Rz. 35

Durch die "Junk" -Entscheidung (Rz. 16) und die darauf zurückgehende Änderung der Rechtsprechung des BAG hat sich diese Praxis grundlegend geändert. Heute ist wie folgt zu verfahren[1] (vgl. Rz. 20 ff.):

 

Rz. 36

Zunächst ist festzustellen, ob die beabsichtigten Beendigungen von Arbeitsverhältnissen die Schwellenwerte nach § 17 Abs. 1 KSchG innerhalb von 30 Kalendertagen überschreiten. Dabei ist nun auf den Zeitpunkt der Entlassung i. S. d. neuen Rechtsprechung, d. h. auf den Zugang der Kündigung[2] sowie die Vornahme jeder sonstigen vom Arbeitgeber veranlassten und zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führenden Handlung abzustellen[3] (vgl. Rz. 46 ff.).

 

Rz. 37

Bei Überschreiten der Schwellenwerte hat der Arbeitgeber den zuständigen Betriebsrat – falls vorhanden – bzw. die zuständige Arbeitnehmervertretung nach § 17 Abs. 2 KSchG zu unterrichten und über die Möglichkeiten der Vermeidung oder Einschränkung der Entlassungen sowie der Milderung der Folgen zu beraten (Konsultationsverfahren). Spätestens nach 2 Wochen und einem Tag (vgl. § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG) kann der Arbeitgeber die Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 3 KSchG bei der Agentur für Arbeit erstatten. Die Anzeige muss in jedem Fall vor dem Ausspruch der Kündigung durch den Arbeitgeber bzw. der sonstigen vom Arbeitgeber veranlassten und zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führenden Handlung (§ 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG) erstattet werden.

 

Rz. 38

Wird die Anzeige ordnungsgemäß erstattet, setzt sie die Sperrfrist in Gang. Die Sperrfrist wirkt sich nach Auffassung des BAG und der h. M. wie eine Art "gesetzliche Mindestkündigungsfrist" bzw. genauer wie ein "Mindestzeitraum" zwischen Anzeigenerstattung und tatsächlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus[4] (Rz. 5). Sie dauert – abgesehen vom Fall der Abkürzung bis auf 0 (§ 18 Abs. 1 Halbsatz 2 KSchG) – einen Monat (§ 18 Abs. 1 KSchG) bzw. bei entsprechender Entscheidung der Agentur für Arbeit 2 Monate (§ 18 Abs. 2 KSchG). Sie hindert den Ausspruch der Kündigung oder die Vornahme der sonstigen auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichteten Handlung (z. B. Abschluss eines Aufhebungsvertrags) nicht. Eine Kündigung kann also schon unmittelbar nach Erstattung (Zugang) der Anzeige bei der Agentur für Arbeit ausgesprochen werden. Die betroffenen Arbeitnehmer dürfen nur nicht vor Ablauf der Monatsfrist des § 18 Abs. 1 KSchG – oder im Fall des § 18 Abs. 2 KSchG der längstens 2-monatigen Frist – aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden. Dementsprechend werden von der "Sperrfrist" nur solche Kündigungen unmittelbar erfasst, deren Kündigungsfrist kürzer als einen Monat (bzw. 2 Monate) ist.[5] Damit erteilte das BAG der Auffassung, wonach Kündigungen wirksam nur nach Ablauf der Sperrfrist (§ 18 Abs. 1 und 2 KSchG) und innerhalb der Freifrist (§ 18 Abs. 4 KSchG) ausgesprochen werden können[6], eine Absage. Ferner lehnte das BAG die vereinzelt vertretene "Theorie der Rechtsbedingung", nach der die Kündigungsfrist erst nach Ablauf der Sperrfrist (d. h. dem Eintritt der Rechtsbedingung) zu laufen beginnt[7], explizit ab.

 

Rz. 39

An die Sperrfrist schließt sich die Freifrist von 90 Tagen nach § 18 Abs. 4 KSchG an. Nach dieser Vorschrift bedarf es "unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 KSchG" einer erneuten Anzeige, soweit die Entlassungen nicht innerhalb von 90 Tagen nach dem Zeitpunkt, zu dem sie nach § 18 Abs. 1 und 2 KSchG zulässig sind, durchgeführt werden.

 

Rz. 40

Welchen rechtlichen Gehalt § 18 Abs. 4 KSchG vor diesem Hintergrund hat, war umstritten. Teilweise (früher auch von der BA) wurde vertreten, die Freifrist nach der "Junk"-Entscheidung sei obsolet und damit rechtlich unbeachtlich.[8] Nach dieser Ansicht muss bei längeren Kündigungsfristen, welche die einmonatige Sperrfrist sowie die 90-tägige Freifrist zusammen übersteigen, keine erneute Anzeige vorgenommen werden. Nach anderer Auffassung wurde § 18 Abs. 4 KSchG dahingehend ausgelegt, dass die Kündigung innerhalb von 90 Tagen nach Erstattung der Anzeige auszusprechen sei.[9] Teilweise wurde auch die Auffassung vertreten, § 18 Abs. 4 KSchG müsse wie vor der Junk-Entscheidung angewandt werden; unter "Durchführung der Entlassungen" innerhalb der Freifrist i. S. d. § 18 Abs. 4 KSchG sei bei richtlinienkonformer Auslegung der Norm zu verstehen, dass die rechtliche Beendigungswirkung der Kündigung bzw. der sonstigen vom Arbeitgeber veranlassten und zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führenden Handlung innerhalb der Freifrist eintrete, d. h., dass – wie nach dem bisherigen Verständnis der Norm – das rechtliche Ende des Arbeitsverhältnisses in die Freifrist fallen müsse.[10] Dies habe zur Folge, dass im Falle langer Kündigungsfristen von mehr als 4 bzw. 5 Monaten, in denen die rechtliche Beendigung außerhalb der – an die ein- bzw. 2-monatige Sperrfrist (§ 18 Abs. 1 und 2 KSchG) anschließenden – Freifrist liege, eine nochmalige Anzeige erforderlich sein könnte.[11]

 

Rz. 41

Nach dem BAG ist "Durchführung der Entlassung" i. S. d. § 18 Abs. 4 KSc...

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