Ein Urteil des Bundessozialgerichts steht der früheren Auffassung der Sozialversicherungsträger entgegen. Danach begründet allein bereits ein arbeitsrechtlich wirksamer Verzicht auf Arbeitsentgelt die Zusätzlichkeit der daraus resultierenden Arbeitgeberleistung.[1] Arbeitgeberleistungen werden nicht zusätzlich gewährt, wenn sie einen teilweisen Ersatz für den vorherigen Entgeltverzicht bilden. Davon ist auszugehen, wenn

  • sie kausal mit der Beschäftigung verknüpft sind, indem sie fester Bestandteil der Entgeltvereinbarung und somit des aus der Beschäftigung resultierenden Entgeltanspruchs werden.
  • die Vor- und Nachteilseinräumung durch Entgeltverzicht auf der einen und ergänztes Leistungsspektrum auf der anderen Seite im Zusammenhang stehen und eine einheitliche Vereinbarung bilden, die insgesamt im Rahmen des gegenseitigen Austausches zustande gekommen und nicht trennbar ist.
  • aus objektiver Sicht der Vertragsparteien die neue Vergütung nur dann vollständig erfasst ist, wenn sämtliche Entgeltbestandteile zusammengenommen betrachtet werden.

Dies gilt insbesondere dann, wenn

  • ein unwiderruflicher Anspruch auf die den Entgeltverzicht kompensierenden "neuen" Leistungen besteht,
  • die "neuen" Leistungen als Bestandteil der Bruttovergütung für künftige Entgeltansprüche – wie z. B. Entgelterhöhungen, Prämienzahlungen, Urlaubsgeld, Ergebnisbeteiligung oder Abfindungsansprüche berücksichtigt werden und
  • die "neuen" Leistungen in der monatlichen Entgeltabrechnung als gesonderte Entgeltbestandteile im Zusammenhang mit der regelmäßig ausgewiesenen Summe des vertraglichen Entgeltverzichts ausgewiesen werden.

Diese Kriterien entsprechen im Wesentlichen den gesetzlichen Kriterien des steuerlichen Zusätzlichkeitserfordernisses.[2]

Angesichts der inhaltlich weitgehend deckungsgleichen Merkmale für die Erfüllung des Zusätzlichkeitserfordernisses im Steuerrecht einerseits und im Beitragsrecht andererseits sind nach Ansicht der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung grundsätzlich die Kriterien des steuerrechtlichen Zusätzlichkeitserfordernisses nach § 8 Abs. 4 EStG in Ansatz zu bringen. Die steuerrechtlichen Regelungen sind also auch dann zu prüfen, wenn allein das Beitragsrecht der Sozialversicherung – nicht aber das Steuerrecht – für bestimmte Tatbestände ein Zusätzlichkeitserfordernis verlangt.

Im Zweifelsfall hat aber das eigenständig auszulegende Beitragsrecht Vorrang. Die steuerrechtliche Beurteilung ist für das Beitragsrecht nicht maßgebend oder im vorhinein entscheidend. Insofern kann es im Einzelfall auch unabhängig von der steuerrechtlichen Beurteilung (z. B. aufgrund einer fragwürdigen oder offensichtlich fehlerhaften Anrufungsauskunft) an der Zusätzlichkeit der aus einem Entgeltverzicht hervorgehenden "neuen" Leistungen des Arbeitgebers fehlen, wenn diese einen Ersatz für den Bruttolohnverzicht und damit nicht abtrennbare, ergänzende Bestandteile der insgesamt vereinbarten neuen Vergütung darstellen.

 
Wichtig

Zusätzlichkeit in der Sozialversicherung

Für das beitragsrechtliche Zusätzlichkeitserfordernis gelten grundsätzlich die Kriterien des steuerrechtlichen Zusätzlichkeitserfordernisses. Bei Entgeltumwandlungen durch einen vorherigen Entgeltverzichts und der daraus resultierenden neuen Zuwendungen für den Arbeitnehmer fehlt es insofern an der Zusätzlichkeit der neuen Leistung. Die Beitragsfreiheit ist insofern ausgeschlossen.

 
Praxis-Beispiel

Abweichung vom Steuerrecht

Der Arbeitnehmer erhält ein monatliches Gehalt i. H. v. 4.500 EUR. Die Tochter des Arbeitnehmers besucht den Kindergarten. Ab 1.11. erhält der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber zusätzlich zum Gehalt einen Zuschuss i. H. v. 100 EUR zu den anfallenden Kindergartengebühren. Außerdem verzichtet der Arbeitnehmer vom selben Zeitpunkt an auf monatlich 120 EUR zum Erwerb von Aktienanteilen seines Arbeitgebers. Die Voraussetzungen der Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 39 EStG sind erfüllt (Mitarbeiterbeteiligung).

Ergebnis: Der Zuschuss zu den Kindergartengebühren ist als zusätzliche Zahlung zum Gehalt nach § 3 Nr. 33 EStG steuerfrei und stellt auch kein Arbeitsentgelt in der Sozialversicherung dar. Die Entgeltumwandlung für die Mitarbeiterbeteiligung führt ebenfalls zur Steuerfreiheit. Dabei handelt es sich jedoch weiterhin um beitragspflichtiges Arbeitsentgelt, da die Voraussetzungen für die Zusätzlichkeit nicht erfüllt sind.

Die geänderte Auffassung gilt – auch in Bestandsfällen – spätestens für Entgeltabrechnungszeiträume ab dem 1.1.2022.[3]

Eine Unterscheidung zwischen Entgeltverzicht für laufendes und einmalig gezahltes Arbeitsentgelt besteht nicht. Die Entgelteigenschaft in der Sozialversicherung besteht bei einer Entgeltumwandlung unabhängig davon, ob die Finanzierung aus laufendem oder einmalig gezahltem Arbeitsentgelt erfolgt.[4] Aus Bestandsschutzgründen bleibt die beitragsfreie Verwendung von Einmalzahlungen für zusätzlich zu Löhnen und Gehältern gewährte Direktversicherungsbeiträge zur betrieblichen Altersversorgung, die nach § 40b EStG a. F. pauschal versteuert ...

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