Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitnehmerstatus zum Zeitpunkt der Kündigung als Klagegegenstand. Anfechtungsrecht des Arbeitgebers nach festgestelltem Arbeitsverhältnis. Einwand des Rechtsmissbrauchs durch Arbeitgeber bei Schaffung eines Vertrauenstatbestands durch Absichtserklärung des Arbeitnehmers, hier nicht klagen zu wollen. Zeitliche Begrenzung der Geltendmachung des Einwands wegen Rechtsmissbrauch. Kündigung nach festgestelltem Arbeitsverhältnis kein Verstoß gegen Treu und Glauben

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird ein Arbeitsnehmerstatus mittels eines Antrags nach § 256 Abs. 1 ZPO und gleichzeitig der Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses im Wege einer Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG geltend gemacht, ist bzw. wird der Antrag nach § 256 Abs. 1 ZPO regelmäßig unzulässig, wenn der Kläger keine besonderen Umstände geltend macht, die eine vergangenheitsbezogene Feststellung eines Arbeitsverhältnisses vor dem Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung rechtfertigen könnten. Zum Streitgegenstand einer Kündigungsschutzklage gehört ohnehin das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung.

2. Ergibt sich, dass ein zwischen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis infolge der Vertragsdurchführung tatsächlich ein Arbeitsverhältnis ist, kann dieses grundsätzlich nach § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung für den Fall angefochten werden, dass das Gericht zu der Einordnung als Arbeitsverhältnis gelangt.

3. Neben der Möglichkeit der Anfechtung nach § 123 BGB steht dem Arbeitgeber auch ein Rechtsmissbrauchseinwand gegen den den Arbeitnehmerstatus geltend machenden Arbeitnehmer nach § 242 BGB zur Seite, wenn dieser eine Sach- oder Rechtslage geschaffen hat (bspw. durch das Versprechen das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses nicht geltend zu machen), auf die sich der in Anspruch genommene Arbeitgeber verlassen durfte und verlassen hat.

4. Der (mögliche) Rechtsmissbrauchseinwand steht dem Arbeitgeber jedoch nicht zeitlich unbegrenzt zu, sondern nur solange, als ein schutzwürdiges Vertrauen auf die Nichtgeltendmachung des Arbeitnehmerstatus besteht. Ist ein schutzwürdiges Vertrauen auf Seiten des Arbeitgebers in Wegfall geraten, kann der Arbeitnehmerstatus für die Zukunft (wieder) geltend gemacht werden.

5. Der in Anspruch genommene Arbeitgeber kann im Fall des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses dieses - außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes - ordentlich kündigen. Die Kündigung des Arbeitgebers verstößt regelmäßig nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB).

 

Normenkette

ZPO § 256; KSchG § 4; BGB §§ 611a, 123, 242, 626 Abs. 1; ZPO § 92 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Reutlingen (Entscheidung vom 14.07.2020; Aktenzeichen 2 Ca 203/19)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 14. Juli 2020 - 2 Ca 203/19 - teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt gefasst:

    Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 9. Januar 2020, sondern erst infolge der ordentlichen Kündigung des Beklagten vom 9. Januar 2020 mit Ablauf des 15. Februar 2020 beendet wurde.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  2. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
  3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 2/3 und die Beklagte 1/3 zu tragen.
  4. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses.

Der Beklagte betreibt das Unternehmen T. H. D. S.. Er befasst sich insbesondere mit der Durchführung von Reparatur- und Wartungsarbeiten an Kompressoren und ist auf die Vornahme von Wartungsarbeiten an Kompressoren der Firma A. spezialisiert. Der Beklagte beschäftigt lediglich noch einen weiteren Mitarbeiter und eine Bürofachkraft (Frau S.), letztere in Teilzeit.

Der Kläger war bis zum 6. September bei der Fa. K. C. als Meister/Werkstattleiter tätig, wobei der Kläger zuletzt mit dem Inhaber dieses Unternehmens ua. darüber gestritten hat, ob es sich hierbei um eine selbständige Tätigkeit oder eine Tätigkeit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses gehandelt hat.

Zuletzt ist unstreitig, dass der Kläger - jedenfalls bis Januar 2020 - ein Gewerbe angemeldet hatte (Bl. 162 bis 164 d. Akte ArbG) und unter der Firma "C. & S." als "Fachbetrieb für Fahrzeugaufbereitungen" auftrat.

Mit einer schriftlichen Stellenausschreibung (Bl. 109 d. Akte ArbG) suchte der Beklagte Anfang September 2019 nach einem "Mechaniker (m/w/d)". Der Kläger meldete sich am Montag, den 9. September 2019 beim Beklagten wegen der Stellenanzeige. Ob es am 9. September zwischen den Parteien zur Vereinbarung eines Arbeitsverhältnisses gekommen oder aber ein Einstellungsgespräch für den 16. September 2019 vereinbart worden ist, ist zwischen den Parteien streitig.

Unstreitig ist, dass der Kläger am 11. September 2019 beim Beklagten erschien und mit diesem gemeinsam den ganzen Tag Kunden aufsuchte, bei denen der Beklagte Wartungs- und Reparaturarbeiten an Druckluftanlagen vornahm...

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