken werden in vielen Unternehmen von Mitarbeitern Fahrgemeinschaften gebildet. Doch das ökologisch und wirtschaftlich sinnvolle Vorgehen hat Tücken: Macht der Fahrer einen Umweg, können bei einem Unfall neben ihm auch seine Mitfahrer ihre Ansprüche gegenüber der gesetzlichen Unfallversicherung verlieren.

Bei notwendigen Umwegen sieht es anders aus, selbst wenn sie bei Glatteis erfolgen: Glatteisunfall auf dem Arbeitsweg ist versichert: Arbeitnehmer, die bei Glatteis auf dem Weg zur Arbeit stürzen, sind gesetzlich unfallversichert. Der Versicherungsschutz gilt auch für notwendige Umwege wie bei Umleitungen oder beim Absetzen der Kinder am Kindergarten. Darauf weist die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) in Berlin hin.