Studie: Im Bewerbungsprozess mangelt es an Augenhöhe

Zwei Drittel der Stellensuchenden sind auf dem Arbeitsmarkt aktiv, weil sie sich beruflich verbessern wollen. Sie haben es nicht nötig, ein Jobangebot anzunehmen. Dennoch werden sie von den Arbeitgebern wie Bittsteller behandelt. Eine Umfrage von Softgarden zeigt, wo Verbesserungsbedarf besteht.

Trotz Krise und Inflation ist die Anzahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen gekündigt wurde und die sich für einen neuen Job bewerben müssen, zwischen Mitte und Ende 2022 nur um 1,4 Prozent gestiegen. Die meisten Personen, die sich derzeit auf dem Arbeitsmarkt nach neuen  Stellenangeboten umsehen, wollen sich beruflich verbessern (67 Prozent). Nur knapp neun Prozent sagen, dass ihr Arbeitsverhältnis beendet wurde und sie deshalb eine neue Anstellung benötigen. Das ermittelte eine Online-Umfrage von Softgarden unter 3.575 Stellensuchenden.

Stellensuchende sehen sich als Kunden, nicht als Bittsteller

Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von heute kennen ihren Stellenwert auf dem Arbeitsmarkt. Dementsprechend stimmen 62 Prozent der Befragten der Aussage zu: "Bewerber sind Kunden und Arbeitgeber müssen sich um sie bemühen." Das gilt insbesondere für Akademikerinnen und Akademiker: Sie sehen sich im Vergleich zu Menschen mit Haupt- oder Realschulabschluss häufiger in der Kundenrolle.

Das wirkt sich auch auf das Auftreten im Bewerbungsverfahren aus. 82 Prozent der Befragten sagen: "Ich begegne Arbeitgebern auf Augenhöhe". Zugleich finden sich 64 Prozent in dem Satz wieder: "Ich bin Arbeitgebern gegenüber eher vorsichtig und bescheiden". Für das deutlich selbstbewusstere Statement "Bei der Bewerbung sitze ich am längeren Hebel und versuche möglichst viel für mich herauszuholen" votieren nur 22 Prozent der Befragten.

Schnelle und transparente Bewerbungsprozesse gewünscht

Der Respekt gegenüber dem Unternehmen und der Personalabteilung bleibt also weitestgehend vorhanden. Gleichzeitig steigt aber auch die Erwartungshaltung an den potenziellen Arbeitgeber, insbesondere an Schnelligkeit und Transparenz.

Ein Befragter beschreibt das treffend: "Der Markt ist sehr attraktiv für Bewerber. Früher hätte ich monatelang im Prozess ausgeharrt, einfach, weil ich unbedingt die Stelle wollte. Heute gibt es so viele Optionen, dass ich einen höheren Anspruch an den Bewerbungsprozess habe. Das heißt, ich möchte innerhalb des Prozesses immer gut informiert sein und sage auch nach zwei Monaten einfach ab, weil ich dann die internen Prozesse des Arbeitgebers generell hinterfrage."

Jobinterviews finden selten auf Augenhöhe statt

Bei den Stellenanzeigen machen die Arbeitgeber offenbar schon einiges richtig, das bestätigen die Befragten. Knapp drei Viertel sind der Ansicht, dass die aktuellen Stellenanzeigen für einen Job begeistern und dafür die wichtigsten Argumente enthalten. "Ich persönlich finde, Stellenanzeigen sind deutlich besser geworden", lautet ein Kommentar.

Anders sieht es allerdings im Bewerbungsgespräch aus. Die überwiegende Mehrheit der Befragten (82 Prozent) ist der Ansicht, dass es idealerweise so sein sollte: "Bewerbungsgespräche werden auf Augenhöhe zwischen Bewerbenden und Unternehmen geführt. Beide Seiten können herausfinden, ob es passt". In Realität fühlen sich jedoch nur 37 Prozent im Jobinterview auf Augenhöhe empfangen. Die meisten Stellensuchenden (52 Prozent) haben das Gefühl, dass die Arbeitgeber das Jobinterview als Auswahlgespräch ansehen und versuchen herauszufinden, ob die Bewerbenden ihren Anforderungen genügen.

Mitarbeiterbindung mangelhaft

Recruiting ist eine Maßnahme, damit genügend Personal für das Unternehmen zur Verfügung steht. Aber die Mitarbeitersuche wird immer herausfordernder. Deshalb sollte man annehmen, dass die Unternehmen vermehrt in die Mitarbeiterbindung investieren, damit es erst gar nicht zu gehäuften Vakanzen kommt. Doch die Umfrage lässt Zweifel an erhöhten Retention-Bemühungen aufkommen.

Exit-Interviews stellen offenbar immer noch die Ausnahme in deutschen Unternehmen dar: Eine große Mehrheit von 61 Prozent der scheidenden Beschäftigten geht heimlich und spricht weder mit der Führungskraft noch mit der Personalabteilung über das Vorhaben, den Arbeitgeber zu verlassen.

Immerhin 52 Prozent der Beschäftigten hatten den Eindruck, ihrem Arbeitgeber sei es wichtig, gute Leute lange an Bord zu halten und ihren Fortgang zu verhindern. Aber auch hier gibt es einige Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Maßnahmen: "Natürlich ist es meinem derzeitigen AG wichtig, gute MA zu halten. Allein Worte und leere Versprechungen reichen dann nach knapp zwölf Monaten der Gespräche nicht mehr aus", lautet beispielsweise ein Kommentar.

48 Prozent der Befragten sprechen ihrem Arbeitgeber sogar generell den guten Willen zur Bindung guter Mitarbeitender ab: "Der Arbeitgeber verfolgt die Strategie, Reisende solle man nicht aufhalten", heißt es in einem Kommentar. Ein anderer Kommentar konstatiert: "Ich habe seit Jahren keine Gehaltsanpassung erhalten. Stattdessen wurden durch den Vorstand immer mehr Aufgaben in meine Abteilung geschoben."

Mit Weiterbildung und Geld die Mitarbeitenden halten

Tun die Arbeitgeber tatsächlich etwas, um gute Mitarbeitende zu halten? Immerhin 44 Prozent der Arbeitgeber versuchen, im Gespräch die Motive für eine Kündigung zu ergründen. Unter den konkreten Zugaben, um die Mitarbeitenden zum Bleiben zu bewegen, finden sich zusätzliche Weiterbildungsangebote oder Karriereoptionen an erster Stelle (36 Prozent), gefolgt von angebotenen Gehaltserhöhungen (30 Prozent) und einer großzügigeren Home-Office-Regelung. (21 Prozent).


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