Frauenquote: Studie zu HR-Kompetenz im Aufsichtsrat

Nicht die Quote allein macht Deutschlands Wirtschaft weiblicher. Vielmehr braucht es auch Personal­kompe­tenz in den Auf­sichts­räten. Eine aktuelle Studie weist diesen Zusammenhang jetzt nach. Wo das Aufsichts­gremium über HR-Expertise verfügt, da steigt auch der Frauenanteil im Top­management. Die Ergebnisse lassen sich als Aufwertung für die Wirkkraft des HR-Instrumentariums lesen.

Der Wunsch ist allgegenwärtig, wohl begründet und oft gehört. Zuletzt formulierte auch Deutschlands größte Partei zu Beginn des Sommers, man wolle weiblicher werden. Denn was in der Wirtschaft gilt, gilt auch in Politik und Verwaltung: Den "ewigen Thomas-Kreislauf" nannte das die Allbright-Stiftung schon 2017. Sie zählte für ihre Studie mehr Vorstände mit Namen Thomas, als weibliche Vorstandsmitglieder insgesamt. Übrigens bei Bürgermeistern, die – je nach Landesverfassung – oftmals zugleich der kommunalen Verwaltung vorstehen, sieht es nicht anders aus. Mehr Amtsträger heißen Thomas als es Frauen in dieser Position insgesamt gibt. Und in Bundesbehörden spricht man von der "Hans-Bremse", die Frauen systematisch von der Macht fernhalte. 

Wenig Frauen in Vorständen: An der Eignung liegt es nicht

Die Gründe dafür sind mannigfach, und sicher lassen sich die Verhältnisse in Wirtschaft und Verwaltung/Politik nur begrenzt miteinander vergleichen. Was sich aber vergleichen lässt, ist persönliche Eignung. Und hier bringen Frauen selbstverständlich genauso viel mit, wie ihre männlichen Kollegen. Anders ausgedrückt: Aus der Perspektive der persönlichen Eignung gibt es keinen Grund dafür, dass nicht die Hälfte der Vorstände in Deutschland Frauen sind.

Networking verspricht nur bedingt Erfolg

Woran liegt es dann? Nach wie vor dominieren hierzulande Männer die Hierar­chien. Und das gilt eben auch für die zweite und dritte Ebene direkt unter den Vorständen. Die Eignung von Bewerberinnen oder Kandidatinnen fällt hier schon deswegen seltener unmittelbar ins Auge. Chefs suchen sich gerne ihren Nachfolger aus. Kronprinzen gibt es viele, Kronprinzessinnen dagegen bleiben Mangelware. Was tun? Das gängige Instrument, die Sichtbarkeit durch verstärktes Networking zu erhöhen, verspricht nur bedingt Erfolg. Das zeigt ein Blick auf die aktuellen Zahlen. Nach rund 30 Jahren Netzwerken, Lobbying und Frauenförderung ist er allenfalls ernüchternd:

  • Der Anteil von Frauen in den Vorständen beträgt im Dax 30: 15,6 Prozent.
  • Der Anteil von Frauen in den Vorständen beträgt im MDax: 9 Prozent.
  • Der Anteil von Frauen in den Vorständen beträgt im SDax: 6,1 Prozent.
  • In 95 von insgesamt 160 Unternehmen in den drei Indizes sitzt keine einzige Frau im Vorstand.

Machtverteilung: Männer dominieren die Hierarchien

Einen möglichen Grund dafür nennt erneut die verdienstvolle Allbright-Stiftung. In ihrer Studie "Die Macht hinter den Kulissen" (2019) zeigt sie, dass die verbindliche Frauenquote in den Aufsichtsräten zwar nunmehr umgesetzt ist, dass aber den wichtigen Besetzungs- oder Nominierungsausschüssen weiterhin zumeist Männer vorsitzen. Immerhin: Sieben Unternehmen zeigen, dass es auch anders geht. Und siehe da, führt eine Frau den Vorsitz im Aufsichtsrat, dann steigt der Anteil von Frauen in den Vorständen auf über 19 Prozent (19,4). Das ist fast doppelt so viel wie der Gesamtdurchschnitt, der bei zehn Prozent liegt.

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Die tatsächliche Machtverteilung in den Gremien spielt demnach eine Rolle für die mehr als zähe Entwicklung hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit auf den oberen Etagen. Aber reicht das als Erklärung? Oder fehlt es den Nominierungsausschüssen und Aufsichtsräten insgesamt an Talentmanagement-Expertise? Die Frage drängt sich auf: Wie sollen Mitglieder dieser Gremien überhaupt die Eignung von Frauen für Vorstandspositionen erkennen, angesichts eines männlich dominierten Kandidatenpools und der bereits lauernden Kronprinzen?

Frauenanteil in Führungspositionen in Dax-, MDax- und SDax-Unternehmen

Genau dieser Frage geht die Studie "Talentmanagement-Kompetenz in Aufsichtsräten" nach ( hier steht die Studie zum Download bereit). Betrachtet wurden dafür die drei wichtigen Börsenindizes Dax, MDax UND SDax. Sie zeigt: Der Anteil von Frauen ist in den Vorständen gelisteter Unternehmen signifikant höher, wenn für die betroffenen Aufsichtsräte Talentmanagement-Kompetenz ausgewiesen wird. Und je höher die Personalkompetenz im Aufsichtsrat, desto größer auch der Frauenanteil auf den Führungsetagen. Die wichtigsten Ergebnisse: 

Dax 30
Nur elf der Aufsichtsgremien im Dax 30 verfügen nachweislich der veröffentlichten Lebensläufe ihrer Mitglieder über die Talentmanagement-Kompetenz bei den Mandatsträgerinnen und -trägern, die der Arbeitgeberseite zuzuordnen sind. Der durchschnittliche Anteil von Frauen in den Vorständen dieser Organisationen beträgt 18,7 Prozent. Bei den Unternehmen, die ganz ohne Mandatsträger mit entsprechender Kompetenz auskommen, liegt dieser Anteil mit 13 Prozent deutlich niedriger.

MDax
Noch deutlicher wird der Zusammenhang im MDax. 35 von insgesamt 60 betrachteten Aufsichtsräten weisen keinerlei Talentmanagement-Kompetenz im Aufsichtsrat nach. Der durchschnittliche Anteil von Frauen in den Vorständen dieser Organisationen beträgt gerade einmal 6,4  Prozent. Dieser Anteil verdoppelt sich auf fast 13 Prozent (12,7) bei den Unternehmen, die Talentmanagement-Kompetenz bei mindestens einem Mitglied ausweisen.

SDax
Noch weniger Bedeutung scheinen diese Kompetenzen in den Gremien des SDax zu besitzen. Gerade einmal in 15 von 70 betrachteten Unternehmen wird Talentmanagement-Expertise bei wenigstens einem Mitglied veröffentlicht. Der durchschnittliche Anteil von Frauen in den Vorständen dieser Organisationen beträgt rund acht Prozent (7,9). Und er sinkt sogar auf unter sechs Prozent (5,7) bei der Mehrheit dieser Firmen.

Quote plus Kompetenz wird zur Erfolgsformel

Was auffällt: Talentmanagement-Kompetenz in den Aufsichtsräten liegt natürlich nicht allein bei den Frauen dieser Gremien. Offensichtlich also unterstützen sich hier zwei Effekte: Quote plus Kompetenz könnte zur Erfolgsformel werden.

Spannend ist darüber hinaus der Blick ins Detail. Denn der Einfluss der Frauen in den Aufsichtsräten auf die Frauenquote im Vorstand steigt dort, wo die gesetzliche Quote nicht nur erfüllt ist, sondern die geforderten 30 Prozent übersteigt. So beträgt dieser Anteil im Dax 30 fast 20 Prozent (19,4), wenn zusätzlich zu vorhandener Talentmanagement-Kompetenz mehr als ein Drittel der Mandatsträger Frauen sind.

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Ähnlich sieht es im MDax aus. Von Aufsichtsräten, in denen mehr als 40 Prozent (!) der Mitglieder Frauen sind und in denen Talentmanagement-Kompetenzen vorhanden sind, wird fast jeder fünfte Vorstandsposten mit einer Frau besetzt (19,2 Prozent). Und selbst im SDax, in dem die Geschlechterverteilung hinter den Unternehmen der anderen Indizes aus ganz unterschiedlichen Gründen zurückbleibt, ist dieser Zusammenhangt deutlich. Sind hier mindestens vier von zehn Mandatsträgern Frauen und gibt es Talentmanagement-Kompetenz, steigt der Anteil von Frauen in den Vorständen auf immerhin über zehn Prozent (10,4).

Know-how im Talentmanagement bei Aufsichtsräten unterrepräsentiert

Die vorliegende Studie macht es mehr als deutlich: In deutschen Aufsichtsräten ist ausgewiesene Expertise im Talentmanagement aktuell unterrepräsentiert. Das ist angesichts der entscheidenden Rolle bei der Besetzung von Führungspositionen der wichtigsten Unternehmen des Landes zumindest überraschend. Und im Hinblick auf eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen, wie es ja per Gesetz angestrebt wird, ergibt sich daraus deutliches Optimierungspotenzial. Zumal das Thema Diversität sich nicht auf Geschlechtergerechtigkeit reduzieren lässt und zunehmend an Bedeutung gewinnen dürfte.

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Für eine gezielte Kompetenzergänzung sollten Aufsichtsräte aber auch im Hinblick auf andere Herausforderungen offen sein. Beispiel digitale Transformation: Hier gibt es eine spürbare Generationenlücke. Die zunehmend rasante Entwicklung der Digitalisierung geht einher mit einer entsprechenden Beurteilungs- und Auswahlproblematik. Denn wenn digitale Kompetenzen für die obersten Führungsebenen gesucht werden, müssen die Verantwortlichen das gewohnte Feld der Entscheidungsfindung verlassen. Um Potenzial und Expertise in fachlich fremden Feldern zu identifizieren, lässt sich Eignung eben nicht ausschließlich auf Basis eigener Erfahrungen prognostizieren.

Dasselbe gilt auch für andere Themen. Braucht es zum Beispiel Politologen in den Aufsichtsräten, weil weltweit politische Risiken zunehmend auf die Märkte einwirken? Braucht es Klimaforscher, weil Fragen der nachhaltigen Unternehmensführung an Bedeutung gewinnen? Oder ganz aktuell: Brauchen Aufsichtsräte epidemiologische Kompetenz? Nicht jede Entwicklung wird und muss sich in der Besetzung der Aufsichtsräte wiederfinden. Aber in nahezu allen Branchen und Märkten ist neben Markt- und Finanzkompetenz immer auch echte Kompetenz für die Personalauswahl notwendig.

Viele Gründe für mehr HR-Kompetenz im Aufsichtsrat

Und es mangelt nicht nur an der reinen Auswahlkompetenz. Was ist etwa mit der Fähigkeit zur Beurteilung immaterieller Ressourcen? Sie liegen in den Personalstrukturen, in der Organisation und den Menschen selbst verborgen. Was ist mit der Beurteilung der Nachhaltigkeit der Talent Pipeline? Wie über Incentivierungssysteme entscheiden? Und wie bewerten, ob Human Governance zum Thema des gesamten Unternehmens wird? Es gibt viele Gründe für mehr HR-Kompetenz in Deutschlands Aufsichtsgremien.


Dieser Beitrag ist in Personalmagazin 9/2020 erschienen. Lesen Sie die gesamte Ausgabe auch in der Personalmagazin-App.


Über die Autoren:

Harald Ackerschott ist Diplompsychologe und forscht und publiziert seit mehr als 30 Jahren zu den Themen Auswahl, Chancengleichheit und Candidate Experience.

Annika van Veen ist Leiterin F&E der Harald Ackerschott GmbH und verantwortet unter anderem die Entwicklung und Validierung diagnostischer Verfahren.


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Schlagworte zum Thema:  Frauenquote, Diversity, Talent Management