Kolumne Leadership: Fatale Führungsmythen

Führen und Folgen sind die Grundlage gelingender Zusammenarbeit. Doch ihre Voraussetzungen unterliegen dem Wandel. Unser Kolumnist Randolf Jessl beleuchtet diesmal die Frage: Welche falschen Vorstellungen vom Führen gilt es endlich zu überwinden?

Es kommt nicht häufig vor, dass wissenschaftliche Artikel sich zu reißerischen Überschriften hinreißen lassen. Den Leadershipforschern der Universitäten von Queensland (Australien), Lund (Schweden) und St. Andrews (UK) war es das wert. Zu tief sitzt bei S. Alexander Haslam, Mats Alvesson und Stephen D. Reicher offensichtlich der Frust, dass irreführende und wissenschaftlich widerlegte Vorstellungen von Führung weiterhin weltweit Veröffentlichungen, Trainings und Beratung rund um Führung durchziehen.

In ihrem Artikel im renommierten Wissenschaftsjournal "The Leadership Quarterly" legen die drei unter dem Titel "Zombie Leadership: Dead ideas that still walk among us" acht dieser Mythen offen. Ich liste sie hier maximal komprimiert auf.

Mythos 1: Bei Leadership geht es um starke Führer

Nein, sagt die Forschung. Es geht um das Zusammenspiel von denen, die führen, und jenen, die folgen. Schlagzeilen wie "Der Mann, der den Club vor dem Untergang bewahrte" erzählen daher nur die halbe Wahrheit.

Mythos 2: Alle großen Leader haben bestimmte Eigenschaften

Falsch. Nicht oft zitierte Eigenschaften wie Intelligenz, Mut oder Charisma bestimmen darüber, ob jemand zum großen Leader wird. Darüber entscheidet vor allem, ob die, die bereit sind zu folgen, die zur Bewältigung der Führungsaufgabe nötigen Qualitäten in diesen Menschen erkennen. Listen wie "Das sind die Top Skills großer Leader" sind daher Nonsens.

Mythos 3: Alle großen Leader verhalten sich auf eine bestimmte Weise

Irreführend. Welches Verhalten in Führungssituationen zum Erfolg führt, hängt immer von der Situation ab, die gerade nach Führung verlangt. Empfehlungen wie "Diese 7 Dinge tun große Leader, um Veränderung herbeizuführen" sind daher Nonsens.

Mythos 4: Wir alle erkennen, ob jemand ein großer Leader ist

Auch Quatsch. Was wir als vorbildliche Führung einschätzen, hängt stark davon ab, welche Maßstäbe wir an Führung anlegen. Für den einen zeichnet Entschlossenheit einen großen Leader aus, für den anderen Besonnenheit. In den derzeitigen Debatten um Krieg und Frieden lässt sich das gut beobachten.

Mythos 5: Gute Führung äußert sich immer und überall auf dieselbe Weise

Ausgemachter Blödsinn. Auch hier gilt, Führung kann sehr unterschiedlich gelebt werden und dennoch erfolgreich sein. Es geht um die  Passung von Führungsverhalten und Führungssituation. Siehe dazu Mythos 2 und 3.

Mythos 6: Führungskraft ist eine Gabe, die nur wenige Auserwählte haben

Auch fatal. Je größer die Kluft zwischen Leader und Follower ist, desto mehr schmälert das den Führungserfolg. Beide Seiten vertrauen einander nicht mehr. Entfremdung von unten und von oben ist eine der Ursachen hierfür. Elitenbildung in Führungsfragen ist daher, obwohl bei uns die Regel, eigentlich ein Holzweg. Listen wie "X Eigenschaften, die Leader von Normalsterblichen unterscheiden" zementieren diese Kluft.

Mythos 7: Leadership ist immer gut und immer gut für jeden

Falsch. Führung kann auch auf Schlechtes zielen und Schlechtes bewirken. Manchmal wäre es besser, es würde nicht geführt, als es wird schlecht geführt. Listen wie "Sieben positive Effekte von Führung" sind daher kontraproduktiv.

Mythos 8: Ohne starke Führungspersonen geht es nicht

Auch irreführend. Dieser Glaubenssatz verkennt, wie viele Herausforderungen Gruppen auch ohne ernannte Führungsperson in Selbstorganisation bewältigen. Schlagzeilen wie "Was unsere Führer (Politiker, Wirtschaftslenker etc.) jetzt tun müssen" streuen uns mit Blick darauf immer wieder Sand ins Auge und halten alle sonstigen Akteure klein.

Leitlinien für ein effektives Führungsverständnis

All das ist sehr zugespitzt ausgeführt und aufbereitet. Ich rate dennoch, sich ausnahmsweise mit diesem trotz allem gut lesbaren Wissenschaftstext zu befassen. Denn vieles, was beim Führen falsch läuft, lässt sich dadurch erklären und im Bewusstsein dieser Irrtümer verhindern.

Zumal die Autoren es nicht nur bei der Demaskierung aller Storyteller und fragwürdiger Führungsgurus belassen. Sie leiten aus diesen Irrtümern vier Leitplanken ab, die ich nicht nur aus konzeptioneller Überlegung heraus, sondern auch aus praktischer Erfahrung voll und ganz unterstütze. Es sind dies:

  1. Wir sollten bei jeder Beschäftigung mit Führung nicht allein auf die Person sehen, die führt, sondern immer über sie hinaus (zum Beispiel auf die Situation, die Rahmenbedingungen und auf diejenigen, die folgen sollen).
      
  2. Wir sollten Führung als Prozess verstehen, zu dem jede und jeder beitragen muss, kann und soll (Führung entsteht, weil sich andere entschließen zu folgen).
      
  3. Wir sollten uns klarmachen, dass Führungserfolg immer an der Beziehungsqualität zwischen denjenigen, die führen, und jenen, die folgen, hängt.
       
  4. Wir sollten unsere Theorie und Praxis, wie wir Führungskraft und Führungskräfte entwickeln, an den ersten drei Prämissen ausrichten.

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Lasst es uns mit Nachdruck tun!


Randolf Jessl ist Inhaber der  Kommunikations- und Leadershipberatung Auctority. Er berät, trainiert und coacht Menschen und Organisationen an der Schnittstelle von Führung, Kommunikation und Veränderungsanliegen. Zusammen mit Prof. Dr. Thomas Wilhelm hat er bei Haufe das Buch " Shared Leadership" veröffentlicht.

Schlagworte zum Thema:  Leadership, Mitarbeiterführung