Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschlußfristen. Nachweisgesetz. Mitverschulden. Baugewerbe. tarifliche Ausschlußfristen. Geltendmachung des Anspruchs. Anerkenntnis. Verletzung der Nachweispflicht und Vertragsgeltung. Rechtsmißbrauch. Inhalt der Nachweispflicht. Schadensersatz wegen Verletzung der Nachweispflicht (tarifliche Ausschlußfristen). Naturalrestitution. adäquate Verursachung des Schadens. Vermutung aufklärungsgemäßen Verhaltens. anderweitige Kenntnis der Ausschlußfrist. normativer Schadensbegriff. Mitverschulden des Arbeitnehmers. Mitverschulden des Prozeßbevollmächtigten. Schutzgesetz. Verfall des Schadensersatzanspruchs. Ausschlußfrist. Schadensersatz. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

 

Orientierungssatz

  • Ein Abrechnungsverlangen stellt regelmäßig keine Geltendmachung des Zahlungsanspruchs im Sinne tariflicher Ausschlußfristen dar.
  • Eine Verdienstbescheinigung gegenüber der Krankenkasse zum Zwecke der Berechnung von Krankengeld beinhaltet nicht ohne weiteres ein Anerkenntnis von Vergütungsansprüchen gegenüber dem Arbeitnehmer.
  • Die Verletzung der Nachweispflicht gemäß § 2 NachwG führt nicht gemäß § 242 BGB zur Unanwendbarkeit vereinbarter Vertragsbedingungen.
  • Auf tarifliche Ausschlußfristen muß nicht gesondert gemäß § 2 Abs. 1 NachwG hingewiesen werden.
  • Die Nachweispflicht gemäß § 2 Abs. 1 NachwG besteht unabhängig von einer Aufforderung zur Aushändigung des schriftlichen Arbeitsvertrags.
  • Ist ein Lohnanspruch gemäß einer tariflichen Ausschlußfrist verfallen, weil der Arbeitnehmer wegen des unterbliebenen Hinweises auf den Tarifvertrag (§ 2 Abs. 1 Nr. 10 NachwG) keine Kenntnis von der Ausschlußfrist hatte, muß der Arbeitnehmer nach Schadensersatzgrundsätzen (§§ 280, 286 BGB) so gestellt werden, als wäre der Anspruch nicht verfallen. Der Arbeitnehmer hat die adäquate Verursachung darzulegen; ihm kommt die Vermutung eines aufklärungsgemäßen Verhaltens zugute.
  • Der Anspruch auf Krankengeld ändert nichts an dem durch das Erlöschen des Entgeltfortzahlungsanspruchs begründeten Schaden.
  • Hat der Prozeßbevollmächtigte des Arbeitnehmers die Geltung einer tariflichen Ausschlußfrist fahrlässig nicht erkannt, hat eine Abwägung dieser Pflichtverletzung mit der Verletzung der Nachweispflicht zu erfolgen (§§ 254, 278 BGB). Im Gegensatz zu dem Arbeitnehmer muß sich der Rechtsanwalt über das anzuwendende Recht selbst informieren.
 

Normenkette

Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 3. Februar 1981 i.d.F. vom 2. Juni 2000 (BRTV-Bau) § 4 Nr. 2, §§ 5, 16; EFZG §§ 3-4; NachwG §§ 2, 4; BGB §§ 242, 249, 254, 284 ff. aF, § 823 Abs. 2; SGB V § 44 ff.; SGB X § 115 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Nürnberg (Urteil vom 13.11.2002; Aktenzeichen 4 Sa 615/01)

ArbG Nürnberg (Urteil vom 30.05.2001; Aktenzeichen 15 Ca 9727/00)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Der Kläger war vom 1. Januar 1999 bis zum 30. August 2000 als Maurer in dem Baubetrieb der Beklagten beschäftigt. Er arbeitete in der Fünf-Tage-Woche mit einem Stundenlohn von zuletzt 26,90 DM. Auf das Arbeitsverhältnis fand der allgemeinverbindliche Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 3. Februar 1981 (BRTV-Bau) Anwendung. Einen schriftlichen Arbeitsvertrag haben die Parteien nicht abgeschlossen, die wesentlichen Vertragsbedingungen sind auch nicht anderweitig schriftlich niedergelegt.

Ab dem 4. Juli 2000 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Für den Zeitraum vom 1. August bis 14. August 2000 forderte er erstmals mit einem Schriftsatz vom 18. Dezember 2000, der der Beklagten am 2. Januar 2001 zugestellt wurde, Entgeltfortzahlung.

Der Kläger hat vorgetragen, er habe neun Stunden täglich gearbeitet. Der Entgeltfortzahlungsanspruch für die zehn Arbeitstage des August 2000 sei nicht verfallen, da er eine Abrechnung verlangt habe und die Beklagte den Anspruch mit Schreiben vom 10. August 2000 anerkannt habe. Jedenfalls schulde die Beklagte die Zahlung als Schadensersatz wegen der Verletzung ihrer Nachweispflichten. Er sei davon ausgegangen, bei dem Betrieb der Beklagten habe es sich nicht um Bauhauptgewerbe, sondern um Baunebengewerbe gehandelt.

Der Kläger hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung, beantragt,

die Beklagte zur Zahlung von 2.421,00 DM brutto (= 1.237,84 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15. September 2000 zu verurteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Anspruch sei gemäß § 16 BRTV-Bau verfallen. Der Kläger habe die Vorlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags nicht verlangt. Da er seit langem im Baugewerbe tätig sei, sei ihm die Geltung der tariflichen Regelungen für das Baugewerbe einschließlich der Ausschlußfristen bekannt gewesen. Aus der Firmenbezeichnung “B…” habe sich auch für den Kläger eindeutig ergeben, daß sie einen Betrieb des Bauhauptgewerbes führe. Der Kläger hätte seinen Krankengeldanspruch gegen die Krankenkasse durchsetzen müssen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Zurückweisung der Berufung des Klägers.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

  • Der Kläger hat einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Zeit vom 1. bis 14. August 2000 erworben.

    1. Der Anspruch folgt aus § 4 Nr. 2 BRTV-Bau idF vom 2. Juni 2000 in Verb. mit den § 3 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 EFZG. Der Kläger war unstreitig in einem Betrieb des Baugewerbes (§ 1 Nr. 2 Satz 1 BRTV-Bau) beschäftigt. Der räumliche, betriebliche und persönliche Geltungsbereich des BRTV-Bau ist gegeben, der Tarifvertrag findet kraft Allgemeinverbindlichkeit auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung (§ 5 Abs. 4 TVG). § 4 Nr. 2 BRTV-Bau verweist für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auf die jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen.

    2. Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne daß ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG). Diese Voraussetzungen sind im Streitfalle erfüllt. Der Sechs-Wochen-Zeitraum lief mit dem 14. August 2000 ab (§ 187 Abs. 2, § 188 Abs. 2 BGB).

    3. Für den in § 3 Abs. 1 EFZG bezeichneten Zeitraum ist dem Arbeitnehmer das ihm bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen (§ 4 Abs. 1 EFZG). Zum Arbeitsentgelt gehört nicht das zusätzlich für Überstunden gezahlte Arbeitsentgelt (§ 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG). Der Zeitraum vom 1. bis zum 14. August 2000 umfaßt zehn Arbeitstage des Klägers. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte habe die vom Kläger behauptete neunstündige tägliche Arbeitszeit nicht bestritten, sondern lediglich eine eigene Rechnung mit acht Stunden/Tag aufgemacht. Hiergegen hat die Beklagte weder eine Verfahrensrüge erhoben noch hat sie Tatbestandsberichtigung verlangt. In der Revisionsinstanz ist deshalb von 90 ausgefallenen Arbeitsstunden des Klägers je 26,90 DM auszugehen. Ob darin Überstunden enthalten sind, bedarf in der Revision keiner Entscheidung.

    4. Das Landesarbeitsgericht hat den Betrag von 2.421,00 DM fehlerhaft umgerechnet und die Beklagte deshalb zur Zahlung von 1.225,74 Euro statt 1.237,84 Euro verurteilt.

  • Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß der Entgeltfortzahlungsanspruch gemäß § 16 Nr. 1 BRTV-Bau verfallen ist.

    1. Nach § 16 Nr. 1 BRTV-Bau verfallen alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.

    2. Die Entgeltfortzahlung für August 2000 war nach § 5 Nr. 8.2 BRTV-Bau am 15. September 2000 fällig. Nach dieser Bestimmung wird der Anspruch auf den Lohn (§§ 4, 5 BRTV-Bau) bei der grundsätzlich gebotenen monatlichen Lohnabrechnung (§ 5 Nr. 8.1 BRTV-Bau) spätestens zur Mitte des Monats fällig, der auf den Monat folgt, für den er zu zahlen ist. Die Fälligkeit wird nicht von einer Abrechnung abhängig gemacht. Der Anspruch auf Erteilung einer Abrechnung ist in § 5 Nr. 10 BRTV-Bau gesondert geregelt. Zwar kann die Fälligkeit im Sinne einer tariflichen Ausschlußfrist an eine Abrechnung durch den Anspruchsgegner gebunden sein. Das ist aber nur dann der Fall, wenn der Anspruchsberechtigte die Höhe seiner Ansprüche ohne diese Abrechnung nicht erkennen kann (vgl. BAG 27. Februar 2002 – 9 AZR 543/00 – AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 162 = EzA BGB § 138 Nr. 30, zu I 1a der Gründe mwN). Das Landesarbeitsgericht hat unangefochten festgestellt, daß der Kläger seine Forderung selbst berechnen konnte und im Schriftsatz vom 18. Dezember 2000 auch selbst berechnet hat.

    3. Der Kläger hat den Anspruch nicht bis zum 15. November 2000, sondern erstmals am 2. Januar 2001 schriftlich erhoben. Zu diesem Zeitpunkt war die Zweimonatsfrist des § 16 Nr. 1 BRTV-Bau bereits abgelaufen. Die Aufforderung im Schreiben vom 30. Oktober 2000, die Lohnabrechnungen seit Juni 2000 vorzulegen, wahrte die Frist nicht; denn der Kläger hat hier nicht nach Grund und Höhe hinreichend deutlich Erfüllung des Zahlungsanspruchs verlangt (vgl. Senat 17. April 2002 – 5 AZR 644/00 – AP BGB § 611 Mehrarbeitsvergütung Nr. 40 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 148, zu I 3c cc der Gründe). Aus seinem Schreiben ergibt sich nicht einmal, ob und welche Zahlungen nach Auffassung des Klägers noch ausstanden. Das Verlangen nach Abrechnung bereitete ein Zahlungsverlangen allenfalls vor.

    4. Der Anspruch verfällt nicht, wenn der Anspruchsgegner ihn vor Ablauf der Verfallfrist anerkennt (vgl. BAG 3. August 1971 – 1 AZR 327/70 – AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 66 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerhaftung Nr. 9, zu 4 der Gründe; 18. Februar 1992 – 9 AZR 611/90 – AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 115 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 98, zu II 2e aa, f der Gründe; 21. April 1993 – 5 AZR 399/92 – BAGE 73, 54, 57 f.). Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte kein Anerkenntnis abgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Verdienstbescheinigung vom 10. August 2000 rechtsfehlerfrei gewürdigt. Es handelt sich um eine bloße Wissenserklärung gegenüber der zuständigen Krankenkasse. Die Beklagte macht, noch dazu durch eine auswärtige Abrechnungsstelle, Angaben zum Arbeitsentgelt des Klägers auf einem dafür vorgesehenen Fragebogen. Die zum Teil auf Zeiträume nach Entstehung des Anspruchs bezogenen Angaben dienen ersichtlich allein dem Zweck der Berechnung von Krankengeld oder anderer Leistungen der Krankenkasse.

    5. § 16 Nr. 1 BRTV-Bau findet Anwendung, auch wenn die Beklagte ihre Pflichten gemäß § 2 NachwG verletzt, insbesondere nicht auf die Geltung des BRTV-Bau hingewiesen hat (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG). Allein der Verstoß gegen die aus § 2 Abs. 1 NachwG folgende Verpflichtung begründet nicht den Einwand rechtsmißbräuchlichen Verhaltens des Arbeitgebers (BAG 17. April 2002 – 5 AZR 89/01 – AP NachwG § 2 Nr. 6 = EzA NachwG § 2 Nr. 5, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu III 3 der Gründe). Der Verstoß führt nicht gemäß § 242 BGB dazu, daß andere als die tatsächlich vereinbarten oder unmittelbar und zwingend anzuwendenden Vertragsbedingungen gelten. Dies ist unabhängig davon, ob sich die Vertragsregelung im Einzelfall ungünstig für den Arbeitnehmer auswirkt.

  • Ob dem Kläger ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Nachweispflicht zusteht, kann nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht abschließend beurteilt werden.

    1. Die Beklagte war nach § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG verpflichtet, spätestens am 1. Februar 1999 die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich niederzulegen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem Kläger auszuhändigen. In die Niederschrift war jedenfalls ein in allgemeiner Form gehaltener Hinweis auf die Tarifverträge aufzunehmen, die auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden waren (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG). Hierzu gehörte der BRTV-Bau. Eines Einzelnachweises der Ausschlußfristen des § 16 BRTV-Bau bedurfte es nicht (BAG 17. April 2002 – 5 AZR 89/01 – AP NachwG § 2 Nr. 6 = EzA NachwG § 2 Nr. 5, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu III 2 der Gründe).

    2. Die Nachweispflicht bestand unabhängig von der gemäß § 5 Abs. 4 TVG unmittelbaren und zwingenden Tarifgeltung. Das ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 und § 2 Abs. 3 Satz 1 NachwG; selbst bei Geltung zwingender Gesetze bedarf es eines Nachweises (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 2 NachwG). Die Verpflichtung der Beklagten setzte ein entsprechendes Verlangen des Klägers nicht voraus (vgl. § 4 NachwG). Das Gesetz will gerade auch den rechtsunkundigen Arbeitnehmer schützen. Die Beklagte hat weder die gesetzliche Nachweispflicht erfüllt noch dem Kläger einen schriftlichen Arbeitsvertrag mit den geforderten Angaben ausgehändigt (§ 2 Abs. 4 NachwG). Auch hierzu mußte der Kläger die Beklagte nicht eigens auffordern.

    3. Die Beklagte hat den – auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch möglichen – Nachweis nicht nachgeholt. Sie befand sich nach den § 284 Abs. 2 Satz 1, § 285 BGB aF in Verzug.

    a) Nach § 286 Abs. 1 BGB aF ist der durch den eingetretenen Verzug adäquat verursachte Schaden zu ersetzen. Schaden iSv. § 249 BGB ist das Erlöschen des Vergütungsanspruchs. Der Schadensersatzanspruch ist auf Naturalrestitution gerichtet. Er ist deshalb wie der Entgeltfortzahlungsanspruch auf einen Bruttobetrag gerichtet. Der Gläubiger kann verlangen, so gestellt zu werden, als sei der Vergütungsanspruch nicht untergegangen. Der Schadensersatzanspruch ist in Höhe des erloschenen Arbeitsentgeltanspruchs begründet, wenn dieser nur wegen Versäumung der Ausschlußfrist erloschen ist und bei gesetzmäßigem Nachweis seitens des Arbeitgebers nicht untergegangen wäre. Bei der Prüfung der adäquaten Verursachung kommt dem Arbeitnehmer die Vermutung eines aufklärungsgemäßen Verhaltens zugute. Danach ist grundsätzlich davon auszugehen, daß jedermann bei ausreichender Information seine Eigeninteressen in vernünftiger Weise wahrt. Für eine abweichende Beurteilung ist der Schädiger darlegungs- und beweispflichtig. Bei einem Verstoß des Arbeitgebers gegen § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG ist zu vermuten, daß der Arbeitnehmer die tarifliche Ausschlußfrist beachtet hätte, wenn er auf die Geltung des Tarifvertrags hingewiesen worden wäre. Diese Auslegung des Nachweisgesetzes ist geboten, um den Zweck der Nachweisrichtlinie 91/533 EG (vom 14. Oktober 1991), den Arbeitnehmer vor Unkenntnis seiner Rechte zu schützen, wirksam zur Geltung zu bringen. Der Arbeitnehmer könnte im Regelfall kaum nachweisen, daß er bei ordnungsgemäßem Verhalten des Arbeitgebers die Ausschlußfrist beachtet hätte. Dem Arbeitgeber bleibt die Möglichkeit, diese tatsächliche Vermutung zu widerlegen (BAG 17. April 2002 – 5 AZR 89/01 – AP NachwG § 2 Nr. 6 = EzA NachwG § 2 Nr. 5, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu III 4b der Gründe mwN).

    b) Dem Kläger ist durch das Erlöschen des Entgeltfortzahlungsanspruchs ein Schaden entstanden. Sein Anspruch auf Krankengeld gemäß §§ 44 ff. SGB V ändert daran nichts. Das Krankengeld bezweckt nicht, den zahlungspflichtigen Arbeitgeber – teilweise – zu entlasten. Vielmehr geht der Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 115 Abs. 1 SGB X bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf den Leistungsträger über. Dem arbeitsunfähig kranken Arbeitnehmer wird aus sozialen Gründen die Möglichkeit eingeräumt, seinen Unterhalt auf einfachem Wege durch Sozialleistungen zu sichern. Davon muß er nicht Gebrauch machen. Der nach den §§ 3, 4 EFZG vorrangig zur Zahlung verpflichtete Arbeitgeber (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) kann den Arbeitnehmer nicht auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen verweisen.

    c) Das Landesarbeitsgericht hat noch die Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden zu prüfen. Die Tatsachen hierfür sind vom Kläger darzulegen. Über eine fehlende Darlegung hilft auch die Vermutung des aufklärungsgemäßen Verhaltens nicht hinweg. Beweisregeln ersetzen nicht den Parteivortrag. Der Kläger hat bisher nicht ausdrücklich behauptet, er habe nicht gewußt, daß die Ausschlußfrist des § 16 BRTV-Bau auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finde, und er hätte bei rechtzeitigem Nachweis die Ausschlußfrist beachtet. Vielmehr hat er vorgetragen, er sei von einem Betrieb des Baunebengewerbes ausgegangen. Dieser Vortrag bezieht sich nicht hinreichend deutlich auf sein tatsächliches Wissen hinsichtlich der Geltung von Ausschlußfristen. Das Landesarbeitsgericht hat dementsprechend nur auf die Erkennbarkeit für den Kläger abgestellt und keine Feststellungen zu dessen wirklicher Kenntnis getroffen. Es muß auf eine eindeutige Erklärung des Klägers hinwirken, ob Kenntnis von der Geltung des BRTV-Bau oder von Ausschlußfristen in anderen Tarifverträgen bestand. Hierfür können auch die näheren Umstände der betrieblichen Tätigkeit der Beklagten eine Rolle spielen. Dabei genügt nicht die allgemeine Kenntnis, üblicherweise kämen (irgendwelche) Ausschlußfristen zur Anwendung. Auf der Grundlage des beiderseitigen Parteivortrags hat sich das Landesarbeitsgericht eine Überzeugung zu bilden, wobei verbleibende Zweifel zu Lasten der Beklagten gehen.

    d) Die Revision rügt zu Recht, das Landesarbeitsgericht habe die Behauptungen der Beklagten zum Kenntnisstand des Klägers übergangen und ein Mitverschulden (§ 254 BGB) des Klägers nicht ausreichend geprüft. Hätte der Kläger, wie die Beklagte behauptet hat, Kenntnis von der Geltung des BRTV-Bau in seinem Arbeitsverhältnis besessen, hätte er den eingetretenen Schaden jedenfalls überwiegend selbst verschuldet. Das Landesarbeitsgericht hat diese Behauptung der Beklagten und ihren weiteren Vortrag hierzu nicht gewürdigt, sondern allein auf Gesichtspunkte der Erkennbarkeit abgestellt.

    e) Das Landesarbeitsgericht muß auch auf die Frage eines möglichen Mitverschuldens des Prozeßbevollmächtigten des Klägers eingehen. Wußte dieser, daß auf das Arbeitsverhältnis des Klägers der BRTV-Bau Anwendung fand, kommt ein überwiegendes Mitverschulden in Betracht, das sich der Kläger nach § 278 BGB zurechnen lassen muß (vgl. hierzu Senat 29. Mai 2002 – 5 AZR 105/01 – EzA NachwG § 2 Nr. 4, zu I 4 der Gründe). Davon kann bisher nicht ausgegangen werden. Hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers die Geltung des BRTV-Bau fahrlässig nicht erkannt, hat eine Schadensteilung gemäß § 254 Abs. 1 BGB nach dem noch festzustellenden Gewicht der beiderseitigen Pflichtverletzungen und des beiderseitigen Verschuldens zu erfolgen. Im Gegensatz zu dem Arbeitnehmer muß sich der Rechtsanwalt über das anwendbare Recht selbst informieren; denn er wird gerade zum Zweck der Rechtswahrung von dem Arbeitnehmer beauftragt. Der weitere Sachvortrag der Parteien hierzu läßt sich bisher nicht absehen. Einzelne Angaben in den Lohnabrechnungen und der Briefbogen der Beklagten sprechen jedenfalls für einen Betrieb des Bauhauptgewerbes. Der Hinweis auf das Baunebengewerbe erscheint nur erheblich, wenn danach keine frühere Geltendmachung des Anspruchs erforderlich gewesen wäre.

    4. Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verb. mit § 2 NachwG kommt nicht in Betracht. § 2 NachwG ist nicht Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB (BAG 17. April 2002 – 5 AZR 89/01 – AP NachwG § 2 Nr. 6 = EzA NachwG § 2 Nr. 5, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu III 5 der Gründe).

    5. Ein etwaiger Schadensersatzanspruch ist nicht nach § 16 BRTV-Bau verfallen, sondern nach dessen beiden Absätzen rechtzeitig geltend gemacht. Da der Schadensersatzanspruch mit dem Verfall des Entgeltfortzahlungsanspruchs am 16. November 2000 entstanden wäre, wäre die Ausschlußfrist in jedem Falle durch die Klageerhebung am 2. Januar 2001 gewahrt, ohne daß es auf Kenntnis und Fälligkeit des Anspruchs (vgl. nur BAG 16. Mai 1984 – 7 AZR 143/81 – AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 85 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 58, zu II der Gründe) ankäme. Zwar hat sich der Kläger erst in der Berufungsinstanz auf Schadensersatz als Anspruchsgrund für sein Zahlungsbegehren berufen. Doch ist die (zutreffende) rechtliche Begründung des Zahlungsanspruchs für die wirksame Geltendmachung nicht erforderlich; auch lag eine zulässige Klageänderung (§ 533 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 ArbGG) vor.

 

Unterschriften

Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Sappa, Zorn

 

Fundstellen

Haufe-Index 1097263

NZA 2005, 64

SAE 2004, 203

ZTR 2004, 205

AP, 0

EzA-SD 2004, 7

EzA

SPA 2004, 3

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