Rz. 26

Gegen die Regelung des Abs. 5 sind verfassungsrechtliche Bedenken erhoben worden.[1] Zwar ist Art. 1, 20 Abs. 3 GG (Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums) durch die Regelung nicht betroffen, denn das Existenzminimum ist durch die Zahlung von Alg II, Sozialhilfe, Kinderzuschlag und AsylbLG bereits sichergestellt. Dass familienbezogene Sozialleistungen wie Elterngeld oder Kindergeld nicht neben den Leistungen der Grundsicherung zu gewähren, sondern auf diese Leistungen anzurechnen sind, ist mit Bezug auf die Gewährleistung des Existenzminimums verfassungsrechtlich unbedenklich.[2]

 

Rz. 27

Die Einfügung des Abs. 5 in die Vorschrift verstößt auch nicht gegen Grundsätze des Vertrauensschutzes. Eine echte Rückwirkung liegt nicht vor. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Regelungen mit unechter Rückwirkung[3] sind gewahrt.[4] Zwar erscheint fraglich, ob eine (unechte) Rückwirkung überhaupt vorliegt, denn es wird eine Anrechnung von Leistungen für die Zukunft bestimmt. Falls eine solche zu bejahen ist, ist der damit verbundene Grundrechtseingriff gerechtfertigt. Eine solche Maßnahme ist grds. zulässig, es sei denn, ein schutzwürdiges Vertrauen der Betroffenen auf den Fortbestand der Rechtslage geht bei der vom Gesetzgeber vorzunehmenden Abwägung den öffentlichen Belangen vor, die dieser für die Veränderung der Rechtslage geltend macht.[5] Die Interessen der Berechtigten an der Aufrechterhaltung der bis 31.12.2010 geltenden, den freiwilligen staatlichen Leistungen zuzurechnenden Vergünstigung überwiegt jedoch nicht das öffentliche Interesse an einer Konsolidierung der öffentlichen Haushalte.

 

Rz. 28

Auch die Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 GG, also des allgemeinen Gleichheitssatzes sind gewahrt.[6] Der Gleichheitssatz bildet den Maßstab auch in den Fällen, bei denen eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen aber vorenthalten wird.[7] So ist es hier: Die betreuenden Eltern, die Leistungen nach dem SGB II, SGB XII, § 6a BKGG oder AsylbLG beziehen, werden durch die Anrechnung von Leistungen des BEEG auf die Grundsicherungsleistungen gegenüber anderen Berechtigten nach dem BEEG benachteiligt. Denn sie erhalten den Mindestbetrag des Elterngeldes nicht zusätzlich zu den bisherigen Einkünften. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da es hinreichende sachliche Gründe für eine unterschiedliche Behandlung der betroffenen Personengruppen gibt.[8] Der Gesetzgeber durfte typisierend annehmen, dass die auf Leistungen der Existenzsicherung angewiesenen Personen, die ihnen verfassungsrechtlich verbürgten Mittel erhalten müssen. Er muss aber die Gewährleistung des Existenzminimums nicht über die Anrechnungsfreiheit des Elterngeldes, des Elterngeld Plus oder anderer Leistungen erweitern. Soweit die Bezieher der genannten Leistungen vor dem Bezug von anrechenbaren Leistungen Einkommen erzielt haben (Aufstocker), bleibt das durchschnittlich erzielte Einkommen – ebenso wie bei anderen Berechtigten – anrechnungsfrei.

[1] Lenze, info also 2011, S. 3 ff.; Dazu in jurisPR-SozR 7/2013, Anm 5; für verfassungsrechtlich problematisch hält die Regelung: Hauck/Noftz/Hengelhaupt, SGB II, Stand 1/2015, § 11a, Rz. 316; JurisPK-SozR/Söhngen; SRGB II, 4. Aufl. 2015, § 11a, Rz. 37.
[2] Vgl. zum früheren Recht; BSG, Urteil v. 3.4.1990, SozR 3-5870 § 11a Nr. 1 Satz 4 m. w. N.; BVerfG, Kammer-Beschluss v. 24.10.1991, 1 BvR 1159/91.
[3] Vgl. z. B. BVerfGE 101, 239, 263.
[5] St. Rspr.; vgl. BVerfGE 101, 239, 263.
[6] So auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 4.1.2012, L 12 AS 2089/11 B; LSG Potsdam, Beschluss v. 22.10.2012, L 14 AS 1607/12 NZB; Frerichs, Sozialrecht aktuell 2011, 167 f.
[7] BVerfG, Beschluss v. 16.3.2011, 1 BvR 591/06, 1 BvR 593/08, NZS 2011 S. 895 f.

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