Kolumne Leadership: Wenn Chefs politisch Stellung nehmen

Führen und Folgen sind die Grundlage gelingender Zusammenarbeit. Doch ihre Voraussetzungen unterliegen dem Wandel. Unser Kolumnist Randolf Jessl beleuchtet diesmal die Frage: Sollen Führungskräfte politisch Stellung beziehen?

Nur wenige deutsche Topmanager beziehen so deutlich Stellung zu politischen Themen wie Joe Kaeser. Der scheidende Vorstandsvorsitzende von Siemens, der genau heute, mit der Hauptversammlung am 3. Februar 2021, an seinen Nachfolger übergibt, löste mit Äußerungen zur Einwanderungspolitik der AfD (ablehnend), zur Steuerpolitik Trumps (wohlwollend) und zu Seenotrettungsinitiativen deutscher Aktivisten (solidarisch) heftige Kontroversen aus.

Ist Kaesers Verhalten zur Nachahmung empfohlen? Unter Kommunikationsprofis mehren sich die Stimmen, die das bejahen. Und auch die Erhebungen der internationalen PR-Agentur Weber Shandwick zeigen, dass eine steigende Anzahl von Führungskräften es für geboten hält, zu heiklen Fragen des Zeitgeschehens Stellung zu nehmen. Dahinter stehen zwei aktuelle Entwicklungen.

Warum Chefs immer öfter politisch Position beziehen

Zum einen ist da der durch soziale Medien getriebene Trend, sich als Person nahbar, authentisch und glaubwürdig zu präsentieren. Dazu gehören nun einmal auch weltanschauliche Fragen. Zum anderen steigen die Erwartungen der Bevölkerung an Führungskräfte, sich zu Fragen der Zeit zu positionieren. So geben im Edelman Trust Barometer 2021 vier von fünf Befragten weltweit an, sie würden von Firmenchefs erwarten, dass sie sich zu sozialpolitischen Fragen wie der Coronakrise, der digitalen Transformation sowie lokalpolitischen Entwicklungen äußern.

Die eigene Chefin genießt das größte Vertrauen

Und noch eine weitere Überraschung hält das Edelman Trust Barometer 2021 in dieser Hinsicht parat: Erstmals vertrauen die Menschen der Wirtschaft mehr als anderen Akteuren, in der aktuellen Lage das Richtige zu tun. Die Unternehmenswelt überholte in Sachen Vertrauensvorschuss die Nichtregierungsorganisationen, Regierungen und Medien. Besonders vertrauenserweckend wirkt dabei die oder der CEO des eigenen Arbeitgebers.

Also ran an die Mikrofone und als Führungskraft endlich deutlich machen, was so Sache ist auf unserem Erdenrund? Nicht nur Joe Kaeser selbst würde angesichts von Shitstorms, Ärger aller Art und Abstrahleffekten aufs Geschäft wahrscheinlich davor warnen. Ich empfehle noch einmal innezuhalten und die Gemengelage zu sondieren.

Was Führungskräfte bedenken sollten

Denn es macht einen Unterschied, ob man als Vorstandsvorsitzende oder als Mittelmanager Stellung bezieht. Auch spielt es eine Rolle, ob man das in externen, offiziellen Verlautbarungen, im Rahmen der internen Kommunikation oder im persönlichen Gespräch tut. Deshalb gilt für mich, was ich in dieser Kolumne vielfach dargelegt habe: Vertrauen und Gefolgschaft erwirbt, wer Sicherheit und Orientierung gibt, wer berechenbar und authentisch ist. Die Einstellung zu Fragen des Zeitgeschehens gehören hier dazu. Vor allem dann, wenn sie in Bezug zu Fragen der gesellschaftlichen Verantwortung stehen.

Im Eins-zu-eins-Gespräch sollten Führungskräfte aller Hierarchiestufen daher mit Meinungen und Einstellungen auch zu kontroversen politischen Themen nicht hinter dem Berg halten. Sie gewinnen damit an Profil. Je offizieller aber der Kontext und je größer die Reichweite, mit der die Äußerung getätigt wird, desto genauer gilt es abzuwägen.

Vier Fragen, die Sie sich vor kontroversen Äußerungen stellen sollten


  1. Wird eine Stellungnahme von mir erwartet?
  2. Ist die kontroverse Frage mit meiner Aufgabe und mit dem Business meines Unternehmens eng verwoben?
  3. Ist der Kanal (Fernsehen, Zeitung, Social Media, Konferenz, Kamingespräch etc.), in dem ich mich äußere, meinem Anliegen und meiner Argumentation angemessen?
  4. Fühle ich mich wohl, zur umstrittenen Thematik Stellung zu beziehen und sie zu verteidigen?

Wer hier tendenziell mit Ja antwortet, hat gute Gründe, Position zu beziehen. Doch auch dann gibt es noch Aspekte, die Führungskräfte im Auge behalten sollten.

Sechs Empfehlungen, wenn man sich auf politisches Glatteis begibt


  1. Auch Meinungen sollte man gerade als Führungskraft bestmöglich auf Fakten aufbauen statt auf Spekulationen.
  2. Führungskräfte der Wirtschaft müssen als wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit Gemeinschaft stiften. Sie sollten daher im Ton und Inhalt grundsätzlich vermeiden, zu spalten und übermäßig zu provozieren.
  3. Führung ist immer auf ein Ziel gerichtet und darf sich nicht in Kritik und im Anprangern von Missständen erschöpfen. Botschaften gehören positiv verpackt.
  4. Bei allem, zu dem Chefs Stellung nehmen, sollte der Bezug zum Business, den eigenen Anspruchsgruppen (Kunden, Mitarbeitern, Investoren etc.) sowie zur eigenen Person mitgedacht und vermittelt werden. Wer ohne Kontext mit Meinungen zu allem Möglichen um sich wirft, verliert an Glaubwürdigkeit und Wirkung.
  5. Je heikler das Thema, desto genauer sollten sich Führungskräfte ansehen, mit wem sie sich gemein machen (können). "Ich gegen den Rest der Welt" verspricht vielleicht großes Aufsehen, aber eben auch enormen Gegenwind und geringe Wirkung.
  6. Hinter so gut wie jeder Frage, die man kontrovers diskutieren kann, stehen Werte. Die gilt es in den Vordergrund zu rücken und sie in Einklang mit den Werten des Unternehmens, für das man tätig ist, zu bringen. So kann man nachhaltig Stellung beziehen und dennoch dem Klein-Klein politischer Debatten, für die es Parteien, Gremien und Foren gibt, entkommen.

Wer dies beachtet, kann Joe Kaeser nacheifern. Sie oder er wird an Profil und Einfluss gewinnen. Gerade als Führungskraft darf und sollte man auch eine moralische Autorität sein.


Randolf Jessl ist freier Journalist und Inhaber der Kommunikations- und Leadershipberatung Auctority. Er unterstützt Menschen und Organisationen, die etwas bewegen und in Führung gehen wollen.

Schlagworte zum Thema:  Leadership, Politik, Mitarbeiterführung