Kommentar: Entgeltlücken ohne Ende

Der Gender Pay Gap ist nicht die einzige Lücke, die sich beim Entgelt auftut. Auch andere Kriterien haben zur Folge, dass vergleichbare Tätigkeiten unterschiedlich bezahlt werden. Um hier Ungerechtigkeiten zu vermeiden, muss Vergütung transparenter werden, meint Dr. Friedrich A. Fratschner in seinem Kommentar.

Der Weltfrauentag hat uns allen die Höhe des Gender Pay Gaps in Erinnerung gebracht. Unbereinigt bei etwa 20 Prozent und bereinigt bei etwa fünf bis sechs Prozent ist die Entgeltlücke der Frauen ein dauerhaftes Thema. Doch betrachten wir die aktuelle Lage: Die Betonung der 20 Prozent Entgeltlücke ist ein Vergleich der Mittelwerte der Vergütung von Männern und Frauen insgesamt (nicht auf vergleichbaren Stellen) und bildet damit insbesondere das Merkmal ab, dass es weniger Karrierefrauen gibt.

Dass auch die bereinigte Entgeltlücke weiterhin bei fünf bis sechs Prozent liegt, ist nicht zu tolerieren, liegt aber oft weniger an den Unternehmen als an den Umfeldbedingungen, die für Frauen benachteiligend wirken.

Gründe für die Entgeltlücke zwischen Mann und Frau

Denn dass die Entgeltlücke weiter besteht, ist im Wesentlichen wie folgt begründet:

  • Nach wie vor fehlt es an einer umfassenden Kinderbetreuung von der Vorschule bis zur Schule.
  • Frauen haben – sofern nicht Familienmitglieder einspringen oder der Mann auf seine Karriere verzichtet – eine enorme Doppelbelastung. Daran hat sich in den letzten Jahren (fast) nichts geändert.
  • Frauen arbeiten aufgrund dieser Tatsache oft in Teilzeit. Teilzeit ist in Deutschland – anders als in anderen Ländern wie beispielsweise dem Nachbarn Niederlande – nach wie vor karrierehemmend bis -hinderlich.
  • Der Staat nimmt es als Ergebnis dieser Faktoren in Kauf, dass viele gut qualifizierte Frauen auf Stellen arbeiten, die nicht ihrer Qualifikation entsprechen und dies dann noch in Teilzeit. Ein nicht zu tolerierender doppelter Nachteil für Frauen.

Wie könnte der Gender Pay Gap überwunden werden?

Um dieses Manko abzustellen, muss der Staat endlich nachhaltig in Kinder- und Jugendbetreuung investieren – und zwar in Vollzeit. Denn heute kann sich die Doppelbelastung nur leisten, wer eine Kinderbetreuung durch Dritte eigenfinanziert oder durch weitere Familienangehörige wie die Großeltern aufbringen kann. Wie problematisch diese Situation ist, wird während der Coronapandemie in vielen Webinaren deutlich, in denen Frauen den sogenannten Spagat zwischen Arbeit und Kinderbetreuung – jetzt aber live vor dem Bildschirm – erbringen müssen.

Weitere Entgeltlücken: Branche, Region, Unternehmensgröße und Alter  

Doch neben dem Gender Pay Gap gibt es weitere Entgeltlücken in Deutschland. Da die Vergütung hierzulande nach wie vor ein sehr sensibles Thema ist, wird über diese weiteren Entgeltlücken selten gesprochen. Doch sie bestehen und können beispielhaft wie folgt aufgezeigt werden:

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Entgeltlücke Branche

Nach wie vor wird als gegeben gesehen, dass gleiche Stellen (nicht ungleiche Stellen wie bei der unbereinigten Entgeltlücke der Frauen) über Tarife hinweg völlig unterschiedlich vergütet werden. Vergleicht man Stellen im Handel mit gleichwertigen Stellen in der Metallindustrie, so ergeben sich Lücken von deutlich über 20 Prozent. Selbst Gewerkschaften wie Verdi sind für Tarife mit enormen Entgeltlücken zuständig (gleiche Stelle in Handel versus Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst).

Entgeltlücke Unternehmensgröße

Große Unternehmen zahlen besser als kleine Unternehmen. In Folge dessen sind Entgeltunterschiede von 20 bis 30 Prozent keine Seltenheit.

Entgeltlücke Region

Unternehmen vergüten im regionalen Kontext sehr unterschiedlich. Das kann mit dem Preisniveau zu tun haben (günstige Umfeldbedingungen im strukturschwachen Raum) oder mit der Verfügbarkeit von Fachkräften (Landflucht). Auch hier sind Spannen von 20 bis 30 Prozent keine Seltenheit.

Entgeltlücke Alter

Das Alter als treibendes Element der Vergütung ist in vielen Tarifen fest verankert und passt nachvollziehbar nicht in den Kontext einer von Innovation und gleichzeitiger Überalterung gekennzeichneten Gesellschaft.

Fazit: Gerechte Vergütungssysteme brauchen Transparenz

Neben diesen Entgeltlücken gibt es eine Vielzahl weiterer, die neben dem Geschlecht durch weitere soziographische Merkmale begründet sind. Entgeltlücken zu beseitigen ist aber ein ganz wichtiger Ansatz, um Gerechtigkeit im Vergütungssystem zu erzielen. Gerechtigkeit kann aber nur erreicht werden, wenn Transparenz gegeben ist.  Denn Entgeltlücken – beispielsweise auf Basis von Leistungsunterschieden – können sehr wohl gewollt und richtig sein, wenn eine offene und klare Kommunikation im Unternehmen dazu besteht.

Wenn Unternehmen dementsprechend Gerechtigkeit umsetzen wollen, müssen sie ihre Vergütungsgrundsätze (Anforderungs- und Leistungsgerechtigkeit sowie Marktgerechtigkeit) radikal transparent machen. Nur dies wird dazu beitragen, dass unter Umständen bestehende Entgeltlücken (aus welcher Quelle auch immer) als nachvollziehbar und gerecht bewertet werden.


Zum Autor: Dr. Friedrich A. Fratschner ist seit 2013 Geschäftsführender Partner von Baumgartner & Partner Management Consultants und Gründer von HR Online Manager, einer Plattform für unter anderem Stellenbeschreibungen und -bewertungen.


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Schlagworte zum Thema:  Vergütung, Equal Pay, Entgelt, Gleichstellung