Rz. 42

Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 BetrVG hängt die Zahl der Mitglieder des Gesamtbetriebsrats ausschließlich von der Zahl der bestehenden Betriebsräte im Unternehmen ab. Dies birgt die Gefahr, dass in Unternehmen mit einer Vielzahl kleinerer Betriebsräte ein unverhältnismäßig großer Gesamtbetriebsrat entsteht. Besteht das Unternehmen umgekehrt nur aus wenigen sehr großen Betriebsräten, wird eine für die Gesamtzahl der im Unternehmen tätigen Arbeitnehmer geringe Zahl von Gesamtbetriebsratsmitgliedern erreicht.

 
Praxis-Beispiel

In Unternehmen A mit 600 Arbeitnehmern bestehen ein Betriebsrat mit 7 Mitgliedern sowie 50 Betriebe mit jeweils einköpfigen Betriebsräten. Der Gesamtbetriebsrat besteht aus 52 Mitgliedern. In Unternehmen B sind ebenfalls 600 Arbeitnehmer tätig, es bestehen zwei neunköpfige Betriebsräte. Der Gesamtbetriebsrat besteht in diesem Fall nur aus 4 Mitgliedern.

Um solche Missverhältnisse zu beseitigen, lässt § 47 Abs. 4 BetrVG abweichende Regelungen durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung zu.

3.2.1 Inhalt der Regelung

 

Rz. 43

Die Regelungsbefugnis bezieht sich nach dem Wortlaut des § 47 Abs. 4 BetrVG nur auf die Mitgliederzahl des Gesamtbetriebsrats. Daraus folgt, dass nur von der Repräsentation des Betriebsrats durch ein oder zwei Mitglieder im Gesamtbetriebsrat abgewichen werden kann. Dagegen können weder die Voraussetzungen der Errichtung noch die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats abweichend vom Gesetz geregelt werden.[1] Es kann nicht bestimmt werden, dass andere Personen als Betriebsräte in den Gesamtbetriebsrat entsandt werden.[2] Auch eine andere Art der Bestimmung der Mitglieder des Gesamtbetriebsrats als durch Entsendung durch die Betriebsräte kann nicht aufgrund von § 47 Abs. 4 BetrVG geregelt werden.[3]

 

Rz. 44

Die in § 47 Abs. 2 Satz 1 BetrVG festgelegte Zahl der in den Gesamtbetriebsrat zu entsendenden Mitglieder kann gemäß § 47 Abs. 4 BetrVG durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung abweichend geregelt werden. Die Mitgliederzahl kann verringert oder erhöht werden.[4] So kann etwa vereinbart werden, dass für mehrere Betriebsräte gemeinsame Vertreter entsandt werden. Es ist auch möglich, für einen Betriebsrat mehr als die gesetzlich vorgesehenen ein oder zwei Vertreter zu bestimmen. Zwingende Höchst- oder Untergrenzen sind nicht vorgesehen. Allerdings sollten sich die Tarif- bzw. Betriebsparteien an den Kriterien des § 47 Abs. 5 BetrVG orientieren, sie müssen dies aber nicht (vgl. BAG, Beschluss v. 25.5.2005, 7 ABR 10/04[5]).

 

Rz. 45

Die durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung getroffene Regelung kann im Fall eines verkleinerten Gesamtbetriebsrats vorsehen, dass nicht jeder Betriebsrat ein Mitglied in den Gesamtbetriebsrat entsendet. Allerdings muss jeder Betriebsrat die Möglichkeit haben, bei der Bestimmung der Gesamtbetriebsratsmitglieder mitzuwirken, etwa bei der Zusammenfassung von Betrieben (BAG, Beschluss v. 25.5.2005, 7 ABR 10/04[6]).

[2] Richardi/Annuß, 16.Aufl. 2018, § 47 BetrVG Rz. 45.
[3] Fitting, 30. Aufl. 2020, § 47 BetrVG Rz. 47; Richardi/Annuß, 16.Aufl. 2018, § 47 BetrVG Rz. 45.
[5] NZA 2006, 215, 217.
[6] NZA 2006, 215, 217 f.; Fitting, 30. Aufl. 2020, § 47 BetrVG Rz. 59.

3.2.2 Tarifvertrag

 

Rz. 46

Voraussetzung für eine abweichende tarifvertragliche Regelung ist, dass alle Betriebe des Unternehmens von dem Tarifvertrag erfasst werden.[1] Hierzu bedarf es grundsätzlich der Tarifzuständigkeit der vertragsschließenden Gewerkschaft für sämtliche Betriebe. Fallen die Betriebe unter mehrere fachliche tarifliche Geltungsbereiche, für die unterschiedliche Gewerkschaften zuständig sind, kommt ein mit den mehreren Gewerkschaften geschlossener mehrgliedriger TV in Betracht.[2]

 

Rz. 47

Ein Tarifvertrag nach § 47 Abs. 4 TVG enthält Rechtsnormen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen und gilt daher nach §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG mit normativer Wirkung für alle Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist. Dagegen ist die Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer ohne Bedeutung (BAG, Beschluss v. 25.5.2005, 7 ABR 10/04[3]). Fraglich ist, wie zu verfahren ist, wenn im Betrieb mehrere tarifzuständige Gewerkschaften vertreten sind. Aus § 4a Abs. 2 Satz 1 TVG ergibt sich, dass der Arbeitgeber mit mehreren Gewerkschaften unterschiedliche Tarifverträge nach § 47 Abs. 4 BetrVG abschließen kann. Die Gewerkschaft muss aber in allen Betrieben vertreten und tarifzuständig sein. Eine beim Abschluss mehrerer Tarifverträge auftretende Tarifkonkurrenz ist wie bei Tarifverträgen nach § 3 Abs. 1 BetrVG durch die Anwendung von § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG nach dem Mehrheitsprinzip zu lösen.[4]

 

Rz. 48

Streitig ist, ob Tarifverträge nach § 47 Abs. 4 BetrVG durch Arbeitskämpfe erzwingbar sind. Die überwiegende Meinung im Schrifttum sieht hierin Tarifverträge über betriebsverfassungsrechtliche Normen, die unter den Schutzbereich der "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" des Art. 9 Abs. 3 GG fallen und daher G...

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