Führungskompetenz statt bloße Rhetorik

Im Change-Prozess mit einer rhetorisch ausgefeilten Ansprache die Mitarbeitenden überzeugen? Guter Plan. Wenn aber grundlegende Fach- und Führungskompetenzen fehlen, nützt rhetorischer Feinschliff nicht, meint Managementtrainer Boris Grundl. Er fordert von Managerinnen und Managern eine tiefgehende Entwicklung ihrer Führungskompetenzen. Erst dann könnten sie auch rhetorisch überzeugen.

Das größte rhetorische Problem eines durchschnittlichen Redners oder einer Rednerin ist die mangelnde Kompetenz in dem Bereich, über den man spricht! Erlauben Sie mir, das zu erklären. Nur wer ein Thema so tief durchdrungen hat, dass er mit einer Flasche Whisky im Blut zwar lallend, aber immer noch inhaltlich klar über "sein" Thema referieren kann, wird auch rhetorisch überzeugen. Dann merken Redner und Zuhörende, dass Kompetenz aus jeder Pore kriecht. Das verlangt natürlich Arbeit. Überzeugungsarbeit. Zunächst bei sich selbst. Zuhörende haben es einfach satt, von mittelmäßig bewanderten Leuten an der Nase herumgeführt zu werden. Ihre Instinkte haben sich entwickelt. Ständig prüft das Plenum: Lohnt sich das Dranbleiben? Oder kann ich innerlich in den Stand-by-Modus wechseln und Interesse vortäuschen?

Keine überzeugende Rhetorik ohne Fachkompetenz

Der zentrale Ausgangspunkt für hervorragende Rhetorik ist somit Fachkompetenz. Natürlich kann auch Führungskompetenz solch eine Fachkompetenz sein. Egal ob Change-Projekt oder Produktverkauf – die Frage lautet: Wie klar und tief haben Sie bei Veränderungen die Sinnhaftigkeit des Ganzen durchdrungen? Wie sehr sind Sie in ein Produkt hineingekrochen, um es zu verstehen, bevor Sie es verkaufen? Spüren Menschen intuitiv, dass Sie echte Antworten auf die Probleme des Alltags haben, wenn Sie über Ihr Kernthema sprechen? Als Führungsexperte empfinde ich Letzteres als meine Daseinsberechtigung.

Zuhörende haben es satt, mittelmäßig bewanderten Menschen zu lauschen.“

Es bleibt dabei: Wer etwas zu sagen hat, muss sein Thema in der Tiefe durchdringen. Warum bin ich mir dessen so sicher? Aus eigener Erfahrung. Ich kann meinen Körper zu 90 Prozent nicht bewegen. Dennoch werde ich seit zwei Jahrzehnten zu einem respektablen Honorar als Speaker gebucht. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich weiß genau, was ich geben kann und was nicht. Bei mir kaufen die Leute tiefe Klarheit zu den Themen Leadership und mentale Transformation. Wenn das bei mir nicht aus jeder Pore strömt, kann ich durch meine hohe Lähmung nicht überzeugen. Wenn ich zum Beispiel über das Thema Behinderung rede, habe ich durch meinen Rollstuhl automatisch Kompetenzverdacht. Das gilt jedoch nicht für Leadership.

Das Thema Daseinsberechtigung spielt hier eine wichtige Rolle. Bei mir genauso wie bei anderen. Was ist Ihre Daseinsberechtigung, dass Sie zu Publikum reden dürfen? Die Antwort auf diese Frage bringt so manch unbequeme Konsequenz mit sich. Nicht viele wollen den Preis dafür zahlen. So manch einer, der inhaltlich nicht sattelfest ist, bucht lieber ein Rhetoriktraining, um diese grundsätzliche Schwäche zu kompensieren.

Rhetoriktraining ersetzt nicht die Fachkompetenz

Natürlich bedarf es außer der Kompetenz noch weitere Fähigkeiten für eine überzeugende Rede. Aber Kompetenz ist die Einstiegshürde. Leider nehmen das einige Redner und Rednerinnen nicht ernst. Weil sie über die Gabe der energetischen Motivation verfügen, bewerten sie Fachkompetenz als weniger wichtig. Dabei lässt sich genau das im Laufe einer langen Karriere eindeutig widerlegen.

Mein Wunsch: Haben Sie viel Freude an der eigenen tiefen Kompetenz – und an der Kompetenz der anderen. Es ist einfach wunderbar, tief Durchdachtes und in der Praxis erprobtes Wissen aufzunehmen. Was für ein Genuss. So können wir uns gegenseitig viel schneller nach vorne bringen. Damit wir alle ohne große Umwege die besten Menschen werden, die wir sein können.


Über den Kolumnisten: Boris Grundl ist Führungskräftetrainer und gilt bei Managern und Managerinnen sowie Medien als "Der Menschenentwickler" (Süddeutsche Zeitung). Er ist Inhaber des Grundl Leadership Instituts, das Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Dafür erforscht, testet und lehrt das Institut hochwertige, praxisrelevante Unterscheidungen - als Voraussetzung für Wahrnehmung und Erkenntnis. Seine Kolumne erscheint in der Haufe-Zeitschrift "wirtschaft + weiterbildung".