Interview: Reines Homeoffice ist nicht zweckmäßig

Vincent Huguet hat 2013 die Freelancer-Plattform Malt gegründet. In der Anfangsphase hat das Unternehmen ausschließlich remote gearbeitet. Im Interview erzählt der Gründer, wieso vollständig im Homeoffice zu arbeiten für ihn auf Dauer nicht funktioniert und welche Vorteile die Arbeit im Büro bietet.

Haufe Online Redaktion: In den letzten Monaten haben viele Menschen ausschließlich im Homeoffice gearbeitet. Wie lange können Teams so weiterarbeiten, ohne sich im wirklichen Leben, in einem richtigen Teambüro treffen zu können?

Vincent Huguet: Ich bevorzuge ein hybrides Modell, denn ausschließlich zu Hause zu arbeiten funktioniert nur für eine begrenzte Zeit. Das weiß ich aus eigener Erfahrung: Als wir Malt gegründet haben, lebte ich in Paris. Mein Mitgründer, unser CTO, lebte aus familiären Gründen in Lyon. Deshalb haben wir von Anfang an remote gearbeitet. Wir haben unsere Kultur und Arbeitsweise von Anfang an entsprechend organisiert, dafür Kollaborations-Software wie Slack angeschafft und haben erstmal gezeigt, dass Homeoffice und Remote Work in vielen Bereichen gut funktionieren. Ein Entwickler oder Designer, der sich konzentrieren muss, hat dafür in einem Teambüro oder Großraum nicht immer die besten Bedingungen. 

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Aber selbst unsere Software-Entwickler haben mit der Zeit die Erfahrung gemacht, dass reines Homeoffice auf Dauer nicht zweckmäßig ist. Als wir dann später ein erstes zentrales Büro hatten, in dem wir uns zunächst nur für Meetings trafen, haben auch die Entwickler um eigene Arbeitsplätze gebeten. Da spielt natürlich der soziale Aspekt mit rein. Wenn man mit den Kollegen einen Kaffee trinkt, oder auch ein Bier, dann geschehen eben bestimmte Dinge: Manchmal lösen sich Probleme ganz nebenbei, für die man zuvor tagelang keine Lösung gefunden hat. Wir Menschen sind soziale Wesen und müssen uns austauschen. Wir sind also den umgekehrten Weg gegangen: aus dem Homeoffice ins Büro.

Wie häufig oder wie lange man im Homeoffice oder im Büro arbeiten kann, das hängt letztlich aber von den Aufgaben, dem Arbeitsbereich ab. Auch die Dauer der Betriebszugehörigkeit ist wichtig. Junge Leute, die gerade erst eingearbeitet werden, müssen sich häufiger mit anderen treffen, um voneinander lernen zu können. 

Das Büro bietet bessere Arbeitsbedingungen

Haufe Online Redaktion: Was ist für Sie persönlich ein ideales Modell? Wie viele Tage pro Woche arbeiten Sie zu Hause?

Huguet: Typischerweise bin ich eher einen Tag zu Hause und vier Tage im Büro, weil es zu meiner Rolle gehört, viele Menschen, Kunden und Mitarbeitende zu treffen. Aber auch bei mir kommt es darauf an: Aktuell bin ich in München, weil wir hier einen neuen Standort aufbauen. Das ist noch ein kleines Team und ein kleines Büro und da ist es wichtig, dass ich mich blicken lasse, auch wenn ich nicht ständig vor Ort bin. Denn man kann gut eine Beziehung über Videokonferenzen aufrechterhalten – eine berufliche Fernbeziehung sozusagen. Aber so eine Beziehung nur mit Telefonaten und Videokonferenzen aufzubauen, das funktioniert nicht. Dafür braucht es die persönliche Begegnung.

Haufe Online Redaktion: Welche weiteren Vorteile bietet die Arbeit im Büro?

Huguet: Das Büro sollte in erster Linie einen besseren Arbeitsplatz bieten als das Zuhause. Das hängt aber ebenfalls vom jeweiligen Fall ab. Manche haben auch zu Hause einen guten Arbeitsplatz eingerichtet und können somit länger und besser dort arbeiten. Aber in Städten wie München, Paris oder London wohnen die meisten in kleinen Wohnungen und haben gar keinen Platz für einen guten Schreibtisch. Hier in München haben wir uns deshalb in einem Coworking-Space eingemietet und das ist ein ziemlich schöner Raum. Das Büro an sich ist sehr praktisch und für die Arbeit sehr gut organisiert. In einem solchen Raum kann man sich viel besser von anderen inspirieren lassen und von anderen lernen. Auch in einer Pause, beim Tee oder Kaffee trinken, hat man immer noch eine Verbindung zur Arbeit, zu den Kolleginnen und Kollegen. Für diese Verbindung zum Job ist das Büro wichtig. 

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Und dann gibt es natürlich noch die "Zoom-Müdigkeit". Unsere Körpersprache hilft, indirekt zu kommunizieren. Selbst bei Videokonferenzen fällt einiges davon weg und deshalb sind Video- oder Telefonkonferenzen einfach anstrengender als persönliche Meetings. Bei persönlichen Treffen merke ich immer wieder, dass unser Team besser kreativ werden kann. Gemeinsam in einem Raum Dinge zu entwerfen und an einem Flipchart aufzuschreiben - das geht immer noch einfacher und leichter.

Vertrauen statt Regeln und Vorschriften

Haufe Online Redaktion: Welche Regeln und Rahmenbedingungen braucht es, wenn Homeoffice für alle möglich ist? Braucht es eine Vorgabe, wie viele Tage in der Woche im Homeoffice gearbeitet werden darf?

Huguet: Klare Vorgaben funktionieren nicht, wenn man sich zum Beispiel nur alle zwei Wochen zu einem festen Termin trifft oder die Mitarbeiter zwingt, immer montags und dienstags im Büro zu arbeiten. Solche starren Vorgaben werden den unterschiedlichen Anforderungen nicht gerecht. Remote Work sollte nicht die Norm sein, aber man muss den Menschen vertrauen, wenn sie ihre aktuellen Aufgaben besser zu Hause und konzentriert erledigen können oder wenn sie einen persönlichen Grund haben, lieber zu Hause zu sein. 

In den Monaten des Lockdowns hat sich dieses Vertrauen in vielen Unternehmen gebildet. Viele haben inzwischen gelernt, dass Homeoffice und Remote Work wirklich funktionieren – auch ohne Micromanagement und feste Anwesenheitszeiten. Viele Führungskräfte haben inzwischen verstanden, dass sie loslassen müssen, dass sie den Menschen vertrauen müssen. Das ist wahrscheinlich auch ein Grund dafür, dass viele weiterhin gerne zu Hause arbeiten. Diese Vertrauenskultur auf Dauer anzunehmen und zu leben, das ist das wichtigste, was Unternehmen und Führungskräfte jetzt leisten müssen.

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Darüber hinaus ist es natürlich wichtig, die richtigen Tools einzusetzen. Viele Unternehmen mussten während des Lockdowns Slack oder Microsoft Teams einführen. Aber auch ein gutes Headset ist wichtig. Es braucht diese Werkzeuge und das Wissen, wie man sie benutzt, ebenso wie Mitarbeiter, die all das organisieren und am Laufen halten. Der dritte Punkt ist: Das Büro muss schön sein!  Es muss ein Vergnügen sein, zur Arbeit zu gehen. Denn die Leute sollen ins Büro kommen, weil sie das wollen.

Haufe Online Redaktion: Wie können Unternehmen das schaffen, dass Mitarbeiter wieder gerne ins Büro kommen? Oder wie können sie es den Leuten zumindest ein bisschen leichter machen?

Huguet: Einige Menschen haben aus verschiedenen Gründen Angst, sich wieder mit Menschen zu treffen. Unternehmen und Führungskräfte müssen sich um diese Menschen kümmern. Das Wichtigste dabei ist wieder die Kultur. Das heißt, dass man seine Werte nicht an die Wand und an den Eingang eines Gebäudes hängt. Das Büro ist ein gemeinsamer Ort. Ein sozialer Ort, an den man nicht nur zur Arbeit hinter dem Computer geht. Ein Raum, in dem Leute sich treffen, zusammenkommen und gemeinsam etwas bewirken.

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Haufe Online Redaktion: Wenn Sie jetzt nochmal ein Startup gründen würden, würden Sie wieder ohne Büro anfangen?

Huguet: Ich glaube, es war gut, ohne Büro anzufangen. Dadurch waren wir von Anfang an mit den Tools und mit der Kultur dementsprechend organisiert und gut vorbereitet auf unsere internationale Expansion, auf das Arbeiten von verschiedenen Standorten und natürlich auch auf die Covid-19-Situation, die so plötzlich begann. Wir wussten, wie man remote arbeitet. Und auch weil wir international tätig sind und Teams in vielen Städten und in verschiedenen Zeitzonen haben, bringt uns diese Kultur gewisse Vorteile. 

Trotzdem genieße ich es, einen Ort zu haben, an dem ich heute mein Team öfter treffen kann, als ich es damals getan habe. Denn diese Zeiten, in denen wir uns versammeln, in denen wir Brainstorming betreiben, in denen wir neue Ideen entwickeln, sind genauso wichtig wie die Zeiten, in denen wir uns konzentrieren müssen. Als Chef muss ich Anlässe für beides schaffen.


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Schlagworte zum Thema:  Homeoffice, Virtuelle Zusammenarbeit, Leadership