Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Ausschlußfrist Nachweisgesetz

 

Orientierungssatz

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG hat der Arbeitgeber spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich niederzulegen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen. In die Niederschrift sind nach § 2 Abs. 1 NachwG nicht nur vertraglich vereinbarte, sondern auch tarifvertraglich geregelte Vertragsbedingungen aufzunehmen. Dem steht die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags nicht entgegen (ebenso BAG 23. Januar 2002 – 4 AZR 56/01 – zVv.).

Ein Schadensersatzanspruch wegen der nicht rechtzeitig erfolgten Aushändigung einer ordnungsgemäßen Niederschrift über die wesentlichen Vertragsbedingungen nach § 286 Abs. 1, § 284 Abs. 2, § 249 BGB besteht nicht, wenn den Arbeitnehmer an der Verursachung des Schadens ein wesentliches Mitverschulden trifft. Dabei ist ihm das Mitverschulden seiner Prozeßbevollmächtigten gemäß § 254 Abs. 2 Satz 2, § 278 BGB zuzurechnen.

 

Normenkette

NachwG § 2; BGB §§ 242, 249, 254 Abs. 2, §§ 278, 284, 286

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 06.12.2000; Aktenzeichen 3 Sa 1089/00)

ArbG Aachen (Urteil vom 05.07.2000; Aktenzeichen 5 Ca 3551/99)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Arbeitsvergütung und Auslösung.

Der Kläger war seit 3. Februar 1999 bei der Beklagten als Estrichleger/Kolonnenführer beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der für allgemeinverbindlich erklärte Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV) Anwendung. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit einem dem Kläger am 7. Juli 1999 zugegangen Schreiben vom 30. Juni 1999 zum 15. Juli 1999.

Mit Schriftsatz seiner späteren Prozeßbevollmächtigten vom 22. Juli 1999 machte der Kläger geltend, die Kündigung vom 30. Juni 1999 habe das Arbeitsverhältnis frühestens zum 15. August 1999 aufgelöst. Er forderte entsprechende Vergütung. Mit Anwaltsschreiben vom 3. August 1999 lehnte die Beklagte die vom Kläger erhobenen Forderungen ab. In dem Schreiben ist ua. ausgeführt:

“ … Zunächst einmal ist festzuhalten, daß die Kündigung unserer Mandantin vom 30.06.1999 zum 15.07.1999 rechtswirksam ist. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe Anwendung. … Hinsichtlich der Gehaltsansprüche ist auszuführen, daß unsere Mandantin ordnungsgemäß bis zum 18.06.1999 abgerechnet hat. Das Ihrem Mandanten zustehende Gehalt ist ausgezahlt worden. …”

Mit einem beim Arbeitsgericht am 1. Dezember 1999 eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger rückständiges Arbeitsentgelt und Auslösung gerichtlich geltend gemacht.

Der Kläger hat zuletzt beantragt

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.304,92 DM brutto nebst 10,75 % Zinsen seit dem 16. Oktober 1999 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Zahlungsansprüche bestritten und sich auf deren Verfall berufen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Zahlungsansprüche weiter. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

  • Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Die geltend gemachten Zahlungsansprüche sind verfallen.

    • Nach § 16 BRTV verfallen alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden. Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.
    • Der Kläger hat die zweite Stufe der Ausschlußfrist nicht beachtet. Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 3. August 1999 die vom Kläger am 22. Juli 1999 erhobenen Ansprüche abgelehnt hatte, hätte der Kläger spätestens Anfang Oktober 1999 Klage erheben müssen. Die rückständigen Vergütungs- und Auslösungsansprüche sind jedoch erst mit einem am 1. Dezember 1999 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz gerichtlich geltend gemacht worden. Etwaige Zahlungsansprüche des Klägers sind damit nach § 16 BRTV verfallen.
    • Obgleich die Beklagte ihrer Verpflichtung nach § 2 Abs. 1 NachwG zur Aushändigung einer Niederschrift mit den wesentlichen Vertragsbedingungen nicht nachgekommen ist, kann hieraus nicht geschlossen werden, ihr sei es nach § 242 BGB versagt, sich auf die Ausschlußfrist des § 16 BRTV zu berufen.

      • Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG hatte die Beklagte spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses am 3. Februar 1999 die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich niederzulegen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem Kläger auszuhändigen. Dieser Pflicht hat sie nicht entsprochen. Die Beklagte hat dem Kläger auch keinen schriftlichen Arbeitsvertrag ausgehändigt, so daß die Verpflichtung zur Aushändigung einer Niederschrift nicht nach § 2 Abs. 4 NachwG entfiel. Dem Kläger ist damit entgegen § 2 Abs. 1 Nr. 10 NachwG der auf das Arbeitsverhältnis anwendbare BRTV nicht mitgeteilt worden.
      • Dieser Nachweispflicht steht nicht entgegen, daß der BRTV für allgemeinverbindlich erklärt und die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG ein Rechtssetzungsakt eigener Art ist (ebenso BAG 23. Januar 2002 – 4 AZR 56/01 – zVv.).

        • In die Niederschrift sind nach § 2 Abs. 1 NachwG nicht nur vertraglich vereinbarte, sondern auch tarifvertraglich oder gesetzlich geregelte Vertragsbedingungen aufzunehmen. Dies folgt aus dem systematischen Zusammenhang von § 2 Abs. 1 und Abs. 3 NachwG. Sind Arbeitsentgelt, Arbeitszeit, Urlaubsdauer oder Kündigungsfristen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 bis 9 NachwG) in einem Tarifvertrag geregelt, entfällt die Nachweispflicht nicht. Die Einzelangaben hierzu können jedoch gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 NachwG durch einen Hinweis auf den einschlägigen Tarifvertrag ersetzt werden. Richten sich die Dauer des Erholungsurlaubs oder der Kündigungsfristen nach dem Gesetz, kann gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 NachwG hierauf verwiesen werden.
        • Der Aufstellung in § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 9 NachwG sowie § 2 Abs. 1 Nr. 10 NachwG und § 2 Abs. 3 NachwG ist eine Privilegierung kollektivrechtlich geregelter Vertragsbedingungen zu entnehmen. Wenn das Gesetz in allen Fällen des § 2 Abs. 1 Satz 2 NachwG, in denen eine kollektivrechtliche Regelung der Arbeitsbedingungen denkbar ist, gemäß § 2 Abs. 3 NachwG den allgemeinen Verweis auf die Kollektivregelung zuläßt, spricht dies gesetzessystematisch dafür, einen solchen Hinweis auch für weitere, nicht ausdrücklich in § 2 Abs. 1 Satz 2 NachwG genannte wesentliche Vertragsbedingungen ausreichen zu lassen, die in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen bzw. Dienstvereinbarungen geregelt sind.
        • Auch die Richtlinie 91/533/EWG über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen vom 14. Oktober 1991 (NachwRL) gebietet keine weitergehende Nachweispflicht. Nachdem der EuGH für den Fall einer tarifvertraglich geregelten Verpflichtung zur Ableistung von Überstunden auf Anordnung des Arbeitgebers den Hinweis auf den einschlägigen Tarifvertrag als ausreichend im Sinne von Art. 2 Abs. 3 NachwRL angesehen hat (EuGH 8. Februar 2001 – Rs C 350/99 – EuGHE I 2001, 1061, 1076 ff.), kann für tarifliche Ausschlußfristen nichts anderes gelten (ebenso BAG 23. Januar 2002 – 4 AZR 56/01 – zVv.). Daß Ausschlußfristen in für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen enthalten sind, läßt daher, entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts, die Nachweispflicht nach § 2 Abs. 1 NachwG nicht entfallen. Die in einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag enthaltenen Vertragsbedingungen sind nicht nochmals einzeln in die Niederschrift aufzunehmen (ebenso BAG 23. Januar 2002 – 4 AZR 56/01 – zVv.). Ausreichend ist vielmehr der Hinweis nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 auf den Tarifvertrag als solchen. Die Bezugnahme nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 NachwG ersetzt die Wiedergabe der Vertragsbedingungen. Eines ausdrücklichen Hinweises auf die Ausschlußfrist des § 16 BRTV bedurfte es somit nicht (ebenso LAG Niedersachsen 7. Dezember 2000 – 10 Sa 1505/00 – LAGE TVG § 8 Nr. 1; Bepler ZTR 2001, 241, 243 ff.; Krause AR-Blattei Stand: Oktober 1997 SD 220.2.2 Rn. 175; aA Koch Festschrift für Schaub 1998 S 438 f.; Lindemann in Oetker/Preis Anm. zu EuGH EAS RL 91/533/EWG Art. 2 Nr. 2).
      • Allein der Verstoß gegen die aus § 2 Abs. 1 NachwG folgende Verpflichtung begründet nicht den Einwand eines rechtsmißbräuchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) des Arbeitgebers (Senat 17. April 2002 – 5 AZR 89/01 – zVv.; aA LAG Schleswig-Holstein 8. Februar 2000 – 1 Sa 563/99 – LAGE NachwG § 2 Nr. 8). Es liegt kein Fall des institutionellen Rechtsmißbrauchs vor. Hierbei geht es weniger um das individuelle Verhalten einer Partei, sondern darum, daß die sich aus einer Rechtsnorm ergebenden Rechtsfolgen zurücktreten müssen, wenn sie zu einem mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarenden, schlechthin untragbaren Ergebnis führen. Maßgebend ist hier eine generalisierende Interessenabwägung in Bezug auf bestimmte Rechtsnormen oder Rechtsinstitute (MünchKommBGB/Roth 4. Aufl. § 242 Rn. 347 f., 537 ff.; Palandt/Heinrichs BGB 61. Aufl. § 242 Rn. 40). Beruft sich ein Arbeitgeber auf eine kraft Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrags geltende Ausschlußfrist, ohne den Arbeitnehmer zuvor in einer Niederschrift nach § 2 Abs. 1 NachwG auf die Geltung des die Ausschlußfrist regelnden Tarifvertrags hingewiesen zu haben, handelt er zwar rechtswidrig. Dieses Verhalten kann aber nicht ohne Prüfung der Umstände des Einzelfalls als schlechthin unerträglich und unbillig bewertet werden. Ebensowenig ist ein individueller Rechtsmißbrauch der Beklagten ersichtlich. Dem Vortrag des Klägers ist nicht zu entnehmen, daß ihn die Beklagte über das Bestehen der Ausschlußfrist getäuscht oder durch unredliches Verhalten von der Geltendmachung seiner Ansprüche abgehalten hat.
    • Dem Kläger steht gegen die Beklagte wegen der nicht rechtzeitig erfolgten Aushändigung einer ordnungsgemäßen Niederschrift über die wesentlichen Vertragsbedingungen kein Schadensersatzanspruch nach § 286 Abs. 1, § 284 Abs. 2, § 249 BGB zu (vgl. hierzu Senat 17. April 2002 – 5 AZR 89/01 – aaO).

      Die Beklagte befand sich zwar mit der Aushändigung der Niederschrift in Verzug, so daß sie dem Kläger nach § 286 Abs. 1 BGB zum Ersatz des durch den eingetretenen Verzug adäquat verursachten Schadens verpflichtet ist, doch schließt das Mitverschulden des Klägers jeden Schadensersatzanspruch aus. Dabei ist dem Kläger das Mitverschulden seiner Prozeßbevollmächtigten zuzurechnen. Diese wußten spätestens aus dem Schreiben der Beklagten vom 3. August 1999, daß der BRTV auf das Arbeitsverhältnis Anwendung fand. Diese Kenntnis seiner Prozeßbevollmächtigten muß sich der Kläger nach § 254 Abs. 2 Satz 2 iVm. § 278 BGB zurechnen lassen. Da zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung von der Geltung des BRTV die tarifliche Ausschlußfrist noch nicht abgelaufen war, hätte der Kläger seine Ansprüche noch rechtzeitig gerichtlich geltend machen können. Damit fehlt es am ursächlichen Zusammenhang zwischen der Nichterteilung des Nachweises und dem Erlöschen der Ansprüche. Auch in Kenntnis der Anwendbarkeit des BRTV hat der Kläger die rechtzeitige gerichtliche Geltendmachung seiner Ansprüche unterlassen.

  • Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
 

Unterschriften

Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Mandrossa, Sappa

 

Fundstellen

Haufe-Index 781877

NWB 2002, 2999

FA 2003, 31

FA 2003, 64

NZA 2002, 1360

SAE 2003, 177

ZTR 2003, 87

EzA-SD 2002, 7

EzA

BAGReport 2002, 329

NJOZ 2003, 1643

SPA 2002, 7

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