Agilität in der Führung

Es braucht Führung, gerade jetzt. Aber das Führungsverständnis muss sich ändern. Dazu rief André Häusling bei der Agile HR Conference auf. Wir sprachen mit ihm über agile Führung, ein passendes Messinstrument und Agilität in der Familie. 

Haufe Online-Redaktion: Das Motto der Agile HR Conference in diesem Jahr lautete "Anstiftung zur Führung". Warum dieses Motto?

André Häusling: Agile Arbeitsweisen und Prozesse sind inzwischen weitreichend bekannt. Aber Führung ist in der Transformation ein großes Thema. Die Frage ist: Wie gebe ich Orientierung? Orientierung in einem Spannungsfeld zwischen Homeoffice und Büro, transaktionaler Führung und selbstorganisiertem Arbeiten. Es gibt viele Mythen und Unsicherheiten in Sachen Führung. Etwa, dass Führungskräfte "die Doofen" sind. Oder dass Selbstorganisation keine Führung braucht. Damit müssen wir aufräumen und in den Dialog treten. Wir brauchen Führung, aber andere Führungsinstrumente, die Mitarbeitenden Verantwortung übertragen. Wir müssen überlegen, welche Zusammenarbeit wir wollen.

"Die Frage ist: Wie gebe ich Orientierung? Orientierung in einem Spannungsfeld zwischen Homeoffice und Büro, transaktionaler Führung und selbstorganisiertem Arbeiten" - André Häusling

Haufe Online-Redaktion: Wo steckt dann das Agile in diesem Führungsverständnis?

Häusling: Zentral ist, dass selbstorganisiertes Arbeiten möglich ist und dass Führungsverantwortung verteilt wird. Dazu gehört genauso, Menschen zu befähigen und zu empowern, Verantwortung zu übernehmen. Das bedeutet, in einen gemeinsamen Lernprozess zu gehen, zu entdecken, welche Kompetenzen jede und jeder Einzelne im Team mitbringt und Feedbackschleifen zu drehen: Wo stehe ich, wie werde ich wahrgenommen? Die Führungskraft der Zukunft sollte wie ein Coach agieren, der bei diesen Prozessen unterstützt. Solche Evaluationen anzubieten, ist auch Aufgabe von HR. 

HR Analytics als wichtiges Zukunftsthema

Haufe Online-Redaktion: Zusammen mit Prof. Dr. Stephan Fischer von der Hochschule Pforzheim sind Sie dabei, ein Messinstrument, namens Agile Leadership Inventory (ALI), zu entwickeln. Was soll diese Metrik leisten?

Häusling: Das Agile Leadership Inventory (ALI) ist ein Assessment für agile Führung. Führungskräfte beantworten ein Bündel an Fragen und erhalten anschließend eine Standortbestimmung, wie agil sie schon führen. Gleichzeitig dient unsere Metrik dazu, eine empirische Datenbasis zu agiler Führung zu generieren. Unsere Vision ist auch, einen Gruppenreport möglich zu machen, der Unternehmen zeigt: Wie agil sind wir als Organisation? – mit dem Ziel, daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten. Der Score, der beim ALI erzielt wird, kann als Grundlage dienen, um Entwicklungsprogramme zu konzipieren. Ich glaube, HR Analytics ist ein wichtiges Zukunftsthema, um Organisationsentwicklung datenbasiert betreiben zu können.

Haufe Online-Redaktion: Welche Aspekte agiler Führung werden denn bei der Metrik abgefragt?

Häusling: Wir haben vor einigen Jahren bereits ein Leadership-Modell entwickelt und drei Säulen der agilen Führung definiert: Orientierung geben, Freiräume gestalten und Potenziale entfalten. Das war unsere Grundlage, als wir anfingen, den Fragebogen für die Metrik zu bauen. Bei der ersten Validierung fiel uns auf, dass wir das Modell auf sechs Dimensionen erweitern müssen. Dazu kamen: Beziehungsorientierung, verteilte Führung und "Erfolgsorientierung stärken". Die einzelnen Items fragen Aspekte dieser Dimensionen ab, und wir versuchen Korrelationen von Fragebündeln zu errechnen. 

Agile Führung lernen

Haufe Online-Redaktion: Wenn das ALI nun ergibt, dass eine Führungskraft noch Luft nach oben hat: Wie kann sie sich weiterentwickeln? Wie lässt sich agile Führung lernen?

Häusling: Es braucht Erfahrungsräume. Nur Theorie reicht nicht, man muss das erleben. Die meisten wissen nur, wie sie selbst geführt wurden. Darum auch diese Konferenz, um Erfahrungen auszutauschen, von anderen aus der Praxis zu lernen. Aber es gibt durchaus konkrete Werkzeuge, die agile Führung gut übersetzen und die man Führungskräften an die Hand geben kann. Etwa die "Agile Challenge", die aus 52 Karten besteht und Werte operationalisiert, beispielsweise Commitment: "Heute lasse ich das Team entscheiden". Oder ein "Delegation Board", das festhält, welche Entscheidung das Team trifft. 

Haufe Online-Redaktion: Bei Führungskräften, die in einer klassisch hierarchischen Organisation sozialisiert wurden, kann es eine Identitätskrise auslösen, wenn sie nun ein agiles Führungsverständnis entwickeln sollen. Stößt man da an Grenzen?

Häusling: Natürlich gibt es Führungskräfte, die das agile Führungsverständnis nicht teilen und bei denen man an Grenzen stößt. Aber ich bin immer wieder überrascht, wie viele doch einen Aha-Moment haben. 

Agilität: Selbstorganisiertes Arbeiten fördern

Haufe Online-Redaktion: Was bringt agile Führung eigentlich? Was ist der Mehrwert für die Organisation?

Häusling: Führung wird deutlich professionalisiert, weil die Menschen in den verteilten Führungsrollen wesentlich stärkenbasierter eingesetzt werden können. Durch diese Machtverteilung wird zudem erst die Grundlage geschaffen, um selbstorganisiertes Arbeiten wirkungsvoll zu ermöglichen. Der Mehrwert für die Organisation ist ein höherer Fokus auf die Ablauforganisation, was zu mehr Effektivität und Effizienz führt. Die Teams arbeiten leistungsfähiger und die Zufriedenheit in den Teams steigt deutlich, wodurch auch die Fluktuation reduziert wird.

Haufe Online-Redaktion: Die Pandemie hat die Transformation der Arbeitswelt beschleunigt. Auch das agile Arbeiten?

Häusling: Die Pandemie hat agiles Arbeiten überwiegend gefördert. Führungskräfte mussten loslassen, sie bekamen nicht mehr mit, wie ihre Mitarbeitenden arbeiten. Das hat die Selbstorganisation der Mitarbeitenden erhöht, und eine andere Führung erfordert. Allerdings hat die Pandemie es erschwert, teambasiert zu arbeiten. Wir haben Tools für virtuelle Teamarbeit gebaut, aber das kann echte Emotion und Interaktion nicht ersetzen.

Agiles Arbeiten für die Familie: mit Kanban-Board und Retros 

Haufe Online-Redaktion: Auf ihrem Blog schreiben Sie, dass Sie auch in der Familie agile Tools anwenden, im Besonderen seit der Pandemie. Wie sieht das aus?

Häusling: Ich habe ein Kanban-Board aufgestellt. Für die Familienaufgaben habe ich mir Symbole ausgedacht, und auf Post-its markiert. Dazu gab es Magnete mit Fotos der Familienmitglieder. So haben wir geplant, wer welche Aufgabe übernimmt. Wir haben Retros durchgeführt, den Familienrat einberufen und hatten sogar einen Familien-Schlachtruf. Irgendwann war das auch sehr ritualisiert. Natürlich anders als im Wirtschaftskontext, aber es hat funktioniert. 

"Ich glaube noch nicht, dass es ein postagiles Zeitalter gibt." -André Häusling

Haufe Online-Redaktion: Manche sprechen schon vom postagilen Zeitalter. Wie sehen Sie das?

Häusling: Ich glaube noch nicht, dass es ein postagiles Zeitalter gibt. Die meisten stehen am Anfang oder sind gerade auf dem Weg, agil zu werden. Das Thema wird sich noch weiterentwickeln, auch in der Verwaltung. Der nächste Entwicklungsschritt wird sein, agile Ansätze auf die Gesellschaft zu übertragen. Da gibt es noch einiges zu tun.
 

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